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Wie Katar sich als Vorreiter der Sportethik inszeniert

Mohammed Hanzab
Mohammed Hanzab, Gründer und CEO von CISS bei einem UNO-Anlass. AFP

Die Sports Integrity Global Alliance SIGA ist der zweite Pfeil im Köcher von ICSS-Präsident Mohammed Hanzab. Die Organisation stiess auf die gleichen Probleme: Mangel an Transparenz und Glaubwürdigkeit.

Die Gründung der neuen Organisation war laut SIGAExterner Link eine Reaktion auf die Forderungen von Stakeholdern. Diese hätten die Gründung eines globalen, unabhängigen und neutralen Gremiums für Sportintegrität gewünscht.

Mohammed Hanzab wurde zum Vizepräsidenten der neuen Organisation ernannt.

Katars Genfer Offensive

Im ersten Teil einer dreiteiligen Serie beleuchten wir wie Katar die Schweiz als Drehscheibe für seine Kampagnen nutzt, um sein öffentliches Image zu verbessern, seit es zum Gastgeber der Fussballweltmeisterschaft 2022 ernannt wurde. In Teil 2 befassen wir uns mit dem International Centre for Sports Security, während Teil 3 über die Sports Integrity Global Alliance berichtet – zwei Institutionen, die von Katar gegründet wurden, ihren Sitz in Genf haben und sich dem Vorwurf mangelnder Transparenz ausgesetzt sehen.

Wie schon der ICSS bemühte sich auch SIGA um Anerkennung und Unterstützung durch angesehene internationale Organisationen, Unternehmen und Expert:innen.

Eine davon war das Basel Institute on Governance, eine Non-Profit-Organisation, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat.

Mark Pieth, einer der Gründer des Instituts und ein bekannter Experte für Korruptionsbekämpfung, war zuvor mit der Überwachung eines Reformprozesses beim Weltfussballverband FIFA betraut worden.

Mark Peith
Der Schweizer Antikorruptionsexperte Mark Peith. Walter Bieri/Keystone

Die neue Sportgruppe behauptete prompt, dass die Schweizer Organisation eine feste Unterstützerin der SIGA sei.

Gemma Aiolfi, Leiterin der Abteilung Compliance und Corporate Governance des Basler Instituts, schrieb auf Anfrage von swissinfo.ch, dass sich das Institut ursprünglich wegen des Kernzwecks von SIGA angesprochen gefühlt habe.

«Zusammen mit vielen anderen haben wir die Ambition von SIGA unterstützt», sagt sie und verweist auf einen allgemeinen Mangel an Standards für Integrität und Ethik im Sport.

«SIGA hat sich an uns gewandt, weil wir über Fachwissen und Erfahrung in den Bereichen Governance und Korruptionsbekämpfung verfügen.»

SIGA holte auch Politiker:innen wie Emanuel Macedo de Medeiros von der portugiesischen Inselgruppe der Azoren an Bord. Medeiros hatte unter dem ehemaligen Premierminister José Manuel Barroso die Führung der sozialistischen Partei im Bezirk Porto übernommen.

Er gehörte der ICSS an und wurde später Geschäftsführer von SIGA. Er wurde Anfang dieses Jahres einstimmig wiedergewählt.

Katie Simmonds, eine britische Sportanwältin, schlug einen ähnlichen Weg ein, indem sie zunächst bei ICSS als Leiterin der Abteilung für Governance und finanzielle Integrität tätig war und später «Mitbegründerin» und Chief Operating Officer von SIGA wurde.

Während der Bauarbeiten in Katar für die Fussballweltmeisterschaft 2022 häuften sich Berichte über Misshandlungen und Todesfälle unter den Wanderarbeiter:innen. Diese belasteten das positive Bild zunehmend, welches das Land so gerne vermitteln wollte. Arbeiter:innenExterner Link aus armen Ländern in Süd- und Ostasien wurde oft der Lohn verweigert. Sie durften den Arbeitsplatz nicht wechseln und konnten das Land nicht frei verlassen. Einige erhielten auch harte Strafen, wenn sie das System kritisierten.

