Zu holen: die globale Vermögenskrone der Schweiz
Werden die Reichen dieser Welt demnächst die Tresore der Hongkonger Banken den Schweizer Banken vorziehen? In der intransparenten Welt der globalen Vermögensverwaltung ist es alles andere als einfach, die Zukunft vorauszusagen.
Daten darüber, wo Millionär:innen ihr Geld hinterlegen, sind nicht leicht zu bekommen. Und die Turbulenzen der Weltpolitik machen es schwer, zu erkennen, welche Länder in Zukunft die besten Bedingungen für die Vermögensverwaltung bieten.
Seit Generationen ist die Schweiz das bevorzugte Ziel für Offshore-Vermögen. Privatbanken sind mit dem Land so verknüpft wie Schokolade und Käse. Die Vermögensverwaltungsbranche überlebte sogar einen von den USA angeführten Angriff auf die Steuerhinterziehung, der vor sechs Jahren das Schweizer Bankgeheimnis ernsthaft aushöhlte.
Geopolitische Veränderungen wie die Verlagerung von Reichtum und Macht nach Osten und der Krieg in Europa haben Gerüchte wiederbelebt, dass die Superreichen die Schweizer Tresore leeren und ihr Geld in andere Länder bringen werden.
Die Boston Consulting Group (BCG) ist überzeugt, dass Hongkong den Schweizer Banken bis Ende 2025 den Titel des grenzübergreifenden Vermögensverwalters wegschnappen wird.
Auch Singapur kämpft hart um den zweiten Platz, während Russlands wohlhabende Elite eine Leidenschaft für Dubai entwickelt und so die Vereinigten Arabischen Emirate in die Rolle des neuen Herausforderers befördert hat.
Die weltweiten Spannungen haben im vergangenen Jahr die Offshore-Vermögen erschüttert. Dies führte dazu, dass reiche Personen 12 Billionen Dollar ihres Vermögens über nationale Grenzen hinweg verlagert haben, was laut BCG einen deutlichen Anstieg gegenüber 2021 darstellt.
Ziehen Schweizer Banken den Kürzeren?
Die Sanktionen gegen russische Oligarchen und die Befürchtungen über den Untergang der Credit Suisse, die sich im März schliesslich bewahrheitet haben, schienen den Schweizer Banken jedoch nur wenig zu bringen.
Vermögende Kunden der Credit Suisse zogen in den letzten drei Monaten von 2022 110 Milliarden Franken ab und weitere 60 Milliarden Franken im ersten Quartal 2023. Die UBS, die die Credit Suisse im März übernommen hat, hat durch den Deal nur 28 Milliarden Franken an zusätzlichen Netto-Neugeldern (NNA) gewonnen.
Auch für 73 weitere Schweizer Banken, darunter Julius Bär, Pictet und Lombard Odier, sah es laut einer Studie der Beratungsgruppe KPMG düster aus: Vermögende Kunden brachten diesen Banken 2022 gerade 45 Milliarden Franken an frischem Geld, was deutlich unter den 131 Milliarden Franken von 2021 liegt.
«Die schwachen Netto-Neugeldzuflüsse sind wahrscheinlich auf die negativen Auswirkungen der jüngsten disruptiven Veränderungen in der Schweizer Bankenlandschaft und dem unsicheren geopolitischen Umfeld zurückzuführen», sagt Christian Hintermann, Partner bei KPMG Financial Services. «Wir haben mit stärkeren Vermögenszuflüssen gerechnet, da die Banken weiterhin erfolgreich arbeiten und global gut positioniert sind.»
Handelt es sich dabei um einen anhaltenden Trend oder bloss um eine Momentaufnahme? KPMG glaubt, dass sich die Stabilität und das Know-how der Schweizer Privatbanken letztlich durchsetzen werden. Jedoch ist sich BCG sicher, dass die Schweizer Dominanz durch andere Offshore-Vermögenszentren weiter ausgehöhlt wird.
Mittelfristig ist eine Stärkung denkbar
Ein Grund dafür ist, dass die schnelle Vermögensbildung in China und anderen asiatischen Ländern weitgehend in dieser Region bleiben wird. BCG prognostiziert, dass das Vermögen der reichsten Menschen der Welt von 460 Billionen Dollar im letzten Jahr auf 600 Billionen Dollar im Jahr 2027 ansteigen wird. Es wird prognostiziert, dass der Anteil des neuen Reichtums in Asien und dem Nahen Osten die des Westens bei weitem übertreffen wird.
