Ein Drittel der Schweizer Unternehmen ausspioniert
Die Schweiz ist attraktiv für Spione: Wichtige Forschungsinstitute, internationale Organisationen sowie hochspezialisierte Industrieunternehmen sind hier angesiedelt. Erstmals zeigt eine Studie das Ausmass von Wirtschaftsspionage in der Schweiz.
Ein typisches Beispiel von Wirtschaftsspionage: Jemand kontaktiert über die sozialen Netzwerke einen Angestellten eines Schweizer Industriebetriebs, um ihn über Produktionsmethoden auszuhorchen. Später tauchen ähnliche, aber deutlich billigere Produkte auf dem Markt auf, so dass die Schweizer Firma Absatzprobleme bekommt und in ihrer Existenz bedroht ist.
Solche Beispiele häufen sich. Wirtschaftsspionage hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Wie stark, dazu fehlten für die Schweiz bisher verlässliche Zahlen. Häufig merken Unternehmen gar nicht, dass sie ausspioniert wurden. Oder sie verzichten aus Angst vor einem Reputationsverlust auf eine Meldung an die Behörden.
Ein Drittel der Unternehmen betroffen
Um die PräventionExterner Link verbessern zu können, hat der Nachrichtendienst des Bundes das Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität BernExterner Link beauftragt, das Ausmass der Wirtschaftsspionage in der Schweiz zu erforschen.
Die kürzlich publizierte StudieExterner Link zeigt Erstaunliches: Ein Drittel der befragten Unternehmen aus potenziell gefährdeten Branchen gaben an, mindestens einmal Opfer von Wirtschaftsspionage gewesen zu sein. 11% waren durch die Spionage in ihrer Existenz gefährdet. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer Studie aus Deutschland, wo jedes dritte KMU Opfer von Wirtschaftsspionage wurde.
Wie die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern dasteht, wurde nicht untersucht. «Die wichtige Aussage der Studie ist, dass die Schweiz betroffen ist und zwar in einem ernst zu nehmenden Ausmass», sagt Irene Marti vom Institut für Strafrecht und Kriminologie.
Ausspioniert werden sowohl grosse Unternehmen mit internationalem Renommee als auch KMU. In den Branchen Maschinenbau und Industrie sowie Pharma und Life Science gibt es am meisten Spionagevorfälle, aber auch Baugewerbe, Informatik, Telekommunikation, Verlagswesen, Raumfahrttechnik und Rüstungsindustrie sind besonders betroffen.
Wer spioniert?
Laut Marti ist es in den meisten Fällen schwierig, zu identifizieren, woher der Angriff kam, insbesondere wenn die Firma durch Cyberattacken ausspioniert wurde.
«Gemäss den Aussagen der befragten Unternehmen waren bei den entdeckten Fällen häufig ehemalige oder aktuelle Mitarbeitende des Unternehmens involviert, zum Teil auch in Zusammenarbeit mit einem Konkurrenten», so Marti. In 10% der Fälle war ein Konkurrent aus dem Ausland der Auftraggeber.
Zum grossen Teil stammten die Täter und Täterinnen aus der Schweiz, Deutschland, China oder Italien.
Wie gefährlich ist die Spionage?
Laut Marti stellt Wirtschaftsspionage eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Schweiz dar, insbesondere wenn man an die zukünftige Entwicklung denke: «Die digitalen Möglichkeiten werden immer vielfältiger, gleichzeitig sind Geschäftsdaten und Geschäftskommunikation zunehmend digital, wodurch auch die Spionagemöglichkeiten umfangreicher und technisch einfacher werden.»
Auch der Schweizer Nachrichtendienst stuft die Bedrohung als ernsthaft ein und führt deshalb seit 2004 das Präventions- und Sensibilisierungsprogramm ProphylaxExterner Link.
«Aufgrund der Studie liegen nun erstmals konkrete Zahlen sowie verlässliche Daten zu Fallzahlen, Täterschaft, tatsächlichen Schäden und betroffenen Branchen vor», sagt Lea Rappo vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Die Ergebnisse ermöglichten es dem NDB, Prophylax noch stärker auf die Bedürfnisse der Kunden auszurichten und somit den Forschungs- und Wirtschaftsplatz Schweiz noch effizienter zu schützen.
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