Eine von der britischen Zeitung «Guardian» durchgeführte UntersuchungExterner Link kam zum Schluss, dass in Katar zwischen 2010 und 2020 mindestens 6700 Wanderarbeiter:innen starben. Es ist jedoch unklar, wie viele dieser Arbeiter:innen bei den Bauprojekten der Fussballweltmeisterschaft beschäftigt waren. Die katarischen Behörden geben an, dass 37 Arbeiter:innen während ihrer Arbeit auf den Turnierbaustellen gestorben sind, wobei nur drei dieser Todesfälle auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf hat ihrerseits eine, wie sie es nennt, «eingehende AnalyseExterner Link» der arbeitsbedingten Todesfälle in Katar durchgeführt und kam zum Schluss, dass im Jahr 2020 50 Arbeiter starben, über 500 schwer verletzt wurden und 37’600 leichte Verletzungen erlitten – und das alles hauptsächlich in der Bauindustrie.

Unter Druck des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) mit Sitz in Genf und der ILO kündigte Katar sieben Jahre nach dem Erhalt des Zuschlags Reformen der Arbeitsbedingungen an, darunter ein Verbot der Mittagsarbeit im Freien während der Sommermonate, die Erlaubnis für Arbeitnehmende, Katar ohne Erlaubnis des Arbeitgebers zu verlassen, und die Einführung eines Mindestlohns.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights WatchExterner Link bilanzierte, diese Massnahmen seien «völlig unzureichend und werden nur unzureichend umgesetzt».

Auch Korruptionsermittlungen im Zusammenhang mit dem Bewerbungsverfahren wurden eingeleitet. Ende 2021 stellte das US-JustizministeriumExterner Link fest, dass eine Reihe von FIFA-Funktionären Bestechungsgelder erhalten hatten, um 2010 für Katar zu stimmen.

Und in Frankreich laufen Ermittlungen zu einem Treffen zwischen dem ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, dem ehemaligen Präsidenten des europäischen Fussballverbands UEFA, Michel Platini, und dem katarischen Emir wenige Tage vor der erfolgreichen Bewerbung. Der Vorwurf lautet, dass wirtschaftliche Vorteile im Austausch für eine französische Stimme erlangt wurden. Es wurde keine Anklage erhoben.

Wenige Wochen vor dem Anpfiff der Weltmeisterschaft bezeichnete Tamim Bin Hamad Al-Thani, der Emir von Katar, die Veranstaltung in einer Rede vor dem Schura-Rat, dem gesetzgebenden Organ, als «grosses humanitäres Ereignis». Er verurteilte die Kritik an Katar als «Fälschungen».

*Dieser Artikel wurde am 17. November geändert und mit zusätzlichen Informationen über die Zahl der mutmasslich in Katar verstorbenen Wanderarbeiter:innen ergänzt.

«[Die SIGA-Verantwortlichen] haben erkannt, dass sie den Eindruck erwecken mussten, dass sie für die Integrität des Sports eintreten und nicht von Katar abhängig sind», sagt Jens Sejer Andersen, Direktor von Play the Game, einer von Dänemark unterstützten Initiative zur Verbesserung von ethischen Standards, Demokratie und Transparenz im Sport.

Für Andersen bietet die neue Sportorganisation mehr von dem, was schon beim ICSS zu beobachten war. «SIGA ist sehr gut darin, schöne Reden zu halten und prestigeträchtige Veranstaltungen zu organisieren, hochrangige Leute zu versammeln und sich auf all die Fragen der Integrität des Sports zu konzentrieren, die nichts mit Katar zu tun haben.»

Jens Sejer Andersen
Jens Sejer Andersen, Gründer von Play the Game, einer von Dänemark unterstützten Initiative zur Verbesserung der ethischen Standards im Sport Thomas Søndergaard/playthegame

SIGA in Aktion

«SIGA ist Teil einer kollektiven Anstrengung, die Branche in eine neue Ära zu führen, in der Governance und Integrität an erster Stelle stehen und in der sich alle Organisationen und Akteur:innen zu einer Vision zusammengefunden haben, die gemeinschaftlich und positiv ist und auf sinnvolle Reformen abzielt», so Medeiros gegenüber SWI.

