«Künstlicher Baum» aus der Schweiz soll grünen Wasserstoff erzeugen
Die Entwicklung von grünem Wasserstoff ist mit hohen Kosten und Transportproblemen verbunden. Doch ein an der Technischen Hochschule Lausanne entwickelter Solarreaktor verspricht Abhilfe. Die erste Pilotanlage wird im Februar 2024 in der Schweiz in Betrieb gehen. Auch im Ausland stösst diese technische Innovation auf Interesse.
Der auf dem Campus der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) installierte Parabolspiegel ist nicht zu übersehen. Mit einem Durchmesser von sieben Metern und einer Ausrichtung ins Weltall erinnert er an ein Radioteleskop.
Er ist jedoch nicht dazu gedacht, Radiowellen aus dem Weltraum zu bündeln, sondern Sonnenlicht und Wasser zu nutzen, um Wasserstoff herzustellen.
Dieses Gerät sei die erste Demonstration der solaren Wasserstoffproduktion auf Systemebene, sagt Professorin Sophia Haussener, Leiterin des EPFL-Labors für die Wissenschaft und Technik erneuerbarer EnergienExterner Link (LRESE).
Das bedeutet konkret, dass dieser Prototyp im Gegensatz zu Laborexperimenten alle notwendigen Elemente für eine kontinuierliche Wasserstoffproduktion enthält.
Wasserstoff ist ein kohlenstoffneutraler Brennstoff und kann als «Batterie» zur Speicherung von erneuerbarer Energie verwendet werden. Die Herausforderung besteht darin, ihn gewinnbringend aus dem Untergrund zu fördern oder ihn aus erneuerbaren Quellen zu produzieren, und zwar in grossen Mengen und zu akzeptablen Kosten.
Wasserstoff ist auch eines der Hauptthemen ausserhalb der internationalen Klimakonferenz in DubaiExterner Link (COP28). In dieser Reihe werden das Potenzial und die Grenzen von Wasserstoff sowie die Rolle von Wissenschaft und Industrie bei der Suche nach dem grünen Kraftstoff der Zukunft untersucht.
Das patentierte System trägt den Namen Arb (von lateinisch arbor = Baum) und wurde von der Firma «SoHHytec»Externer Link entwickelt, einem im Innovationspark der EPFL angesiedelten Startup-Unternehmen.
Dieses System soll zwei Hauptprobleme lösen, welche die Entwicklung von grünem Wasserstoff behindern: Die hohen Produktionskosten und die Schwierigkeit, den als Energieträger der Zukunft geltenden Stoff zu transportieren.
Arb ist in der Lage, Wasserstoff in der Nähe seines Verwendungsorts zu produzieren, sowie zu vergleichbaren, wenn nicht sogar tieferen Kosten zu produzieren als der so genannte graue Wasserstoff, der aus Methan und Kohle gewonnen wird. Derzeit stammen 96 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs aus fossilen QuellenExterner Link.
Dies sind die wichtigsten Merkmale einer neuartigen Technologie, für welche «SoHHytec» mehr als drei Millionen Franken an Startup-Finanzierungsgeldern aufgetrieben hat.
Unternehmen aus den Bereichen Metallurgie, Energie und Logistik konnten davon überzeugt werden, auf erneuerbaren Wasserstoff zu setzen, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Nach zehn Jahren Forschung und Entwicklung ist der «künstliche Baum» nun bereit, Früchte zu tragen.
Wie funktioniert der künstliche Baum?
Das Sonnenlicht wird von dem Parabolspiegel reflektiert und im Reaktor im Brennpunkt gebündeltExterner Link. Im Inneren des Reaktors spaltet der von der Sonne erzeugte elektrische Strom Wassermoleküle (H2O) in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) auf, durch einen Prozess, welcher der Photosynthese in Pflanzen ähnelt.
Es handelt sich um einen rotierenden Hohlspiegel, der dem Sonnenstand folgt, um die Leistung zu maximieren (siehe VideoExterner Link). Durch den Anschluss an eine externe Stromquelle kann auch bei bewölktem Wetter oder in der Nacht Wasserstoff produziert werden.
Einzigartig ist die Fähigkeit dieser Anlage, die während des Prozesses entstehende Wärme und den Sauerstoff zurückzugewinnen. Die Wärme kann zur Beheizung von Gebäuden oder zur Vorwärmung bestimmter industrieller Prozesse verwendet werden
Der Sauerstoff, der oft als Abfallprodukt betrachtet wird, kann etwa in Spitälern zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Atemwegerkrankungen eingesetzt werden.
«SoHHytec» behauptet, dass Arb effizienter sei als herkömmliche Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff mit Solar- oder Wasserkraft. Unter Berücksichtigung der Wärme- und Sauerstoffrückgewinnung liegt der Wirkungsgrad nach Angaben des Startups bei 80 Prozent.
Genug Wasserstoff, um ein Auto anzutreiben
Der von Arb erzeugte Wasserstoff weise eine Reinheit von über 99% auf und werde im Reaktor vorkomprimiert, so dass er gebrauchsfertig sei, sagt Firmenmitbegründer Saurabh Tembhurne gegenüber SWI swissinfo.ch.
