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Warum der Zugang zu Wohneigentum in der Schweiz fast ein Luftschloss ist

Neue Bauten
Bauland wird in der Schweiz immer knapper, was die Immobilienpreise in die Höhe treibt. Keystone / Steffen Schmidt

Ein Einfamilienhaus auf dem Land, das man seinen Erben und Erbinnen weitergeben kann – das ist der Immobilientraum, an den sich viele Schweizer:innen noch klammern. Im internationalen Vergleich wird dieser Traum für weite Teile der Bevölkerung immer unerreichbarer.

Ein Haus mit einer grossen Aussenfläche, auf dem Land und nicht allzu weit vom Wohnort der Eltern entfernt: Als Ophelia* und ihr Lebensgefährte Laurent* sich 2015 auf die Suche nach einer solchen Immobilie machten, um darin eine Familie zu gründen, war ihnen die Schwierigkeit ihres Unterfanges bereits klar.

Aber nachdem sie Websites mit Immobilienanzeigen durchforstet und ein knappes Dutzend Häuser in ihrer Heimatregion, der Freiburger Broye, besichtigt hatten, blieben sie ernüchtert zurück. «Entweder war der Verkaufspreis völlig überhöht oder es mussten zu viele Renovationen gemacht werden», erklärt Ophelia.

Die beiden sind bei weitem kein Einzelfall. Mehr als 60% der Schweizer Mieter:innen möchten eine Immobilie besitzen, wenn möglich auf dem Land. Ein Wunsch, der seit der Pandemie noch stärker geworden ist, wie eine im Juni veröffentlichte Studie von Money ParkExterner Link zeigt. Doch das knappe Angebot (58%) und die hohen Preise (49%) stehen diesem Vorhaben im Weg.

Die Familie als Unterstützung; sonst nichts

«Alle Studien zeigen, dass der Wunsch nach Wohneigentum in der Schweiz immer noch sehr stark ausgeprägt ist. Leider sind die Preise für einen immer grösseren Teil der Bevölkerung abschreckend. Mehr und mehr wird das Eigenheim zu einem Luxusprodukt», sagt Yves Cachemaille, Experte bei der Immobilienfirma CBRE.

Laut dem Immobiliendienstleistungsunternehmen Wüest Partner haben sich die Immobilienpreise seit 2000 im Durchschnitt mehr als verdoppelt. In den meisten Regionen des Landes muss man mindestens eine Million Franken ausgeben, um sich ein Einfamilienhaus mit Garten leisten zu können. Laut dem Bundesamt für Statistik ist der Durchschnittslohn im gleichen Zeitraum jedoch nur um 25% gestiegen.

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Laut einer anderen Studie von Swiss LifeExterner Link verfügen nur 30% aller Schweizer Haushalte über das nötige Kapital, um sich ein durchschnittliches Einfamilienhaus leisten zu können. Ohne eine direkte Erbschaft oder ein Familiendarlehen sind Immobilien für junge Erwachsene praktisch unerschwinglich geworden.

Wohnen – eine Quelle der Ungleichheit

Die Kluft zwischen denjenigen, die sich in den letzten Jahren ein Eigenheim leisten konnten und von sehr niedrigen Hypothekenzinsen profitierten, und denjenigen, die vor allem in den grossen Städten überhöhte Mieten zahlen mussten, wird dadurch noch grösser.

«Während die Lohnungleichheit in der Schweiz relativ stabil geblieben ist, hat sie sich durch die erzwungenen Ausgaben für Wohnraum verschärft», stellt Solène Morvant-Roux, Assistenzprofessorin an der Universität Genf, fest. Während die Miete bei den 20% der wohlhabendsten Haushalte nur 10% des Einkommens ausmacht, steigt dieser Anteil bei den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf 30%.

«Selbst bei dem derzeitigen Anstieg der Hypothekarzinsen bleiben Immobilien eine sichere Finanzanlage, die es ermöglicht, günstig zu wohnen», betont Yves Cachemaille seinerseits. Vorteile, von denen nur eine Minderheit der in der Schweiz ansässigen Menschen profitiert. Während fast 70% der EU-Bürger:innen in einer Wohnung oder einem Haus in Eigenbesitz leben, liegt diese Quote in der Schweiz nicht einmal bei 40%.

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Diese Besonderheit ist auf die sehr unterschiedliche Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. «In Spanien hat der Staat nach dem Franco-Regime den Zugang zu Wohneigentum aktiv gefördert. Ähnlich war es in Grossbritannien, wo Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren auf die Verteidigung kleiner individuellen Interessen hinarbeitete, um die grossen sozialen Kämpfe einzudämmen. In der Schweiz wurde das nationale Narrativ um Währungsstabilität und Vollbeschäftigung herum geformt, aber der Zugang zu Wohneigentum war nie Gegenstand einer aktiven öffentlichen Politik», erklärt Morvant-Roux.