Laut Medeiros hat der Verband ein unabhängiges Bewertungssystem entwickelt, um sicherzustellen, dass die Sportorganisationen ein gewisses Mass an Compliance-Standards einhalten.

Bislang ist die Zahl der Organisationen, die bewertet wurden, jedoch überschaubar. Auch sind die Einzelheiten darüber, wie die Bewertungen vorgenommen werden, nicht bekannt.

Letztes Jahr gab die Europäische Rugby-Liga bekanntExterner Link, dass sie nach dem SIGA-Bewertungssystem eine nahezu perfekte Compliance-Note erreicht hatte, wobei sie aufgrund von Schwächen bei der Vielfalt und der unbegrenzten Amtszeit von Direktor:innen 2,5 Prozentpunkte hinter dem Maximum zurückblieb.

Ähnlich wie beim ICSS standen auch bei der SIGA Spielmanipulationen im Mittelpunkt vieler Diskussionen. Themen wie Korruption bei der FIFAExterner Link oder die Kontroverse um die WM-Bewerbung Katars wurden dagegen bei SIGA kaum diskutiert.

Zu diesem Schluss kommt der freiberufliche Journalist Andy Brown, der beide Organisationen untersucht hat. 2014 hat er an einer kurzlebigen ICSS-Zeitschrift mitgewirkt.

Laut Brown wurden SIGA-Berichte über Spielmanipulationen mit den nationalen Verbänden geteilt, bevor sie veröffentlicht wurden.

«Die Aufgabe von SIGA und ICSS scheint darin zu bestehen, Sportverbände auf ein Problem aufmerksam zu machen, bevor es öffentlich bekannt wird», so Brown gegenüber swissinfo.ch. Sie hätten immer dieselbe Botschaft, nämlich: ‹Es ist an der Zeit, Spielmanipulationen zu beenden – sie ruinieren den Sport.›

«Sie sagen das immer wieder, aber sie scheinen nie wirklich etwas zu tun. Es wird nie etwas unternommen», so Brown.

Eine einwöchige KonferenzExterner Link, die Mitte September in Portugal stattfand, zeigte die Arbeitsweise der Organisation. Eine Schar von Funktionär:innen verschiedener Sportorganisationen, darunter viele aus Portugal, und mehrere Sportler:innen diskutierten über die Führungsrolle von Frauen, Sicherheit und den Schutz von Kindern im Sport.

Die Teilnehmer:innen gaben Erklärungen zu ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Integrität im Sport ab, und viele von ihnen wurden von SIGA mit Preisen für ihre Leistungen ausgezeichnet.

Illustration
swissinfo.ch

Hanzab, der eine programmatische Rede hielt, retweeteteExterner Link einen Post, wonach die UNO-Abteilung für Sozialpolitik und Entwicklung eine Kooperationsvereinbarung mit SIGA unterzeichnen werde.

Der Präsident des Europäischen Fussballverbands, Aleksander Čeferin, war ebenfalls anwesend und lobte die UEFA als Vorreiterin in Sachen Sportintegrität. Sein Vorgänger bei der UEFA, Michel Platini, erhielt von Sepp Blatter zwei Millionen Schweizer Franken als Bezahlung für seine Beratungstätigkeit.

Im Juli 2022 Jahres sprach ein Schweizer Gericht beide Männer vom Vorwurf des Betruges frei. Im Oktober legte die Schweizer Bundesanwaltschaft Berufung gegen die Freisprüche ein.

Javier Tebas, Präsident der spanischen Fussballliga, der seit langem den von Katar finanzierten Fussballverein Paris Saint-Germain (PSG) kritisiert, verurteilte in seiner RedeExterner Link die Geldspritzen von Staaten für den Sport. Als Beispiel nannte er das von den Saudis gesponserte Golfturnier LIV.

Er wies auch auf den Interessenskonflikt von Nasser Al-Khelaifi hin, der sowohl Präsident von PSG als auch der European Club Association ist, einer unabhängigen Organisation, die Fussballvereine in ganz Europa vertritt.

