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«WM bringt Infrastruktur Brasiliens nicht voran»

Die Fussball-WM vermag die Investitionsengpässe in Brasilien nicht zu beseitigen, sagt Ökonom Carlos Braga vom IMD in Lausanne. IMD

Sportliche Grossevents tragen nur in Ausnahmefällen nachhaltig zur Wirtschaft des Veranstalterlandes bei. Dies werde auch im Falle der Fussball-Weltmeisterschaften 2014 in Brasilien nicht anders sein, sagt Carlos Braga, brasilianischer Wirtschaftsprofessor am IMD in Lausanne.

So frenetisch die Brasilianer ihre Heim-WM feiern könnten, so gering würden die positiven Auswirkungen für die Wirtschaft des Schwellenlandes sein, sagt Braga im Interview. Grosse Gewinne lockten aber in einzelnen Bereichen wie etwa dem Marketing.

swissinfo.ch: 2014 ist Brasilien Gastgeber der Fussball-WM. Welches sind Ihre Erwartungen, gemessen an den strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes ?

Carlos Braga: Die Herausforderungen haben nichts mit den Fussball-Weltmeisterschaften zu tun. Brasilien kämpft noch immer mit Infrastrukturproblemen, denn es wird weit unter Bedarf in diesen Sektor investiert. Vor dem Hintergrund des Investitionsmodells der vergangenen 10 Jahre hat das Land eine Reihe von Engpässen angehäuft. Zwar war es erfolgreich, indem es soziale Ungerechtigkeiten verminderte. Doch dies gründet allein auf Konsumwachstum.

Das Modell funktionierte während der ersten Regierungsperiode Lulas, ist nun aber ausgeschöpft. Es ist äusserst schwierig, mit den bestehenden Engpässen in der Infrastruktur ein Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten, das allein auf Konsum gründet. 

swissinfo.ch: Welche Rolle spielen da die Fussball-Weltmeisterschaften? 

C.B.: Sie sind ein festlicher und sportlicher Anlass und die Brasilianer sind bekannt für die Organisation grandioser Feste. Man erwartet einen Anlass, der viele mit Begeisterung erfüllen wird und in einigen Bereichen, wie z.B. Marketing, raffiniert sein wird. Wahrscheinlich wird am meisten in Marketing investiert und dort warten auch die Gewinne. Doch die Hoffnung, dass der Anlass gross zur Infrastruktur des Landes beiträgt, ist falsch.

Brasiliens Protest im Sommer 2013 als Volksbewegung (Tagesschau SRF vom 21.06.2013)

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swissinfo.ch: Welches sind denn die Investitionen in Stadien?

C.B.: Dank den Fussball-Weltmeisterschaften ist es möglich, Stadien zu verbessern und neue zu bauen; in einigen Fällen werden es aber so genannte weisse Elefanten werden (Sportstätten, die eigens für einen Grossanlass gebaut werden und danach aus Kostengründen nicht mehr genutzt werden, die Red.), wie z.B. in Manaus und Brasilia. Ihre Kapazität übersteigt die dortige Nachfrage, die lokalen Fussballteams nehmen nicht an der nationalen Fussball-Meisterschaft teil. So stellt sich die Frage, wie hoch die Kosten für die Instandhaltung und Benützung dieser Stadien sein werden.

Aber in den Fussball-Hochburgen Sao Paulo, Río de Janeiro und Belo Horizonte dürften Investitionen eine grössere Wirkung haben, denn eine bessere Infrastruktur für die Fans könnte tatsächlich mehr Publikum in die Stadien locken.

Der 60-jährige Carlos Alberto Primo Braga ist Professor für internationale Wirtschaftspolitik am International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne sowie Direktor der Evian Group.

Letzterer gehören Unternehmens- und Regierungsvertreter sowie Meinungsführer an und sie setzt sich die Förderung einer globalen, egalitären, offenen und nachhaltigen Marktwirtschaft zum Ziel.

Braga ist ausgebildeter Ingenieur für Maschinenbau des brasilianischen Instituts für Luftfahrt (ITA) und hat einen Doktortitel für Nationalökonomie der Universität von Illinois (USA).

Verheiratet und Vater zweier Kinder, blickt er auf eine lange Karriere in der Weltbank zurück. 2012 trat er als Direktor der Weltbank für internationale Beziehungen in Europa zurück, um die neue Herausforderung am IMD anzunehmen.

swissinfo.ch: Teilen Sie die Behauptung des britischen Journalisten und Autors Simon Kuper, es sei ein Mythos, dass Fussballweltmeisterschaften die Wirtschaft ankurbeln?

C.B.: Aus ausschliesslich wirtschaftlicher Sicht sind die direkten Auswirkungen der Fussball-Weltmeisterschaften im Vergleich zur Grösse Brasiliens relativ gering. Natürlich taucht die Frage der Prioritäten für Investitionen auf. Sogar in einem Land von Fussball-Verrückten ist die Unzufriedenheit einiger Bevölkerungsschichten mit den Ausgaben für die Stadien nachvollzierbar.

Doch dies ist nicht nur ein Problem Brasiliens, sondern aller Veranstalter von Sport-Grossevents. Die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi sind vielleicht ein Paradebeispiel für überrissene Ausgaben. Natürlich werden die am Anlass Beteiligten immer die positive Seite hervorstreichen, wie Städtesanierung oder die Imageverbesserung des Landes,. Doch allgemein bestätigt die Erfahrung, dass die Kosten höher sind als die wirtschaftlichen Vorteile.

swissinfo.ch: Gibt es ein positives Beispiel?

