Die Coronavirus-Abzocker
Jede Krise kennt Verlierer – und Gewinner, die alle ethischen Bedenken über Bord werfen, um daraus schamlos Profit zu schlagen. Diesmal machen sie Geld mit Hygienemasken und Desinfektionsgels.
Wir leben in einer freien Marktwirtschaft. Es gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage: Je mehr ein Produkt nachgefragt wird und je begrenzter das Angebot ist, desto höher wird der Preis. In normalen Zeiten stört das niemanden, obwohl Befürworter von weniger liberalen Systemen sich darüber beschweren könnten.
Doch die Zeiten sind nicht normal. Zwar befinden wir uns nicht im Krieg, wie viele nachdrücklich betonen. Eines aber hat der Krieg mit dem aktuellen Gesundheitsnotstand gemeinsam: Wenn eine Krise in einigen Menschen das Edle weckt – mit der grossen Welle der Solidarität –, dann bringt sie leider gleichzeitig auch mieses Verhalten hervor.
Welches andere Adjektiv sollte für diejenigen verwendet werden, die – wie in Kriegszeiten – mit allen möglichen Mitteln versuchen, an den Schutzsuchenden Geld zu verdienen? Oder, wie im aktuellen Fall, an jenen, die wegen der Coronavirus-Krise von der Angst gepackt wurden.
Coronafraud.ch
Das Institut für die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Jurabogens (HE-Arc) hat kürzlich eine MeldestelleExterner Link eingerichtet, um Fälle von pandemiebedingtem Betrug und wirtschaftlichem Missbrauch zu untersuchen.
Jede und jeder kann anonym eine Aussage machen. «Das Ziel ist, Informationen zur Verbesserung der Prävention zu sammeln und – wenn nötig – an die Behörden weiterzugeben», sagt Olivier Beaudet-Labrecque, Assistenzprofessor an der HE-Arc.
100 Franken für 10 Masken
So sind etwa auf klassischen Online-Börsen Hygienemasken zu Abzocker-Preisen zu finden. In den letzten Tagen verhaftete die Polizei in der Deutschschweiz drei Personen wegen Wuchergeschäften. Eine junge Frau beispielsweise bot zehn Masken für 100 Franken an, während der Grundpreis bei etwa 50 Rappen pro Stück liegt.
Bei diesen kleinen Fischen sollte es relativ einfach sein, den WucherExterner Link zu beweisen. Das heisst im Strafgesetzbuch, wenn eine Person sich «für eine Leistung Vermögensvorteile gewähren oder versprechen lässt, die zur Leistung wirtschaftlich in einem offenbaren Missverhältnis stehen».
Es gibt auch einige grössere Fische. Diese sind schlauer und versuchen, das «offenbare Missverhältnis» in gewissen Grenzen zu halten. Was ihnen oft ermöglicht, durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen.
Um dies festzustellen, reichen einige wenige Klicks oder ein kurzer Blick auf die verschiedenen gesponserten Inhalte, die auf der Facebook-Seite eingeblendet werden.
Beispielsweise erschien in diesen Tagen zufällig mehrmals ein gesponserter Post eines Schweizer Onlinehändlers, der statt mit seinen traditionellen Produkten – Kosmetik und Mode – jetzt für Masken wirbt. Der Preis? 90 Franken für 50 einfache Masken, während praktisch dasselbe Produkt auf der Website einer bekannten Apothekenkette für weniger als 25 Franken zu finden ist.
Auf einer anderen Website war ein Fläschchen mit 300 ml hydroalkoholischem Desinfektionsgel für 70 Franken zu kaufen. Nach einer kurzen Suche fand sich das gleiche und identische Produkt anderswo für 10 Franken.
Manchmal lässt neben dem überhöhten Preis auch die Qualität des Produkts zu wünschen übrig. Dies bemängelte eine Person und wies die Meldestelle Coronafraud.chExterner Link darauf hin. Als Beweis schickte sie ein Foto der gekauften Maske in «Originalverpackung».
Anzumerken ist auch, dass in den letzten Wochen einige Apotheken aufgrund der stark gestiegenen Preise für Desinfektionsmittel ebenfalls in die Kritik geraten sind.
Keine Regulierung
In einem Artikel zum ThemaExterner Link weist der Westschweizer Konsumentinnen- und Konsumentenverband (FRC) darauf hin, dass abgesehen von einigen wenigen Apothekern, die «nicht mitgespielt» haben, die Schuld für den Anstieg bei der gesamten Produktionskette zu finden sei.
«Hinter den Verkäufern steht eine ganze Kette von Akteuren, die alle die Mengen und Preise beeinflussen können. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Waren handelt, deren Preis dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt», schreibt Yannis Papadaniel vom FRC in diesem Artikel.
Das Problem dabei sei: «Desinfektionsgels sind parapharmazeutische Produkte und gelten daher nicht als lebenswichtige Lebensmittel.» Mit anderen Worten: Sofern nicht ein Aufpreis draufgeschlagen wird, der an Wucher grenzt, ist der Handlungsspielraum in der Preisgestaltung gross.
Der FRC prüft nun die Möglichkeit, zu beantragen, dass solche Produkte einem anderen Statut unterliegen. Namentlich das hydroalkoholische Gel. Damit wäre es möglich, einerseits den Preis zu regulieren und andererseits, wie bei anderen Basismedikamenten, Zwangsvorräte anzulegen.
Hände gebunden
Der Preisüberwacher Stefan Meierhans bestätigt via Mail, dass sein Dienst derzeit Mitteilungen über «besonders beunruhigende Fälle» erhalte. «Einige Preiserhöhungen lassen sich erklären, weil der starke Anstieg der Nachfrage sich in höheren Einkaufspreisen für die Einzelhändler niederschlägt. Es gibt jedoch Menschen, die versuchen, diese dringliche Situation auszunutzen», schreibt er.
Seiner Behörde sind allerdings die Hände gebunden. Denn laut dem PreisüberwachungsgesetzExterner Link kann sie nur in bestimmten Bereichen eingreifen, wie z.B. bei den Tarifen des öffentlichen Verkehrs, der Telekommunikation oder jenen für Wasser und Gas. «Trotzdem versuchen wir, mit den betreffenden Lieferanten Kontakt aufzunehmen und als Vermittler zu fungieren», so Meierhans.
Die Eidgenössische Wettbewerbskommission ihrerseits gab bekannt, «diverse Anfragen wegen Wucherpreisen» erhalten zu haben. In einer MitteilungExterner Link präzisiert die Behörde: «Kartellrechtliche Kontrollmöglichkeiten bestehen hier nur, wenn illegale Preisabsprachen getroffen wurden oder eine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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