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Antisemitismus in der Schweiz

Das ambivalente Verhältnis der Schweiz zum Zionismus

Ein Mann und ein Kind
Der damalige Knessetpräsident Dan Tichon 1997 mit seinem vierjährigen Enkel auf dem berühmten Balkon des Hotels "Drei Könige" in Basel, wo Theodor Herzl 100 Jahre zuvor fotografiert worden war. Tichon besuchte den Jubiläumskongress. Keystone / Michael Kupferschmidt

In Basel wird das 125. Jubiläum des ersten Zionistenkongresses gefeiert. Über alle Jahre standen die Menschen in der Schweiz der zionistischen Bewegung wohlwollend gegenüber. Mit wenigen Ausnahmen.

Zwar wollten die schweizerischen Bundesbehörden die zionistische Bewegung vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht unterstützen. Doch ihre Kongresse stiessen bei lokalen Behörden und der Bevölkerung in der Schweiz im Allgemeinen auf Wohlwollen. Der Kampf des kleinen jüdischen Volkes für einen Staat schien verwandt mit dem Kampf der alten Eidgenossen für ihre Unabhängigkeit.

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«Es gab nie grosse Proteste oder Probleme», sagt Geschichtsprofessorin Christina Späti von der Universität Freiburg und der FernUni Schweiz, zu deren Forschungsschwerpunkten unter anderem der Holocaust, Antizionismus und Antisemitismus gehören. Es seien auch immer Vertreter einer schweizerischen politischen Behörde an den Anlass gekommen und hätten sich wohlwollend geäussert.

Einzig in den 1930er-Jahren gab es Widerstand seitens der Frontisten, einer schweizerischen Parallelbewegung zum Nationalsozialismus und Faschismus. Es kam dabei sogar zu tätlichen Angriffen.

Unterschiedliche Meinungen zum Zionismus

«Es gab immer schon sehr unterschiedliche Meinungen zum Zionismus in der Schweiz», sagt Späti. So waren sogar manche Antisemit:innen für den Zionismus, mit dem Argument: «Dann leben die Juden nicht mehr bei uns.»

Die Sozialdemokrat:innen waren teilweise dafür, manche aber auch dagegen, weil sie Nationalismus generell ablehnten und sich für den Internationalismus einsetzten. Ab den 1970er-Jahren entstand unter Linken eine antizionistische Strömung.

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Manche Christ:innen sahen durch den Zionismus die heiligen Stätten in Israel gefährdet. Die Katholisch-Konservativen waren deshalb zu Beginn aus religiösen, aber auch antisemitischen Gründen gegen den Zionismus. Später waren die bürgerlichen und christlichen Parteien recht indifferent. Evangelikale Christ:innen stehen heute bedingungslos zum Staat Israel, weil sie glauben, erst wenn die jüdische Diaspora nach Israel zurückkehrt, werde der Messias wiederkommen.

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Kritiker:innen der Jubiläumsanlässe

Etwas anders war die Situation beim Jubiläumskongress 1997, da gab es Opposition von rechts gegen die Feierlichkeiten. Die SVP kritisierte die Aufwendungen für Armee und Polizei. Es schwelte damals der Konflikt um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern auf Schweizer Banken.

Laut Späti herrschte deshalb allgemein eine antisemitische Stimmung, die sich auch auf Israel übertrug. Die «Gesellschaft Schweiz – Israel» verlor massiv an Mitgliedern und Spender:innen. Der Tenor der Kritiker:innen des Jubiläumsanlasses war: «Warum jetzt etwas für die Juden und Jüdinnen organisieren, wenn sie so auf uns herumhacken?»

Aus dem Archiv (28. August 1997):

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Der damalige Staatspräsident Israels, Ezer Weizman, sagte seinen geplanten Besuch der 100-Jahre-Jubiläumsfeierlichkeiten in der Folge ab.

Die offizielle Schweiz reagierte 1948 recht zurückhaltend auf die Staatsgründung Israels. Sie wollte die guten Beziehungen zu den arabischen Ländern des Nahen Ostens aufrechterhalten. Deshalb wartete der Bundesrat den Entscheid anderer Staaten ab, bevor er Israel 1949 anerkannte.

In der Bevölkerung herrschte in den 1950er und 60er-Jahren eine regelrechte Israeleuphorie. Hunderte junge Menschen aus der Schweiz verbrachten eine gewisse Zeit in einem Kibbuz. Der Sechstagekrieg von 1967 löste eine breite Sympathiewelle für Israel aus. Viele Schweizer:innen identifizierten sich aufgrund der eigenen Geschichte mit dem Kampf des kleinen, von Feinden umzingelten Staates.

Mit der Zeit änderte sich jedoch die öffentliche Meinung. Nach der Invasion in den Libanon 1982 schwächte sich die Sympathie ab, die Stimmung wurde kritischer, besonders nach der ersten Intifada 1987 und noch mehr nach der zweiten Intifada im Jahr 2000.

Quelle: Historisches Lexikon der SchweizExterner Link

Aus eher linken Kreisen der Palästinenser:innen-Sympathisant:innen wurde 1997 eine «Gegentagung zum Herzl-Jubiläum» organisiert, inklusive einer BuchpublikationExterner Link. Es sind die gleichen Kreise, die dieses Jahr unter anderem mit einer Gegendemonstration und offenen BriefenExterner Link gegen den Jubiläums-Anlass protestieren.