C.B.: Barcelona. Die Hauptstadt Kataloniens hatte einen Stadtplan, in den sich die Olympischen Sommerspiele 1992 sehr gut einfügten. Es ist eines der wenigen Beispiele, wo man langfristig das positive Ergebnis sehen kann. Für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Río kann ich bestätigen, dass das olympische Komitee sehr professionell arbeitet und eine positive Auswirkung bleiben wird.

Doch im Falle der Fussballweltmeisterschaften reden wir von Investitionen, die auf 12 Städte verteilt sind und die wahrscheinlich nicht, wie ursprünglich geplant, vollständig umgesetzt werden.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielen die politischen Proteste vor diesem Hintergrund. Der Auftakt war ja bereits letztes Jahr erfolgt.

C.B.: Im Land herrschen allgemein Angst und Unzufriedenheit. Der Erfolg der Sozialprogramme mit dem Wachstum des Mittelstandes hat zum sozialen Missbehagen beigetragen. Wenn die Menschen anfangen, Steuern zu bezahlen, achten sie vielmehr auf Prioritäten, also wofür der Staat Geld ausgibt. Und sie fordern auch mehr. Folglich wird es auch 2014 Demonstrationen geben. Ich glaube aber, dass sie unter Kontrolle gehalten werden können.

Doch für das Image des Landes könnte es heikel sein und der Schuss geht manchmal nach hinten los. Viele haben nicht bemerkt, dass Brasilien sozial so gut vernetzt ist wie die Erste Welt. Jedermann ist vernetzt. Dies schafft andere Organisationsformen und soziale Bewegungen, die der Regierung und dem Status quo Überraschungen bescheren können.

swissinfo.ch: Die Brasilianer sind hoch verschuldet, v.a. dank Billigkrediten. Ist dies eine Gefahr für die Wirtschaft?

C.B.: Im Allgemeinen geht es dem brasilianischen Finanzsektor gut. Die Mehrheit der Grossbanken weist gute Zahlen aus. Die Kreditexpansion war wirklich signifikant. Das auf Konsumwachstum gründende Modell bedeutet an sich keine Gefahr für den Finanzsektor. Es stimmt auch, dass dank der Krediterweiterung Familien mit niedrigem Einkommen höher verschuldet sind. Man kann sich fragen, ob dies nachhaltig ist.

Ich halte das Modell des Konsumwachstums für ausgeschöpft. Der Schwerpunkt muss nun auf Massnahmen gesetzt werden, die das Sparen und Investitionen fördern. Das Schwierige dabei ist die Frage, wie der Wandel vollzogen werden kann, ohne v.a. bei den niedrigeren Einkommensschichten traumatische Auswirkungen zu verursachen.

swissinfo.ch: Sowohl Brasilianer als auch Ausländer sorgen sich wegen der überhöhten Preise für Flugtickets und Hotelzimmer in den Austragungs-Städten. Wohin führt eine solche Preisexplosion?

C.B.: Es werden zusätzliche 3 Millionen ausländische Touristen erwartet und viele werden länger bleiben. Schon seit längerer Zeit ist Brasilien ein Dreistern-Hotel mit Preisen für ein Fünfstern-Hotel. Das Land verfügt nicht über die notwendige Infrastruktur für Tourismus. Es gab Steueranreize zum Bau neuer und zum Ausbau bestehender Hotels, doch es besteht weiterhin ein Mangel an Hotelbetten. Die in der Wirtschaft bestehenden Verzerrungen beweisen eindeutig, dass der Markt hier nicht funktioniert.

swissinfo.ch: Die Schweiz startete vor kurzem in Brasilien eine millionenschwere dreijährige Werbekampagne, die von den Fussball-Weltmeisterschaften bis zu den Olympischen Spielen dauern soll. Sind solche Initiativen zur Förderung des gegenseitigen Handelsaustausches effizient?

C.B.: Auch in Brasilien ist die Schweiz ein starkes Label. Für multinationale Firmen wie Nestlé oder Novartis, die in Brasilien bereits etabliert sind und ihre eigenen Werbekampagnen haben, wird die Kampagne kaum einen Unterschied ausmachen. Doch für KMU ist sie vielleicht von grösserem Nutzen.

swissinfo.ch: In den vergangenen Jahren zeigten Schweizer KMU Interesse für den brasilianischen Markt, trafen aber auf nicht wenige Schwierigkeiten. Welches sind die Hindernisse?

C.B.: Der Komponist und Musiker Tom Jobim pflegte zu sagen, dass Brasilien nichts für Anfänger sei. Dies trifft gerade auf KMU zu. Nicht nur Brasilien, sondern auch die übrigen BRIC-Länder haben ein sehr komplexes Geschäftsumfeld. Im Bericht der Weltbank Doing Business2014, der die Geschäftsumwelt von 189 Ländern analysiert, steht Brasilien auf Platz 116. In den vergangenen Jahren hat es sich nur geringfügig verbessert. Um Geschäfte tätigen zu können, wählen Schweizer KMU schliesslich Partnerschaften.

swissinfo.ch: Dieses Jahr gibt es in Brasilien auch Wahlen. Können die Fussball-Weltmeisterschaften das Wahlergebnis beeinflussen?

C.B.: Sollte es in Bezug auf Logistik, Verkehr und Kundgebungen eine grosse Katastrophe geben, so könnten sie die Wahlen für die Regierung negativ  beeinflussen. Wenn jedoch die Organisation des Anlasses ein Erfolg ist, kann dies für die Regierung und auch für die beteiligten Bundesstaaten positiv sein.

(Übersetzung aus dem Portugiesischen: Regula Ochsenbein)

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