Eine weitere helvetische Besonderheit ist, dass die überwiegende Mehrheit der Hausbesitzenden sich – oftmals stark – verschulden muss, um Wohneigentum zu erwerben. Eine Hypothek, die man oft ein Leben lang mit sich herumträgt. Oder sogar darüber hinaus: «In den meisten europäischen Ländern übertragen die Eltern ihren Kindern das Eigentum in Form von Vollbesitz. In der Schweiz vererbt man ihnen eine Schuld», sagt Morvant-Roux.

Eine Situation, die laut der Forscherin insbesondere auf das historisch grosse Gewicht des Finanzsektors in der Schweiz zurückzuführen ist. So bietet das Schweizer Steuersystem den Eigentümer:innen keinen Anreiz, ihre Schulden zu tilgen. Im Gegenteil: Wenn die Schweizer:innen ihre Steuererklärung ausfüllen, können sie die Hypothekarzinsen direkt von ihrem steuerpflichtigen Einkommen abziehen. Diese Verschuldung kommt vor allem den Banken zugute, die in der Regel einen grossen Teil ihres Umsatzes mit Hypothekenzinsen erzielen.

In jüngster Zeit hat die Überliquidität der Banken aufgrund der expansiven Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank den Gesamtbetrag der Hypothekarkredite noch weiter in die Höhe getrieben, was die Schweiz zur WeltmeisterinExterner Link in der Immobilienverschuldung pro Haushalt gemacht hat.

Wenig mobile Schweizer:innen

Der Zugang zu Wohneigentum wird durch die geringe Mobilität der Schweizer:innen in Bezug auf Immobilien noch verschärft. «In Frankreich zum Beispiel bestimmt der Arbeitsort den Lebensort und es ist nicht ungewöhnlich, dass man im Laufe seines Lebens zwei- bis dreimal die Immobilie wechselt. In der Schweiz ist es genau umgekehrt. Die Menschen neigen dazu, einen Arbeitsplatz in der Nähe ihres Wohnortes zu suchen, auch wenn sie bei einem späteren Jobwechsel mehr Kilometer zwischen ihrem Wohnort und ihrem Büro zurücklegen müssen», sagt Yves Cachemaille.

Wenn die Leute endlich eine Wohnung oder ein Haus erworben haben, bleiben sie dabei. Nur 3% der von Money Park befragten Eigentümer:innen wollen ihre Immobilie innerhalb der nächsten drei Jahre verkaufen, 15% innerhalb von vier bis acht Jahren.

Durch die Preisexplosion sind auch langjährige Eigentümer:innen zögerlicher geworden, sich von ihrer Immobilie zu trennen. Sie befürchten, dass sie keine Wohnung oder kein Haus finden werden, das ihnen einen ähnlichen Standard zu einem angemessenen Preis bietet. Dies kann zu absurden Situationen führen: Es ist nicht ungewöhnlich, dass in einer Stadt ein Rentner ein 200 Quadratmeter grosses Haus bewohnt, während sich eine fünfköpfige Familie eine 80 Quadratmeter grosse Wohnung teilen muss.

Die Knappheit wird anhalten

Trotz steigenden Hypothekarzinsen und eines seit dem Ende der Pandemie wieder steigenden Angebots an Wohnraum: Der Mangel an Einzelwohnungen in der Schweiz wird wohl nicht so schnell verschwinden. Die Enge des Landes, die Knappheit an Bauland und der anhaltend hohe Bevölkerungsdruck bremsen nämlich eine Entspannung auf dem Immobilienmarkt, meint Morvant-Roux.

Laut der Credit SuisseExterner Link dürften jedoch bis 2045 Tausende von Wohnungen, die von der Generation der Babyboomer bewohnt werden, frei werden, was langfristig eine gewisse Entspannung auf dem Immobilienmarkt ermöglicht. Es bleibt abzuwarten, wie viele Immobilien tatsächlich zum Verkauf angeboten werden, da jede zweite Wohnung in der Regel innerhalb der Familie bleibt.

Wie fast die Hälfte ihrer Landsleute wandte sich auch Ophelia an ihre Familie, um endlich zur Eigentümerin zu werden. Durch eine Schenkung konnte sie das Haus ihrer Mutter übernehmen und es anschliessend durch umfangreiche Renovierungsarbeiten nach ihrem Geschmack umgestalten.

Eine Option, von der ihr Lebensgefährte Laurent anfangs nicht begeistert war, die aber in den Augen des Paares – das mittlerweile zwei Kinder hat – viele Vorteile bietet. «Nicht nur finanziell, sondern auch sentimental, da das Haus seit mehreren Generationen meiner Familie gehört», erklärt Ophelia. «Wir haben den Lebensraum gefunden, der zu uns passt. Wir wollen unser ganzes Leben dort verbringen und es im Idealfall an unsere Kinder weitergeben.»

* Namen der Redaktion bekannt

Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

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