Zermatt kämpft gegen das Frankenhoch
In den belebten Strassen von Zermatt unterhalten Alphornspieler deutsche Touristen, während Elektro-Autos der Hotels sich ihren Weg durchs Dorf bahnen. swissinfo.ch wollte herauszufinden, wie sich das Dorf mit dem starken Franken arrangiert.
Bruno wartet am Eingang des Hotels Monte Rosa. Trotz dem geschäftigen Treiben auf der Strasse bleiben viele Tische leer.
«Es ist etwas ruhiger als gewöhnlich», erklärt der junge Kellner. «Ich habe eine Fernsehsendung über den starken Franken gesehen. Wir hier scheinen weniger betroffen zu sein.»
Dennoch ist es eine harte Zeit, sogar für einen Erstklass-Touristenort wie Zermatt, das fast ausschliesslich vom Tourismus lebt.
Und das Hotel Monte Rosa, wie viele andere, wird im September eine Woche früher als gewöhnlich für die Wintervorbereitungen schliessen.
«Ich gehe bis im Dezember nach Portugal, es macht mir nichts aus. Ich habe einfach eine Woche mehr Ferien», sagt der Kellner.
Nullwachstum
Zermatt mit seinem berühmten Matterhorn und anderen spektakulären Gipfeln scheint mit dem starken Franken besser umgehen zu können als andere Schweizer Tourismus-Destinationen und den Sturm besser zu überstehen. Aber viele lokale Behördenvertreter haben trotzdem Bedenken.
Der Schweizer Franken hat in den letzten vier Jahren gegenüber dem Euro und dem Dollar über 25% an Wert zugelegt.
«Betrachtet man den Gesamtumsatz, so leiden wir wie alle anderen», erklärt Daniel Luggen, der Direktor von Zermatt Tourismus. «Wenn man nur die Anzahl Gäste nimmt, haben wir nur einen kleinen Rückgang zu beklagen.»
Im Vergleich zum Vorjahr und nach einem Aufschwung um 0,3% von Januar bis Juni ging die Zahl der Übernachtungen im letzten Winter um 2,5% zurück. Im Juli 2011 waren Übernachtungen um 3% rückläufig, im August jedoch wieder hervorragend. Luggen rechnet mit der gleichen Bilanz wie im letzten Jahr: Nullwachstum im Sommer.
Besorgniserregend
Die Zahl der Feriengäste mag stabil sein, aber die Touristen scheinen ihre Geldbeutel im Griff zu haben. Schätzungen beziffern den Ausgabe-Rückgang mit 5 bis 50%.
«Die Buchungen für Übernachtungen sind zwar auf dem gleichen Stand, aber unsere Preise sind tiefer als vorher», sagt Andreas Biner, der Präsident der Matterhorn Gruppe, die 12 Hotels, Restaurants und Läden führt.
Der Gemeindepräsident von Zermatt, Christoph Burgin zeigt sich besorgt: «Der Dollar ist nicht so schwach, aber der Euro und das Pfund bereiten uns grosse Probleme. Unsere dritthäufigsten Gäste kommen – nach den Schweizern und den Deutschen – aus Grossbritannien. Der britische Markt läuft im Winter für uns am Besten» sagt er.
Jack Hurrell, der im Sommer in einem Souvenirshop und im Winter als Skilehrer arbeitet, bestätigt, dass die Briten mit ihrem Geld viel vorsichtiger umgingen.
«Normalerweise nehmen sie einen ganzen Tag Skiunterricht und gönnen sich ein teures Mittagessen. Jetzt aber buchen sie nur einen halben Tag Skischule und fahren einige Tage für sich und bestellen kein Mittagsmenu», so Hurrell.
Schweizer Luxusartikel
Der rote Zug klettert auf den Gipfel des Gornergrats, 3135 Meter über Meer. Eifrige Touristen steigen aus, um einen Blick auf das Matterhorn und den Gornergletscher zu erhaschen. Auf der Terrasse des Gornergrat Kulmhotels plaudern pensionierte Schweizer bei Speis und (Wein)trank. Für andere ist dies ein Luxus.