Zu den unterzeichnenden Organisationen gehört unter anderem die «Gesellschaft Schweiz Palästina». Deren Präsident Geri Müller schreibt swissinfo.ch, man sehe keinen Grund zu feiern, der Zionismus sei «eine Ideologie des Kolonialismus und der Apartheid», welche zu «massiven Menschen- und Völkerrechtsverletzungen» führe. «Der damalige zionistische Slogan ‹Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land› stimmte nicht, vor 125 Jahren waren Haifa, Jaffa und Gaza bedeutende Städte und die fruchtbare Levante wurde von Einheimischen bewirtschaftet», so Müller.

Damals hätten alle Religionen in der Region gut zusammengelebt, bis die Zionisten gekommen seien und die palästinensische Bevölkerung verdrängt hätten. Müller fordert gar: Basel solle dem Zionismus keine Plattform bieten, denn die Schweiz stehe eigentlich für das Völkerrecht. «Die Regierung Basel-Stadt und der Bundesrat sollen die Zionisten dazu anhalten, der illegalen Besatzung ein Ende zu setzen», so Müller. Zudem seien die Veranstalter des Kongresses an den millionenschweren Sicherheitskosten zu beteiligen, wie dies auch von anderen schweizerischen Veranstaltern verlangt werde.

Kritik ist eine Randerscheinung

Laut Jonathan Kreutner vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG handelt es sich bei der im offenen Brief geäusserten Haltung um eine Mindermeinung in der Schweiz; viele der unterzeichnenden Organisationen seien gar nicht von hier. «Das ist kein Mainstream in der Schweiz, sondern eine Randerscheinung», so Kreutner. Die Unterstützung für die Jubiläumsveranstaltung sei in Basel fast einstimmig durchs Parlament gegangen, in der Schweiz gebe es eine grosse Unterstützung für den Anlass. «In Frankreich wäre der Widerstand vermutlich grösser», so Kreutner. Aus der muslimischen Gemeinschaft in der Schweiz sieht Kreutner keinen Gegenwind. Vertreter der Organisationen seien sogar an den Kongress eingeladen.

Der Präsident der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz hat eine Einladung für diesen Anlass bekommen, bestätigt FIDS-Sprecher Önder Günes. Wegen anderweitigen Verpflichtungen könne er nicht teilnehmen. Es bestehe jedoch ein konstruktiver Austausch mit dem SIG und man nehme solche Einladungen für gewöhnlich gerne an.

Schweizer Muslim:innen sind aufgeschlossen

Die FIDS teilt auch die Einschätzung von Kreutner, wonach innerhalb der muslimischen Dachverbände kein besonderer Gegenwind gegen diesen Anlass hervorgerufen wird. «In der Schweiz leben wir friedlich mit der jüdischen Gemeinschaft zusammen und fördern den sozialen und religiösen Frieden», so Günes. «Der Versuch den Begriff Zionismus auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, verursacht eine Internationalisierung des ganzen Kontextes und ist nicht eine Priorität in unserem Engagement, da wir uns auf die Herausforderungen in der Schweiz konzentrieren.»

Damit spricht Günes einen wichtigen Aspekt an: Wie in anderen Konflikten, Kriegen oder Separatistenbewegungen versuchen Palästinenser:innen mit einer Internationalisierung des Konflikts Unterstützer:innen im Ausland zu finden. Laut Späti hat die PLO schon ab den 1960er-Jahren eine Internationalisierungsstrategie verfolgt. Im Unterschied zu anderen Konflikten war der Nahostkonflikt allerdings schon immer eine internationale Angelegenheit: Nicht nur kamen Zionist:innen aus aller Welt, auch war die UNO beziehungsweise der Völkerbund von Anfang an involviert und hat der Gründung eines jüdischen Staates – nebst eines arabisch-palästinensischen – 1947 zugestimmt.

Laut Späti fallen die muslimischen Gruppierungen in der Schweiz nicht auf die Argumentation der Internationalist:innen herein, sie befeuern den Konflikt nicht, sondern distanzieren sich. «Israel ist kein Kernthema für die Schweizer Muslim:innen», so Späti. In jüdischen Organisationen in der Schweiz fänden sie einen Koalitionspartner. Die beiden Dachverbände suchten die Nähe, weil es sich um zwei religiöse Minderheiten handle, die sich für mehr Anerkennung einsetzten.

Im Vergleich zu Europa besser dran

Von rechts gibt es heute keine Widerstände gegen den Jubiläumskongress, wie Kreutner bestätigt. Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ist inzwischen auffallend pro-israelisch geworden.

Laut Späti deckt sich das mit einer allgemeinen Tendenz in Europa in den letzten zehn bis zwanzig Jahren: «Je antisemitischer rechtspopulistische Parteien sind, desto pro-israelischer sind sie. Das war früher anders.» Die Gründe seien vielfältig: Einerseits wolle man die Jüd:innen aus Europa loswerden, andererseits habe man ein gemeinsames Feindbild, nämlich die Muslim:innen.  

Obwohl die Behörden ein massives Sicherheitsdispositiv ergriffen haben und im Vorfeld bereits Anlässe verlegt werden mussten beziehungsweise nur virtuell durchgeführt werden konnten, macht sich Kreutner keine Sorgen bezüglich des Jubiläumsanlasses. «Mit Gewalt ist nicht zu rechnen, diesbezüglich haben wir in der Schweiz weniger Probleme. Überhaupt sind wir – auch was Antisemitismus betrifft – im Vergleich mit Europa besser dran.»

Auch in der Schweiz gibt und gab es Antisemitismus, lesen Sie dazu unsere Serie:

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