Wird das Bankgeheimnis nach 2009 begraben?
Das zu Ende gehende Jahr hat für das schweizerische Bankgeheimnis eine Wende gebracht. Eingeführt wurde es in den Wirren der Krise von 1929. Nur angeschlagen oder schon tot – hat das schweizerische Bankgeheimnis das Jahr 2009 überlebt? Der Versuch einer Antwort. Zwei Stimmen dazu.
Das Bankgeheimnis garantiert den Kunden von Schweizer Banken, dass Informationen über sie vertraulich bleiben und weder an Privatpersonen noch an Behörden, wie dem Fiskus, weitergegeben werden. Doch das Bankgeheimnis, das bei Strafverfolgung aufgehoben wird, hat sich über die Jahre hinweg gewandelt.
2009 war ein Meilenstein. Die grösste Bank des Landes sah sich gezwungen, der amerikanischen Steuerbehörde Daten von Kunden auszuliefern, die des Verstosses gegen das Gesetz verdächtigt wurden. Zudem musste die Regierung auf internationaler Ebene die Unterscheidung zwischen Steuerflucht und Steuerhinterziehung fallen lassen. Sie willigte ein, auf Anfrage der ausländischen Steuerbehörden, den Informationsaustausch nach OECD-Standards zu gewährleisten.
Das heisst konkret, dass die Eidgenossenschaft ihre Steuerabkommen mit einer Reihe von Ländern neu verhandeln und dabei die Doppelbesteuerung vermeiden musste. Was jedes Unternehmen aber wissen muss: Die zwei Kammern des Parlaments müssen sich mit diesen Abkommen bis zum Sommer befasst haben. Das Volk könnte zum einen oder andern Abkommen zur Urne gerufen werden, vorausgesetzt, das Referendum wird ergriffen.
Davor wird sich das Bankenmilieu jedoch hüten, denn ein «Ja» würde die Glaubwürdigkeit der Schweiz in den getroffenen Abkommen in Frage stellen, ein «Nein» würde die Vermutung fördern, dass die Schweizer Unterhändler vom Volk nicht legitimiert wären, das Bankgeheimnis zu verteidigen, schätzt Philippe Kenel, Steueranwalt in der Schweiz und in Brüssel.
Ein Wendepunkt
«2009 ist für das Schweizer Bankgeheimnis auf Steuerebene eine Wende eingetreten», so Henri Torrione, Professor der Universität von Freiburg. Für die in der Schweiz niedergelassenen Personen ändert sich nichts. Die Steuerbehörden können sich nur im Falle eines Betrugs an die Banken wenden.
Aber Informationen über Personen, die nicht in der Schweiz ansässig sind, werden an die betreffenden Steuerbehörden weitergeleitet, sogar im Falle einer einfachen Steuerhinterziehung (Nichtdeklaration eines Einkommens), erklärt der Professor für Steuerrecht. Ob das Bankgeheimnis zum Tragen kommt, hängt letztlich von der Interpretation der überprüften Doppelbesteuerungsabkommen ab.
Die Interpretation der Regierung wird von Henri Torrione als «zurückhaltend ängstlich» charakterisiert. «Die Taktik ist folgende: Fehlt der Name des Klienten oder der Bank, wäre man zu einer «fishing expedition», einer verfassungswidrigen Ausforschung, gezwungen, die jedoch nicht zur Herausgabe von Informationen berechtigt. Greift diese Taktik, bleibt de facto das Bankgeheimnis gegenüber den ausländischen Steuerbehörden bestehen. Doch ich glaube nicht daran.»
«Die vom Bundesrat beschlossene Änderung der Politik, die OECD-Standards zu übernehmen, bedeutet die vollständige Abschaffung des Bankgeheimnisses», meint Henri Torrione und gibt zu bedenken, «dem Schweizer Volk und den Kunden der Schweizer Banken reinen Wein einzuschenken.»
Nuancen
Im Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich hat die Schweiz akzeptiert, dass der Name der Bank «wenn möglich» genau angegeben wird, erinnert Henri Torrione. «Wenn die französische Behörde ihn nicht liefern kann, muss die Schweiz trotzdem Informationen weiterleiten. Das ist nicht die Interpretation des Bundesrats, sondern die allgemeine, in Zukunft vorherrschende Meinung».
Das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA sieht vor, dass der Kunde unverkennbar durch seinen vom amerikanischen Fiskus gelieferten Namen identifiziert wird.
In der Affäre UBS hat die Schweiz jedoch akzeptiert, bei Fällen von Steuerhinterziehung Informationen herauszugeben, ohne vorher die Namen erhalten zu haben.