«Wir kommen seit Jahren nach Zermatt, aber dieses Jahr fallen die Preise wirklich ins Gewicht», sagt Caroline Woodliffe, eine Britin aus Surrey. «Die Züge, Essen und Getränke sind wirklich teuer.»
Die Kehls, eine französische Familie aus Strassburg, hat ein Sonderangebot in der Jugendherberge gebucht: Drei Tage zum Preis von zwei.
«Wir kommen regelmässig hierher. Das letzte Mal erhielten wir 1,45 Franken für 1 Euro. Jetzt liegt der Kurs bei 1,1. Das verteuert unsere Ferien um einen Drittel. Deshalb haben wir die Länge unseres Aufenthalts reduziert. Anstatt einer Woche bleiben wir nur drei Tage», sagt Frau Kehl.
«Der Durchschnittsgast aus Frankreich kann sich Zermatt nicht mehr leisten. Das bleibt der Elite aus den Vereinigten Staaten und Japan vorbehalten.»
Essen und Shopping
Das heisse Wetter verleitet die Gäste heute zum Wandern in der Region. So überrascht es nicht, dass viele Restaurants halbleer bleiben. Sie verlieren offenbar auch an Umsatz, weil etliche Hotels Pauschalangebote machen, in denen Mittagessen oder Abendessen inbegriffen sind.
Entlang der Bahnhofstrasse haben einige Läden Schilder mit «Sale» (Ausverkauf) oder «50%» aufgehängt. Aber längst nicht alle beklagen sich über schlechteren Geschäftsgang. «Die Leute schauen auf den Preis und suchen den günstigsten Artikel», sagt Gro Truffer von Perren Souvenirs. «Es ist stabil, aber härter.»
Die steigende Zahl an Gästen aus Asien und Lateinamerika ersetzt zwar die Schweizer und die Europäer nicht, aber sie helfen immerhin, den Schaden zu begrenzen.
Langfristige Investition
Zermatts Behörden begrüssen das vom Bundesrat angekündigte Hilfspaket von 2 Milliarden Franken, um dem Schweizer Tourismus und der Exportindustrie zu helfen. Allerdings genüge dieser Betrag wohl kaum.
Daniel Luggen hat auch seine Zweifel daran, dass mit Staatshilfe und mehr Werbung viel erreicht werden kann. «Ich weiss wirklich nicht, was kurzfristig getan werden könnte. Wenn wir einen tieferen Mehrwertsteuersatz bezahlen müssten, würden die Gäste gar keinen Unterschied merken. Wir haben nun die Chance, längerfristig geschickt in Hotels und Belegschaft zu investieren.»
«Wir müssen unsere Mitarbeitenden besser unterstützen, professioneller sein, vorbereitet sein, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt und von unseren Reserven leben. Es ist klar, dass diese Situation ein oder zwei Jahre anhalten könnte.»
Wie die Export-Wirtschaft wartet auch die Tourismus-Branche auf Neuigkeiten über die Verteilung der 2 Mrd. Franken, die der Bundesrat infolge der Franken-Stärke zur Stützung der Wirtschaft versprochen hatte.
Das Volkswirtschafts-Departement will seinen Plan am 9. September präsentieren.
Der Tourismus-Verband (STV) hatte am Montag von den Behörden gefordert, die Mehrwertsteuer für 2012 auf 2,5% zu senken.
Heute beträgt der Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie bei 8%, für die Hotellerie bei 3,6%.
Damit könnten im Tourismus 500 Mio. gespart werden.
Um das Marketing namentlich in China, Indien, Russland, Australien, Brasilien, in den Golf-Staaten sowie in der Schweiz auszubauen, fordert der STV zudem, dass die Schweiz den Kredit für Schweiz Tourismus für 2012-2015 auf 227 Mio. Franken erhöht.
(Übertragung aus dem Englischen: Eveline Kobler)
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