Nasser Khelaifi
Nasser Khelaifi, Eigentümer des Fussballclubs PSG und Vorsitzender der Europäischen Clubvereinigung. AFP

Finanzierung und Rechenschaftspflicht

Genau wie dem ICSS mangelt es SIGA an finanzieller Transparenz und sie hat eine dubiose Adresse. Auf ihrer WebsiteExterner Link ist ein Standort in Genf, Rue de la Croix d’Or, 17A, angegeben. Dort befindet sich ein Gebäude, in dem mehrere Vermögensverwaltungsfirmen untergebracht sind, aber kein Hinweis auf die Organisation.

Aus dem letzten Jahresabschluss, der auf der SIGA-Website veröffentlicht und von der Genfer Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft OC Révision Sàrl geprüft ist, geht hervor, dass sich die Einnahmen der Gruppe im Jahr 2020 auf knapp 660’000 Franken beliefen, die hauptsächlich aus den Mitgliedsbeiträgen stammen.

Die Beiträge der einzelnen Mitglieder wurden jedoch seit 2018 nicht mehr veröffentlicht. Damals stimmten die Zahlen auf verschiedenen Teilen der Website nicht überein.

Nur 434’000 GBP (566’370 Franken gemäss Wechselkurs von 2018) an Mitgliedsbeiträgen wurden unter dem Abschnitt «Bezahlte Mitglieder» aufgeführt, der angeblich die Zahlungen von Einzelmitgliedern ausweist. In der erklärten Gewinn- und Verlustrechnung werden jedoch 679’000 Franken für die gesamten Mitgliedsbeiträge angegeben.

Die Verwaltungskosten sind laut der SIGA-Website in den letzten Jahren ziemlich stabil geblieben. Im Jahr 2020 wurden die Gehälter für das gesamte Jahr mit 1286 Franken angegeben, plus nicht näher spezifizierte Beratungshonorare in Höhe von 171’133 Franken. Im Jahr 2019, also vor der Pandemie, beliefen sich diese Ausgaben auf 220’078 Franken.

Auf Anfrage, wie es um seine eigene Entlohnung bestellt sei, sagt Medeiros: «Ich bin kein Angestellter einer Organisation. Ich erbringe nur gelegentlich Dienstleistungen.»

Die OC Révision erklärte, sie sei nicht in der Lage, Fragen zu den von ihr im Auftrag der SIGA erstellten Jahresabschlüssen zu beantworten.

Laut der SIGA-Website waren die grössten Geldgeber von SIGA im Jahr 2018 Qatar Airways, ICSS Insight, eine gemeinnützige Einrichtung, die mit ICSS verbunden ist, und Mastercard, die jeweils 70’000 GBP (76’644 Franken) gespendet haben sollen.

Das Emirat möchte ein globaler Player im internationalen Sport werden. Seit 2010 ist die staatliche Fluggesellschaft Qatar Airways offizielle Sponsorin internationaler Top-Fussballmannschaften, darunter auch PSG.

Das millionenschwere Trikotsponsoring für die Mannschaft im Jahr 2022 erfolgte zwei Jahre, nachdem die Regierung der Fluggesellschaft nach pandemiebedingten Verlusten aus der Patsche helfen musste.

Katars Staatsfonds unterstützte zudem den FC Barcelona. Im Jahr 2013 ersetzte ein weiteres Sponsoring der Fluggesellschaft diese Unterstützung. Schliesslich forderten Fans den Klub auf, den Millionen-Vertrag wegen der anhaltenden Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fussballweltmeisterschaft 2022 aufzulösen.

Michael Robichaud, Senior-Vizepräsident für globales Sponsoring bei Mastercard, wurde dieses Jahr am internationalen Frauentag für seine Verdienste um die Integrität des Sports mit einem SIGA-Preis ausgezeichnet. Er lehnte es ab, sich gegenüber SWI swissinfo.ch zur Verbindung von Mastercard mit SIGA zu äussern.

«Wir haben die Organisation unterstützt», bestätigt Mastercard-Sprecher Jim Issokson auf Anfrage von SWI swissinfo.ch. Mastercard gebe aber keine Einzelheiten über das Sponsoring bekannt.

