Fünf Lehren aus dem 21. Mai
Die Schweiz spricht sich für eine Abkehr vom Atomstrom aus. Das Abstimmungsergebnis vom 21. Mai liefert folgende fünf Erkenntnisse.
1. Doris Leuthard hat die Zeit ihres Lebens
Es gibt kaum ein Ding, das man Bundespräsidentin Doris Leuthard dieser geerdeten, freundlichen Frau, nicht abkaufen würde. Kürzlich war sie in der Unterführung des Berner Bahnhofs zu beobachten an einem Freitagabend, als die Pendler von einer langen Arbeitswoche ermüdet ins Wochenende schlurften. Doris Leuthard fiel in dieser Masse auf. Nicht als Prominente, sondern weil sie von allen die Fröhlichste war. Das deutliche Ja zur Energiestrategie 2050 ist ihr Sieg. «Dossiersicher» sind alle Bundesräte, gut gelaunt ist nur die eine. Dies machte in dieser Abstimmung voller Unwägbarkeiten den Unterschied aus. Zwei Drittel der Stimmbürger vertrauen Doris Leuthard. Annähernd so viele gaben ihrer Energiestrategie die Stimme.
2. Die Schweizer verzeihen keine Übertreibungen
Dabei gab es auf Seite der Gegner Argumente, die Kraft hätten entwickeln können. Zum Beispiel die Mehrkosten, die jeder Haushalt für den nun eingeschlagenen Weg irgendwann wird bezahlen müssen. Hier griffen die Gegner aber zu Übertreibungen. In einer Kampagne, die vor kalten Duschen warnte, verschenkten sie Kredit. Ein schlüssiges Argument der Gegner war der Verweis auf eine «Planwirtschaft» im künftigen Strommarkt, auf Lenkungsmassnahmen für die Energiewirtschaft, die einen freien Strommarkt auf weitere Jahrzehnte verunmöglichen wird – obwohl diesen eigentlich fast alle wünschen. Dieses Argument zu kommunizieren wäre eine natürliche Aufgabe des Wirtschaftsverbands Economiesuisse gewesen. Diese ist aber noch beschäftigt mit dem Schmerz der letzten Niederlage, der Unternehmenssteuerreform III. So heftig ist dieser, dass man nicht die Entschlossenheit für eine Stimmempfehlung fand. Auch darum marschierte Leuthard mit ihren Ideen durch.
3. Noch ist die Solidarität zwischen den Generationen intakt
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Energie aus Atomkraft ist Strom auf Kosten kommender Generationen. Es war wohl weniger Fukushima, das auch in der politischen Mitte den Zweifel an der Atomkraft wachsen liess, sondern die ungelöste Frage der Endlager. Die Schweizer haben schon immer grosszügige Weitsicht bewiesen, wenn es um Fairness gegenüber den nachfolgenden Jahrgängen ging. Mit dieser Lehre geht das Land nun in die Abstimmung über die Rentenreform – es wird der bisher grösste Prüfstein für den Schweizer Vertrag zwischen den Generationen.
4. Die Schweizer glauben an die Zukunft
Das Ja zur Energiestrategie 2050 ist auch Ausdruck eines optimistischen Blicks in die Zukunft, es ist ein deutliches «Wir schaffen das!». Noch weiss kaum jemand so genau, wie aus Wasser, Erde, Sonne und Wind genügend Energie für dieses wachsende Land gewonnen werden kann. Aber der Glaube an die Technik und das Vertrauen in die eigene Kraft hat die Schweiz schon immer geprägt. Bertrand Piccards Solarflugzeug hat diese Botschaft in die Welt getragen, wenn auch mit Pannen. Gleichzeitig feierte das Land die Eröffnung der Neat, einer lange undenkbaren Sonderleistung. Staumauern, Solarzellen, Windräder, Erdwärme, das alles funktioniert – und im Verbund dieser Technologien liegt Potenzial.
5. Das Land steht vor einer grossen Aufgabe
Es wird nun staatlich belohnt, wer sich in die vorgegebene Richtung bewegt. So sinnvoll dies ist, es liegt darin auch die Gefahr, dass Landschaften und Ortsbilder verschandelt und Experimente betrieben werden. Dies hat das Land nun zu diskutieren. Der Weg, solche Dinge zu regeln ist etabliert und bewährt. Es gibt aber auch das Risiko, dass nun Wirtschaftszweige wachsen, die sich an dieser neu geschaffenen Zitze des Staates gross saugen – und durch die neuen Subventionen mächtig werden wie vor fünfzig Jahren die Strombarone. Diese Gefahr ist mit Charisma und Fröhlichkeit nicht gebannt. Wenn Schweizer bezahlen – das haben sie an der Urne getan – wollen sie Kontrolle.
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