Die Schweiz wird dank ihrem tief verwurzelten Bankenfachwissen und ihrem Status als sicherer Hafen eine starke Kraft in der Vermögensverwaltung bleiben, aber die Russland-Sanktionen und der Zusammenbruch der Credit Suisse hätten laut BCG ihre Attraktivität geschwächt.
Anders denkt François Mollat du Jourdin, Gründer und CEO des in Frankreich ansässigen MJ&Cie Family Office, das auch in der Schweiz vertreten ist.
«Geopolitische Turbulenzen werden der Schweiz langfristig nicht schaden und ihre Position in der globalen Vermögensindustrie wahrscheinlich nur stärken», sagt der Vorsitzende des European Network of Family Offices.
«Wenn Sie ein erfolgreicher Unternehmer in einem politisch instabilen Land sind, ist es Ihre Priorität, Ihr Vermögen zu sichern. Kein anderes Land weltweit kann politische Stabilität und regulatorische Sicherheit mit einem so hohen Mass an Expertise in der Vermögensverwaltung garantieren.»
Die Vereinigung Schweizerischer Privatbanken (ASPB) gibt an, dass ein Viertel aller weltweiten grenzüberschreitenden Vermögenswerte in Schweizer Tresoren verwahrt wird. Dabei stützt sie sich auf eigene Zahlen, um die Behauptung der BCG, Hongkong würde der Schweiz bald die Krone wegschnappen, zu widerlegen.
Die Schweizer Privatbanken verwalteten 2020 ein Vermögen von 2,2 Billionen Franken von ausländischen Privatpersonen und Familien und Vermögensverwalter weitere 1,4 Billionen Franken von institutionellen Anlegern aus dem Ausland. Diese Zahlen sind laut der ASPB heute weitgehend unverändert.
Statistische Anomalien
Aus den jüngsten Daten von 2021 des Branchenverbands Hong Kong Securities and Futures Commission geht hervor, dass etwas mehr als die Hälfte des von seinen Privatbanken verwalteten Gesamtvermögens in Höhe von 1,36 Billionen Dollar von Offshore-Kunden eingezahlt worden ist – davon 16% aus Festlandchina. Weitere 1,3 Billionen Dollar an Überseegeldern wurden bei Hongkonger Vermögensverwaltern angelegt.
Hongkong und Singapur geben sich nicht mit dem Stillstand zufrieden, wenn in den kommenden Jahren so viel potenzieller neuer Reichtum zu holen ist. Die Schweiz hat die Vermögensverwaltungsbranche in Singapur mit aufgebaut, während der Finanzmarkt von Hongkong das Erbe der früheren britischen Herrschaft trägt.
Weiter haben beide Geltungsbereiche Massnahmen ergriffen, um den Zustrom neuer Family Offices zu fördern, die das Vermögen wohlhabender Familien verwalten.
In Singapur «hat sich die Zahl der Single-Family Offices, die Vermögensverwaltung anbieten, seit Beginn der Pandemie fast verdreifacht. Dies ist vor allem auf den Zustrom wohlhabender chinesischer Familien zurückzuführen», schreibt das Beratungsunternehmen für hochwertige Immobilien Knight Frank in seinem Wealth Report 2023.
Singapur verfüge jedoch nicht über das umfassende Know-how der Schweiz und hinter der politische Stabilität Hongkongs, das zunehmend von den Regulierungsbehörden des chinesischen Festlands kontrolliert wird, stehen immer noch Fragezeichen, sagt du Jourdin.
In der Zwischenzeit arbeitet die Schweiz daran, neue Wege zu finden, um die Vermögen der Wohlhabenden zu verwalten, seit die USA das Bankgeheimnis als verlässliche Geldquelle demontiert haben. Die Schweizer Banken seien gezwungen, innovativere Ansätze zur Erhaltung und Vermehrung des Kundenvermögens zu verfolgen, sagt du Jourdin.
«Vor dreissig Jahren bestand das Schweizer Vermögensverwaltungsmodell aus nicht deklariertem Geld, das zum Zwecke der Steuerhinterziehung in bar hinterlegt wurde», sagt er. «Die Branche hat in letzter Zeit einen enormen Wandel durchgemacht, um transparenter und wettbewerbsfähiger zu werden, indem sie Dienstleistungen anbietet, die für die Kunden einen echten Mehrwert darstellen.»
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