Auf der SIGA-Plattform wird behauptet, dass das Basel Institute on GovernanceExterner Link in den Jahren 2017 und 2018, dem letzten Jahr, in dem einzelne Spenden öffentlich ausgewiesen wurden, 4000 GBP gespendet habe.

Aber das Basler Institut stellt dies anders dar. Laut Aiolfi, Leiterin der Abteilung Compliance und Corporate Governance, ist nur eine einzige Zahlung im Jahr 2017 in Höhe von 4000 Franken an SIGA erfolgt.

Nachdem das Institut 2017 und Anfang 2018 Unterstützung bei der Entwicklung von Richtlinien und Governance-Dokumenten angeboten hatte, plante SIGA laut Aiolfi, «die Finanzierungsquellen zu diversifizieren». Sie wisse jedoch nicht, ob der Plan jemals umgesetzt worden sei.

Die Pro-Bono-Arbeit des Instituts endete 2018. «Wir hatten kaum eine Beziehung zu SIGA seit unserer Unterstützung bei der Gründung der Organisation», so Aiolfi.

Laut der SIGA-Website gehören zu den Mitgliedern und Unterstützer:innen eine Reihe von Vertreter:innen akademischer Zentren, europäischer Sportverbände, von Medienorganisationen, von Gruppen, die sich für Integrität und Ethik in der Gesellschaft einsetzen, sowie von mehreren portugiesischen Sportverbänden, Stiftungen und offiziellen Institutionen.

«Sie haben eine Geschichte der Ungenauigkeit und Übertreibung», sagt Andersen über die Unterstützung, die SIGA angeblich von Dritten erhält. Seiner Meinung nach mangelt es der Organisation an Transparenz, obwohl sie behaupte, sich für mehr Integrität einzusetzen.

«Die Finanzinformationen sind einfach nicht transparent genug, und die Zahlen erscheinen unrealistisch niedrig, wenn man sie mit den luxuriösen Büros und Konferenzräumen vergleicht, die sie nutzen.»

Wie viele andere internationale Sportverbände ist SIGA in der Schweiz als gemeinnütziger VereinExterner Link registriert. Die Gründung eines Vereins ist in der Schweiz sehr einfach. Ein Verein ist zudem nicht verpflichtet, eine Finanzbuchhaltung zu führen oder diese zu veröffentlichen.

Medeiros bestreitet, dass die laschen Schweizer Vorschriften etwas mit der Wahl des Sitzes zu tun haben. «Wir haben uns nicht von künstlichen Faktoren leiten lassen», sagt er. «Unsere Unternehmensführung wird nicht von den Gesetzen des Landes diktiert. Wir gehen weit über das hinaus, was die Schweiz vorschreibt.»

Er verweist auf interne Governance-Kodizes, die Registrierung von SIGA im Transparenzregister der Europäischen Union und «geprüfte, öffentlich genehmigte Finanzberichte».

Kritiker:innen sehen den ICSS und seinen Ableger SIGA als Teil der diplomatischen Strategie Katars, den Sport und die Transparenz (nach eigenen Bedingungen) zu einem wichtigen Instrument seines globalen Einflusses zu machen (siehe weiteren Beitrag dieser Serie).

Anti-Korruptions-Experte Pieth erzählt, dass ihm die Verbindungen von SIGA zu Katar schnell klar geworden seien, als er zu einem ihrer Treffen eingeladen wurde. «Katar ist ein gefährlicher Ort», sagt er. «Ich würde nicht in seine Nähe kommen wollen.»

«Katar hat das gleiche Recht wie jedes andere Land, in die Sportethik zu investieren und die Integrität im Sport zu fördern», sagt Andersen. «Aber was man mit Investitionen nicht kaufen kann, ist Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit liegt im Kopf des Betrachters oder der Betrachterin.»

Kann man einen guten Ruf kaufen? 

Die Fussballweltmeisterschaft in Katar steht kurz bevor, doch das Land hat es schwer, sich Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Die Menschenrechtslage und die Vergabe der Fussballweltmeisterschaft geben heute ebenso viel zu reden wie vor zehn Jahren. Die Verbindungen von SIGA und ICSS zum Emirat haben ihren Ruf geschädigt.

