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Yunnan, Nestlé und ihr gemeinsames Manna

Der Kaffeebaum, Quelle des Wohlstands für die Bauern in Yunnan. swissinfo.ch

Die ärmste Provinz Chinas, Yunnan, ist zu einem Eldorado für Kaffeepflanzer geworden. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé, seit 20 Jahren auf diesem Markt, handelt direkt mit den Produzenten. Ihre Arabica-Bohnen finden sich in Schweizer Nescafés wieder.

Unter den Bauern von Yunnan grassiert das Kaffeefieber. In Pu’er, der chinesischen Hauptstadt des Tees, sind Arabica-Felder der letzte Schrei. Sie garantieren ihren Besitzern Einkünfte, von denen sie vor kurzer Zeit nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

Hinter einem Teil des Erfolgs steht Nestlé, der Schweizer Lebensmittel-Gigant aus Vevey, der seit 20 Jahren in Yunnan tätig ist. Dessen lokaler Ableger kauft einen Fünftel der Kaffeeproduktion der Provinz. Letzte Saison waren es 10’500 Tonnen.

Die 55-jährige Bäuerin Fu Zhao posiert vor ihrem neuen Haus, das sie an das alte angebaut hat. «Vorher hatten wir weder Fernsehen, noch Waschmaschine, noch Kühlschrank. Jetzt haben wir alles», freut sie sich und ergänzt, bevor sie in Gelächter ausbricht, ihre Familie besitze «3 oder 4 Autos».

Diesen unverhofften Reichtum verdankten sie und ihre Familie jenem «belgischen Patron», der vor einigen Jahren bei ihnen angekommen sei und ihnen das Kaffeepflanzen beigebracht habe. Dieser Westler war der Vater von Wouter de Smet, der heute die kleine Agentur von Nestlé in Pu’er mit acht Angestellten leitet.

Verdienst verzehnfacht

Weiter oben in den Hügeln zeigt ein anderer glücklicher Bauer sein Haus, das er soeben neu gebaut hat. Es kostete ihn 60’000 Franken. Mitten im Wohnzimmer thront ein 52-Zoll-Flachbild-Fernseher.

«Mit dem Kaffee erziele ich 15’000 Franken Gewinn pro Jahr», sagt Zhang Hui. «Das ist zehnmal mehr als vorher», als er Mais angepflanzt habe. Die Einkünfte aus dem Kaffeeanbau hätten es ihm erlaubt, mehr Land zu kaufen. Heute besitzt er 3,33 Hektar.

Ein anderer junger Bauer – Fan Qi Zuo, den wir in Pu’er antreffen – pachtet eine ähnlich grosse Fläche und erreicht damit einen Gewinn von 10’000 Franken pro Jahr. Zwar verkaufe er seinen Kaffee nicht an Nestlé, doch er könne trotzdem sehr gut davon leben.

Wouter de Smet steht in engem Kontakt mit den Bauern, die er ausbildet und berät. Der Agronom und sein Team bieten ihre Hilfe tausenden Dorfbewohnern an. Das ist kostenlos, und niemand zwingt sie, für Nestlé zu arbeiten. Viele tun es trotzdem, besonders wegen dem guten Image, das die Firma mit dem Vogelnest hier geniesst.

«Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Wir erhalten gute Qualität und sie einen guten Preis, ohne Zwischenhändler», erklärt de Smet. «Alles geht direkt an die Produzenten. Sie vertrauen uns.» Die transparente Preispolitik basiere auf dem Index von New York, der Referenz für den Markt mit Arabica-Bohnen.

Verlorene Tradition

Im Dorf Mian Ji Man, wo 86 Familien der ethnischen Gruppe der Dai leben, sind die Auswirkungen des neuen Reichtums augenfällig. «Jeder hat sich ein neues Haus gebaut. Mit Geld aus dem Kaffeegeschäft», sagt de Smet.

Von einem Tag auf den anderen sind die traditionellen Bambus-Häuser im thailändischen Stil verschwunden und haben dem Beton Platz gemacht. «Das ist schade», gibt der Nestlé-Mann zu, «doch das Leben der Menschen ist besser geworden «.