Mit einer Produktion von etwa einem halben Kilogramm Wasserstoff pro Tag könne der Prototyp ein Brennstoffzellenfahrzeug antreiben, das täglich etwa 70 Kilometer zurücklege.
Die photochemische Reaktion zur Erzeugung von grünem Wasserstoff ist seit Jahrzehnten bekannt, aber ihre Umsetzung wurde durch verschiedene Hindernisse gebremst.
Das an der EPFL entwickelte System stelle einen bedeutenden Schritt in Richtung nachhaltiger Energielösungen dar, schreibt die Maschinenbauingenieurin Canan Acar von der Universität Twente in den Niederlanden auf Anfrage von SWI swissinfo.ch.
Acar forscht seit mehr als 15 Jahren auf dem Gebiet des grünen Wasserstoffs. «Die lokale Produktionskapazität, die eine umfangreiche Transportlogistik überflüssig macht, trägt ebenfalls zu seiner Praktikabilität und Skalierbarkeit bei», sagt sie.
Die Lebensdauer eines Arb wird auf etwa zwanzig Jahre geschätzt. Um die Produktion zu erhöhen, muss lediglich der Durchmesser des Parabolspiegels vergrössert oder die Anzahl der «künstlichen Bäume» vervielfacht werden, wie die folgende Animation zeigt.
Erste Pilotanlage in der Waadt
Ab Februar 2024 wird die erste Pilotanlage bei einem Metallbauunternehmen in Aigle (Kanton Waadt) in Betrieb sein. Zwahlen & MayrExterner Link wird in einem «künstlichen Garten» einen Teil des Wasserstoffs selbst produzieren, der für die Herstellung von Edelstahlrohren benötigt wird.
Fünf Arb-Module mit einem Durchmesser von neun Metern und einer Gesamtleistung von 20 Megawatt werden neben der Fabrik installiert.
Das Unternehmen rechnet damit, auf diese Weise rund 20% seines Wasserstoffbedarfs zu decken, sagt Christian Charpin, stellvertretender Geschäftsführer von Zwahlen & Mayr, gegenüber swissinfo.ch. Die Wärme wird zur Aufheizung des Wassers in der Fabrik verwendet, während der Sauerstoff an lokale Spitäler geliefert wird.
Das Startup «SoHHytec» beabsichtigt, sein innovatives Produkt auch ins Ausland zu exportieren. Ein Projekt in Kalifornien, das sich in der Abschlussphase befindet, sieht die Errichtung eines Parks mit 1000 Arbs vor, die bis zu 2400 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren sollen.
Anlagen dieser Art können zum Beispiel grünen Treibstoff für den Schwerlastverkehr liefern. Rund 150 Lastwagen, die 500 km pro Tag fahren, liessen sich damit antreiben.
Tembhurne glaubt, dass der Produktionspreis von grünem Wasserstoff in den USA durch die ausschliessliche Nutzung von gebündeltem Sonnenlicht auf etwa 2,5 Dollar pro Kilogramm sinken könnte.
Dieser Preis würde in etwa dem auf Methan gewonnenen WasserstoffExterner Link entsprechen (in der Schweiz liegt dieser im Moment bei 15-23 Franken pro Kilo). Wenn es dann noch Spitäler gäbe, die den Sauerstoff kaufen würden, könnten die Kosten für Wasserstoff weiter sinken, meint Tembhurne.
«SoHHytec» ist auch im Gespräch mit Partnern in Indien, darunter Energieerzeuger, Vertreter der chemischen Industrie sowie Transport- und Verkehrsunternehmen, die Diesel in Lastwagen und Zügen durch Wasserstoff ersetzen wollen.
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Die Bedeutung der Klimabedingungen
Ingenieurin Acar unterstreicht, dass der Erfolg dieser Art von Technologie (Solar-Wasserstoff-Systeme) vom jeweiligen industriellen Einsatzgebiet abhänge, aber in hohem Mass auch von den geografischen und klimatischen Bedingungen.
«Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung werden am meisten profitieren, während die Rentabilität in Gegenden mit weniger stabiler Sonneneinstrahlung eingeschränkt sein könnte.»
Bestehende Industrieanlagen müssen technologisch angepasst werden, um Arb-Systeme zu integrieren. Dies erfordert laut Acar präzise wirtschaftliche Überlegungen und eine sorgfältige Planung seitens der Unternehmen.
«SoHHytec» konzentriert sich vorerst auf einen Einsatz der Technologie in der Industrie. Interessierte Unternehmen können in diese Infrastruktur investieren oder einen langfristigen Vertrag über die Lieferung von Wasserstoff zu einem festen Preis abschliessen.
Für die Zukunft schliesst das Startup jedoch auch Anwendungen im Wohnbereich nicht aus. Die Verwendung von Wasserstoff im Wohnungswesen sei noch wenig verbreitet und unterliege strengen lokalen Vorschriften, sagt Tembhurne.
«Wir könnten uns jedoch kleinere Parabolspiegel für Einfamilienhäuser vorstellen, mit denen die Menschen in ihrem Garten Energie und Wärme erzeugen können», meint er.
Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob
Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob
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