Im Jahr 2018 analysierte die unabhängige französische Medienseite MediapartExterner Link Dokumente, die sie im Rahmen des als Football-LeaksExterner Link bekannt gewordenen Rechercheprojekts erhalten hatte. Sie kam zum Schluss, dass die ICSS in Lausanne einen kuwaitischen Scheich ausspioniert hatte, der eine einflussreiche Persönlichkeit im asiatischen Sport war.

Laut Mediapart hat ICSS es zudem versäumt, die internationalen Behörden zu alarmieren, als der Verdacht auf mögliche Spielmanipulationen während eines Spiels zwischen Katar und Nordkorea im Jahr 2014 aufkam.

Mehrere Medienrecherchen und Untersuchungen von RegierungenExterner Link deuten darauf hin, dass katarische Gelder an die palästinensische Hamas, an Al-Qaida unter anderem in Libyen und Jemen, an ISIS und an die Al-Nusra-Front in Syrien fliessen. Katar bestreitet jedoch, Terrorismus zu unterstützen.

Die Bemühungen Katars, Kritiker:innen zum Schweigen zu bringen, gehen Berichten zufolge unterdessen weiter. Anfang dieses Jahres enthüllte die Associated PressExterner Link eine verdeckte katarische Operation unter Beteiligung eines ehemaligen CIA-Offiziers.

Dabei wurde Theo Zwanziger, Chef des Deutschen Fussballbundes und Kritiker der katarischen FIFA-Bewerbung, mit einem Spionageprogramm verfolgt, um ihn zum Schweigen zu bringen – erfolglos.

Auch der Journalist Andy Brown, der freiberuflich für den ICSS tätig war, ist nach eigenen Angaben im Januar 2016 von zwei Personen verfolgt worden, als er von der Organisation eingeladen wurde, über eine Konferenz im britischen Parlament zu berichten.

Laut Brown ist dies passiert, nachdem er für ein unabhängiges Medium über die Beziehungen zwischen SIGA und ihren Sponsor:innen (insbesondere aus Katar) recherchiert hatte.

«Weisswaschung ist ein ernsthaftes Problem, vor allem wenn Staaten über grossen Reichtum – zum Beispiel aus der Erdölförderung – verfügen und Sportereignisse nutzen, um von schwerwiegenden Rechtsverletzungen abzulenken», sagt Michael Page, stellvertretender Direktor von Human Rights Watch für den Nahen Osten und Nordafrika. Am Golf sei dies ein weit verbreitetes Phänomen.

«Das ist ein ernsthaftes Problem, besonders im Hinblick auf diese FIFA-Weltmeisterschaft», so Page.

Laut Page ist aber auch die FIFA Schuld. Katar habe die Weltmeisterschaft mit umstrittenen Mitteln erhalten. «Das Gremium, das Katar die Veranstaltung gegeben hat, hat keine Menschenrechtsbedingungen gestellt, weshalb wir uns nun in dieser Situation wiederfinden.»

Im März, zwei Monate nachdem er seinen Umzug nach Katar publik gemacht hatte, spielte FIFA-Präsident Gianni Infantino den Tod von Arbeitsmigranten herunter. Er sagte, die Arbeiter empfänden unter harten Bedingungen «Würde und Stolz».

Katars Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf erklärte Anfang September gegenüber SWI swissinfo.ch, dass die Unterstützung des ICSS und anderer Integritätsprojekte im Sport Teil der diplomatischen Bemühungen Katars um die Förderung von Menschenrechten und Frieden sei.

«Der Staat Katar scheut keine Mühen bei der Finanzierung von Initiativen, einschliesslich des ICSS, um junge Menschen durch Sport zu stärken», schrieb ein Sprecher des Diplomaten in einer E-Mail.

Editiert von Virginie Mangin/gw

Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Dominique Soguel

Wie soll sichergestellt werden, dass Sport-Grossveranstaltungen den Menschenrechten und der Umwelt nicht schaden?

Welche Kriterien sollten Sportorganisationen bei der Auswahl eines Austragungsortes berücksichtigen?

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