Die Bäuerin Yu Nan Ban, eine Dai, vermisst ihr altes Haus überhaupt nicht: «Es war voller Ratten. Ich ziehe das moderne Haus vor.» Ihr Mann, ein Han-Chinese, ist etwas nachdenklicher: «Mit dem Verschwinden dieser Häuser geht auch ein Stück Kultur verloren, und tief in unseren Herzen sind wir nicht sehr glücklich darüber.»

Trinktest

Für 2012 erwarten die Bauern eine Top-Ernte. Schon bald werden die Kaffeeproduzenten ihre Bohnen bei Nestlé in Pu’er anliefern. «Wir haben beim Eingang die Preise angeschlagen. Sie werden zweimal die Woche aktualisiert. Die Bauern können selber auswählen, wann sie an uns liefern wollen», erklärt Wouter de Smet.

«Wir haben über 1500 Lieferanten, die meisten besitzen etwa 3 Hektar Land. Letztes Jahr betrug die kleinste Lieferung 17 Kilogramm, die grösste 450 Tonnen.»

Beim Ankauf durch Nestlé sind die Bohnen grün, trocken und geruchlos. Das einzige Mittel, um ihre Qualität festzustellen, ist der Trinktest: Schnelle Röstung und Kaffeezubereitung innerhalb von weniger als einer Stunde. «Wir lehnen etwa 10 Prozent der Lieferungen ab. Deren Produzenten nehmen ihre Ware wieder mit und versuchen dann, sie anderswo auf dem Markt abzusetzen.»

Das Ende der Armut

In der kleinen Welt des chinesischen Kaffees kommt niemand um Nestlé herum: «Uns gehören 70 Prozent des Marktes», sagt Roland Decorvet, Chef von Nestlé China.

Anfang September hat der Kaffeeverband Yunnan in Pu’er ein viertägiges Seminar für etwa hundert Personen aus der Branche organisiert, unter Leitung der Leute von Nestlé.

«Sie machen eine sehr gute Arbeit», sagt Professor Huang Jia-xiong, Berater des Unternehmens Lingfeng, eines Konkurrenten von Nestlé. Dieser Meinung schliesst sich Li Gongqin, Generalsekretär des Kaffeeverbands Yunnan, an. «Die lokalen Behörden und Nestlé fördern die Kaffeekultur. Es ist eine Möglichkeit, die Bauern aus der Armut zu führen und die Landflucht zu stoppen.»

In Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, leitet Li Sijun das Staatsunternehmen Yunnan Coffee, das seit 1989 mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zusammenarbeitet. Es produziert Instant-Kaffee für den chinesischen Markt. «Die Nachfrage in China steigt jährlich um 25 Prozent. Nestlé ist jedes Jahr die Nummer Eins beim löslichen Kaffee, deren Produktion steigt, aber der Marktanteil bleibt etwa gleich», sagt Li Sijun.

Er warnt aber auch vor zu grosser Euphorie: «Es ist ein globaler Markt mit schwankenden Preisen. Heute sind diese sehr hoch, sie können aber auch zusammenbrechen, wie während der weltweiten Kaffeekrise von 2001 und 2002.»

«Das ist wahr», bestätigt Roland Decorvet. Doch mit dem Kaffee «gewinnt der Bauer ein Vielfaches von dem, was er mit dem Anbau anderer Pflanzen einnehmen würde». Zudem seien die Entwicklungsaussichten ausgezeichnet. Laut Wouter De Smet sind diese so gut, dass es derzeit schwierig sei, die Produzenten zu überzeugen, ihre Produktion zu diversifizieren.

Kaffee ist für 10% des Umsatzes von Nestlé in China verantwortlich. Dieser stammt ausschliesslich aus den Bergen von Yunnan, wo ein Arabica bester Qualität angebaut wird, vergleichbar mit jenem in Honduras.

Ein Fünftel des Kaffees von Nestlé China bleibt im Land, der Rest wird exportiert, namentlich in die Schweiz, wo er in einer Fabrik in Orbe in löslichen Instant-Kaffee umgewandelt wird.

Nestlé verfügt weltweit über 26 Nescafé-Fabriken, davon 2 in China.

Von den 100’000 Tonnen Arabica-Bohnen, die Nestlé jedes Jahr in der ganzen Welt kauft, stammen 10% aus der Provinz Yunnan.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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