«Es ist unrealistisch zu glauben, dass sich die Amerikaner durch das Abkommen mit der Schweiz mit gleich viel Informationen zufrieden geben wie früher», glaubt der Freiburger Professor.
Nach seiner Ansicht hat die Schweizer Regierung den Informationsaustausch auf Anfrage sehr «zurückhaltend» interpretiert, dies mache unser Land für künftige Auseinandersetzungen um den automatischen Informationsaustausch «sehr verletzlich».
Davon will die Regierung zwar nichts wissen, die Europäische Union jedoch wird schon bald diese nächste Stufe des Informationsaustausches einfordern.
«Will sich die Schweiz gegen den automatischen Informationsaustausch verteidigen, muss sie beim Informationsaustausch auf Anfrage eine transparente, logische und mit der OECD deckungsgleiche Position beziehen.»
Vorsichtiger Kunde
Philippe Kenel seinerseits meint, dass «für den vorsichtigen Kunden sich nichts (2009) geändert hat. Jene, die Bankdokumente bei sich zu Hause haben oder mit Geld oder Dokumenten über die Grenze kommen, nehmen ein Risiko auf sich. Für solche Kunden bietet das Bankgeheimnis kaum noch Schutz.»
Der Anwalt meint auch, dass die Klausel «wenn möglich» im Steuerabkommen mit Frankreich ein «grosser Fehler» sei. Doch mit den andern Ländern sei «die Lage klar, es braucht den Namen der Bank.» Sofern nicht neue Forderungen aus Deutschland und Italien auftauchen…
Für Philippe Kenel stellt sich eher die Frage, ob das Bankgeheimnis in den Köpfen der Kunden überlebt hat. «Es handelt sich hier hauptsächlich um ein psychologisches Phänomen – und ob die Kunden noch Vertrauen haben. Das ist die eigentliche Herausforderung.»
Und nun? «Das Bankgeheimnis ist angeschlagen, wie Reaktionen zeigen. Zum Beispiel haben die französischen Kunden, die sich in der Schweiz niederlassen, kein Vertrauen mehr, obwohl sie genau so gut geschützt sind wie vorher.» Das verlorene Vertrauen kann nur mit der Schaffung von klaren, stabilen Verhältnissen zurückerobert werden.
Philippe Kenel erklärt seinen Kunden, dass der Druck auf das Bankgeheimnis weitergehen wird. «Doch die Schweizer Regierung wird einem von Drittstaaten geforderten, automatischen Informationsaustausch nie zustimmen.
Eine Abstimmung zu diesem Thema würde das Volk ablehnen. Die Sicherheit des Kunden, das ist heute das Schweizer Volk!»
Pierre-François Besson, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
Februar. Der Grossbank UBS wird von den Schweizer Behörden die Erlaubnis gegeben, den USA Daten von 225 Kunden zu liefern, denen sie zur Flucht vor dem amerikanischen Fiskus verholfen hat. Und dies im Wissen um die Verletzung des Bankgeheimnisses.
März. Unter scharfer Beobachtung der OECD entscheidet die Regierung, das Bankgeheimnis zu lockern und die Standards des Informationsaustausches zu erfüllen. Sie kündigt neue Verhandlungen über das Doppelsteuerabkommen an und unterstützt auf internationaler Ebene die Verfolgung von Steuerhinterziehung wie auch von Steuerflucht.
April. Der G20-Gipfel setzt die Schweiz unter Druck, sie figuriert auf einer grauen Liste der Steuerparadiese.
August. Die Schweiz und die USA treffen eine Vereinbarung im Fall der UBS. Die USA verzichten auf die Herausgabe der Daten von 52’000 Kontoinhabern. Die zwei Regierungen sichern sich administrative Unterstützung zu bei der Suche nach 4450 Konten von 4200 Kunden der UBS.
September. Die Schweiz unterzeichnet 12 Abkommen zur Doppelbesteuerung. Sie wird von der grauen Liste der OECD gestrichen.
November. Die Schweizer Regierung schlägt dem Parlament vor, die Abkommen zur Doppelbesteuerung dem fakultativen Referendum zu unterstellen.
Die Europäische Union verschiebt ein Abkommen über die Zinsbesteuerung für die Mitgliedsländer auf 2010. Das Bankgeheimnis in Österreich und Luxemburg ist gefährdet. Der Druck auf die Schweiz wird weiter bestehen.
Die Schweiz ist entschlossen, den automatischen Informationsaustausch abzulehnen.
Von Fall zu Fall ist die administrative Unterstützung gewährleistet, sofern die Anfragen gerechtfertigt sind.
Die «Fishing Expeditions» (das verfassungswidrige Ausforschen) sind verboten.
Durch das Doppelbesteuerungsabkommen ist der Informationsaustausch auf die Quellensteuer beschränkt.
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