Warum Israel in Basel geboren wurde
Die Schweiz spielte als Tagungsort in der zionistischen Bewegung eine wichtige Rolle. Ende August wird in Basel das 125-Jahre-Jubiläum des ersten Zionistenkongresses gefeiert. Wie es dazu kam.
«In Basel habe ich den Judenstaat gegründet», schrieb Theodor Herzl 1897 in sein Tagebuch. Wenige Tage zuvor hatte im grossen Musiksaal des Basler Stadtcasinos der erste Zionistenkongress stattgefunden, vom 28. bis 31. August 1897.
Zionismus war eine Ende des 19. Jahrhunderts entstandene jüdische Bewegung mit dem Ziel, einen selbstständigen Nationalstaat für das jüdische Volk zu gründen. Das Wort leitet sich ab von Zion, dem Namen des Tempelberges in Jerusalem. Der Begriff wurde um 1890 vom Schriftsteller Nathan Birnbaum geprägt, eine zentrale Figur der Weiterentwicklung der Idee war aber der Wiener Journalist Theodor Herzl.
Im 19. Jahrhundert waren Jüd:innen in Europa trotz Emanzipation und Assimilation einem wachsenden Antisemitismus ausgesetzt. Es war die Zeit des modernen Nationalismus; mit dem Siegeszug des Nationalstaats wuchs in Europa der antisemitische Verdacht, Jüd:innen könnten die Homogenität zersetzen.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee eines Staates für die in der Diaspora lebende und immer wieder verfolgte jüdische Bevölkerung. Erschüttert vom Antisemitismus in der französischen Dreyfusaffäre um ein skandalöses Fehlurteil gegenüber einem französisch-jüdischen Hauptmann schrieb Herzl 1896 das Buch «Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage» und begann, eine politische Organisation aufzubauen.
Zunächst ging es um die Idee eines Nationalstaats an sich. Er hätte in Uganda, Madagaskar oder einem lateinamerikanischen Land zu liegen kommen können, je nachdem, wo man Land bekommen hätte. Mit der Zeit und nach einigen Kontroversen kristallisierte sich aber «Erez Israel» als Ziel heraus, denn aus dieser Region waren die Jüd:innen von den Babyloniern (586-538 v.Chr.) und später von den alten Römern (70 n.Chr.) vertrieben worden, weshalb die jüdische Bevölkerung bis heute über die ganze Welt zerstreut lebt.
Mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 war das Ziel des Zionismus erreicht. Heute bezeichnet der Begriff das Einstehen für den Erhalt des Staates Israel. «Zionist» begegnet einem nach 1948 oft auch als antisemitische Beschimpfung, die Israel sowie den Jüd:innen im Allgemeinen eine internationale, expansive Machtpolitik unterstellt.
Quellen: bpb.deExterner Link; Anne Frank HausExterner Link; Historisches Lexikon der SchweizExterner Link.
Eigentlich war München als Veranstaltungsort vorgesehen, doch die dortige jüdische Gemeinde war dagegen. Als deutsche Bürger:innen fühlten sie sich – Jahre vor der Shoah – dem deutschen Kaiserreich verbunden.
Und das Ansinnen der Zionisten, in Palästina einen jüdischen Nationalstaat zu gründen, ohne die Ankunft des Messias abzuwarten, verletzte religiöse Gefühle.
So suchte Theodor Herzl nach einem anderen Ort. Viele osteuropäische Studierende jüdischen Glaubens, die vom Zionismus begeistert waren, lebten in der Schweiz.
Den Ausschlag für Basel als Kongressort gaben persönliche Kontakte: Der Schweizer Politiker David Farbstein mit Wurzeln in Osteuropa war ein Vertrauter Herzls und schlug zunächst Zürich vor. Doch man hatte Angst vor dem Antisemitismus in den dortigen Behörden sowie vor der russischen Geheimpolizei, die wegen der vielen Flüchtlinge aus dem Zarenreich in Zürich besonders aktiv war.
Die Basler Jüd:innen waren als ehemalige Landbevölkerung bodenständig und zunächst eher skeptisch gegenüber der neuen Bewegung. Sie gehörten nicht zu den Organisatoren des Anlasses, opponierten aber auch nicht dagegen.
In vielen Ländern stand die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung der zionistischen Bewegung anfänglich skeptisch gegenüber. Als sich im 19. Jahrhundert eine jüdische Nationalbewegung entwickelte, gab es im westeuropäischen Judentum – sowohl im liberalen als auch im orthodoxen – Opposition.
Liberale Jüd:innen fürchteten, ein jüdischer Nationalismus könnte die Integration im jeweiligen Land gefährden, Jüd:innen als illoyal gegenüber ihrem Heimatland erscheinen lassen und dem Antisemitismus neuen Auftrieb geben. Bei Orthodoxen kam schlecht an, dass der Zionismus vor dem messianischen Zeitalter einen jüdischen Staat gründen wollte.
Das osteuropäische Judentum war gegenüber dem Zionismus offener, die zahlreichen Pogrome im Zarenreich zu Beginn der 1880er-Jahre liessen einen jüdischen Staat als sicheren Hafen für die Auswanderung erscheinen. Erst später gab es religiöse und kulturelle Kontroversen.
Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland gewann der Zionismus ab den 1930er-Jahren an Boden. Der Holocaust wurde zum Wendepunkt: Dass das nationalsozialistische Regime von den elf Millionen Jüd:innen in Europa über die Hälfte ermordete – in manchen Ländern wurden über 90% der jüdischen Bevölkerung ausgelöscht –, führte den überlebenden fünf Millionen und dem Rest der Welt die Notwendigkeit eines jüdischen Staates drastisch vor Augen.
Die Staatsgründung Israels drei Jahre nach Kriegsende war somit nach Einschätzung einiger Historiker:innen auch eine Folge des Holocaust. Ohne den Genozid wäre Israel nicht so schnell gegründet worden, weil auch die jüdische Unterstützung gefehlt hätte. Heute wird die Existenz eines weltlichen Staates Israel nur von einer kleinen Minderheit aus dem ultraorthodoxen Spektrum abgelehnt.
Die schweizerischen Jüd:innen waren weder für noch gegen den Zionismus, fanden es aber in Ordnung, dass Basel als Gastgeber-Stadt für den Kongress fungierte. «Die Schweizer Juden reagierten typisch schweizerisch: Sie waren neutral», sagt Jonathan Kreutner vom Dachverband der jüdischen Gemeinden in der Schweiz SIG. Der SIG ist lokaler Unterstützungspartner der World Zionist Organization, die den Anlass organisiert.
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Die Schweizer Juden reagierten typisch schweizerisch
Und so kam es, dass Basel einen festen Platz auf der Landkarte des Zionismus erhielt. Von den 22 Zionistenkongressen vor der Gründung des Staates Israel 1948 fanden 16 in der Schweiz statt, 10 davon in Basel. Dass die Schweiz als Tagungsort eine derart herausragende Rolle spielte, lag auch an der politischen Stabilität und Neutralität der Schweiz sowie ihrer zentralen Lage in Europa.
Diese Anfänge in der Schweiz sind auch heute in Israel noch sichtbar: So sind viele Strassen nach Basel benannt.
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