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«Die EZB sollte die Zinsen sofort erhöhen»

Kopf von Aymo Brunetti
Inflation besser auf tiefem Niveau kontrollieren, sagt der renommierte Schweizer Ökonom Aymo Brunetti im Geldcast. Geldcast

"Irrwitzig expansiv": So kommentiert der renommierte Schweizer Ökonomieprofessor Aymo Brunetti die derzeitige Fiskalpolitik in den Vereinigten Staaten. Im "Geldcast" von swissinfo.ch hält er nach der Krise steigende Preise für "sehr denkbar".

«Für mich war das mein tägliches Brot: Gegen den Strich zu bürsten.» Das sagt Aymo Brunetti, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern, über seine Arbeiten aus den 1990er-Jahren.

Er forderte schon damals von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) einen Mindestkurs gegenüber dem Euro. Die SNB hätte damit eine Aufwertung des Frankens bei der Einführung der Gemeinschaftswährung verhindern können. Bei der damaligen SNB-Spitze fand er dafür aber kein Gehör.

Die Wechselkurspolitik der Nationalbank

Erst während der Eurokrise von 2011 führte die Nationalbank eine Wechselkurs-Untergrenze ein. Bis 2015 musste für einen Euro mindestens 1.20 Franken bezahlt werden.

Der aktuelle Geldcast mit Aymo Brunetti zum Hören:

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Für Brunetti eine gute Sache. Er sagt: «Der Wechselkurs ist absolut entscheidend für die Schweizer Geldpolitik.» Wird der Schweizer Franken nämlich zu stark, verteuern sich die Schweizer Produkte im Ausland. Das bremst die Schweizer Wirtschaft.

Die Nationalbank müsse aber «überzeugend» auftreten, wenn sie ein Wechselkursziel verfolge, so Brunetti. «Nur dann kann die SNB ein Mindestkurs ohne viel Interventionen verteidigen.»

Fabio Canetg und Aymo Brunetti stehen in einem Garten im Sonnenlicht.
Geldcast-Host Fabio Canetg (links) und Aymo Brunetti, der vor Inflationsrisiken warnt. Geldcast

Was hält Brunetti von der Geldpolitik der SNB während der Coronakrise? «Die Nationalbank hätte einen neuen Mindestkurs ankündigen können», so Brunetti. Doch der wäre teuer geworden. Der Grund: «Einen Mindestkurs kann die Nationalbank mit vertretbaren Kosten wohl nur alle paar Jahrzehnte machen – und nicht alle fünf Jahre.»

Autor Fabio CanetgExterner Link hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geld­politik doktoriert. Heute ist er Dozent an der Universität Neuenburg.

Als freischaffender Journalist schreibt er für swissinfo.ch und die Republik. Er moderiert den Geldpolitik-Podcast «GeldcastExterner Link«.

Das sei so, weil die Zentralbanken immer überraschend aus einem Mindestkurs aussteigen müssten – genau so, wie es die SNB im Jahr 2015 gemacht habe. Ein neuerlicher Mindestkurs wäre darum weniger glaubwürdig.

Es sei aber «gut möglich», so Brunetti weiter, dass die SNB während der Krise eine inoffizielle Wechselkurs-Untergrenze verteidigt habe. Für die Schwächung des Schweizer Frankens hat die Nationalbank alleine im letzten Jahr 110 Milliarden Franken aufgewendet.

Kommt nach der Krise die Inflation?

Für die Zeit nach der Krise befürchtet Brunetti für die USA einen Inflationsschub: «Momentan ist die Situation so, dass eine Inflation sehr denkbar ist», sagt der ehemalige Chefökonom des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO).

Das habe auch mit Präsident Biden zu tun: Dessen Fiskalpolitik sei «irrwitzig expansiv». Auch andere bekannte Ökonomen warnen vor einer Überhitzung der amerikanischen Wirtschaft, darunter der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers.

Wegen der aussergewöhnlichen Situation rät Brunetti zur Bescheidenheit: «Je älter man wird, desto mehr sieht man, dass die grundsätzlichen Gesetze der Ökonomie in Kraft bleiben.» Damit spielt Brunetti auf den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation an: Wenn der Arbeitsmarkt ausgetrocknet ist und die Inflationserwartungen plötzlich steigen, dann steigt auch die Inflation.

Das kann schnell ausser Kontrolle geraten, warnt Brunetti: «Wenn die Inflation über drei bis vier Prozent liegt, gehen in der Regel Lohn-Preis-Spiralen los». Diese aber wären nur schwer zu bremsen. «Die historische Erfahrung spricht nicht dafür, dass man eine stabile Inflation von drei bis fünf Prozent längerfristig aufrechterhalten kann.» Die US-Notenbank Fed möchte nach der Krise eine Inflation von über zwei Prozent zulassen. «Davon halte ich gar nichts», sagt Brunetti.

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Er ist überzeugt: Die Geldpolitik sollte kein Punktziel für die Inflation haben. Brunetti findet: «Das ist eine Machtanmassung der Zentralbanken.» Diese bekämen es schlicht nicht hin, die Inflation auf zwei Prozent zu erhöhen. Es sei «viel besser», wie die SNB eine Inflation zwischen null und zwei Prozent anzustreben. Denn, so Brunetti: «Ich sehe das Risiko von tiefer Inflation nicht.»

Steigende Zinsen sind ein Risiko für die Finanzmärkte

Doch was geschieht, wenn die Inflation tatsächlich kommt? Für Brunetti ist die Sache klar: Dann werden die Zentralbanker die Zinsen anheben. «Das ist an sich kein Problem – wenn es langsam geht», sagt er. Doch einen schrittweisen Ausstieg aus den tiefen Zinsen erachtet er als eher unwahrscheinlich. Der Grund: Die Zentralbanken hätten nach der Finanzkrise von 2008 lange mit Zinserhöhungen zugewartet – oder diese gar nicht erst in Angriff genommen.

«Es besteht darum die Gefahr, dass die Zinserhöhungen in den USA und in Europa wegen einer plötzlich steigenden Inflation schnell kommen müssen», so Brunetti. Das sei ein Risiko. Höhere Zinsen führen nämlich dazu, dass die Anlegerinnen ihre Aktien verkaufen, weil das Banksparen wieder attraktiv wird. «Viele Bewertungen an den Finanzmärkten sind so hoch, dass schon leichte Zinserhöhungen einen starken Effekt hätten», warnt Brunetti. Die EZB sollte deshalb «sofort» mit kleinen Zinsschritten beginnen.

Alle früheren Ausgaben des Geldcast Externer Linkauf einen Blick.

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