Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Acht bahnbrechende Schweizer Erfindungen im Jahr 2023

Gehirnimplantat in der Vorführung
Elektronische Implantate und Gehirn-Wirbelsäulen-Technologie, die an der EPFL entwickelt wurden, ermöglichten es einem Mann mit einer schweren Rückenmarksverletzung, wieder zu gehen. Jean-christophe Bott/Keystone

Eine Gehirn-Wirbelsäulen-Technologie, mit der ein gelähmter Mann wieder gehen kann, Hühnerfedern zur Stromerzeugung und ein Laser, der Blitze ablenken kann: Das sind die diesjährigen Schweizer Innovationen, die unser Leben in den kommenden Jahren verändern könnten.

Die Schweiz hat mehr als schöne Berge. Die Schweizer Universitäten und Forschungsinstitute gehören zu den besten der Welt und ziehen immer mehr talentierte internationale Studierende und Wissenschaftler:innen an.

Sie ist eines der innovativsten Länder der Welt und erreicht Exzellenz in Wissenschaft und Technologie. Ganze 3,3% des jährlichen Bruttoinlandprodukts flossen 2021 in Forschung und Entwicklung.

Auf das neue Jahr hin stellen wir acht Forschungsprojekte und Innovationen aus der Schweiz vor, die uns 2023 aufgefallen sind.

Neue Materialien zur Heilung von Magen und Darm

Undichte Magen- und Darmwunden können lebensbedrohlich sein. Es gibt zwar Pflaster, die beschädigtes Gewebe abdichten können. Aber diese lösen sich zu schnell wieder auf. Jetzt haben Wissenschaftler:innen aus der Schweiz und Tschechien Externer Linkein neues Pflaster aus speziellen Polymeren entwickelt, die sich mit dem Darmgewebe vernetzen und die Wunde versiegeln. Auf diese Weise verhindert das Pflaster, dass saure Säfte und keimbelastete Speisereste aus dem Verdauungstrakt austreten und Entzündungen oder sogar lebensgefährliche Blutvergiftungen auslösen. Das Pflaster verfügt ausserdem über Sensoren, die eine Frühwarnung senden können, bevor Verdauungssäfte in die Bauchhöhle austreten.

Leckendes Magenpflaster.
Empa

Eine hitzebeständige Drohne für die Brandbekämpfung

Drohnen ziehen bereits Feuerlöschschläuche an Hochhäusern hinauf oder werfen in abgelegenen Gebieten Löschmittel ab, um die Ausbreitung von Waldbränden zu verhindern – allerdings nur aus sicherer Entfernung. Denn im Inneren eines brennenden Gebäudes kann die Temperatur bis zu 1000 Grad Celsius erreichen.

Um näher herankommen zu können, haben Forscher:innen der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und des Imperial College London eine hitzebeständige Drohne namens FireDrone entwickelt, die aus wärmeisolierenden Materialien wie Glasfasern und Polyimid-Aerogel besteht. Das Aerogel ist von den Schutzmechanismen von Pinguinen und Polarfüchsen inspiriert, die dank einer Fettschicht oder eines Fells unter extremen Temperaturen leben.

Gelähmter Mann kann dank Gehirn-Wirbelsäulen-Vorrichtung wieder gehen

Im Jahr 2011 hatte Gert-Jan einen Fahrradunfall, der ihn lähmte. Zwölf Jahre später kann der 40-jährige Niederländer dank spezieller Implantate in seinem Gehirn und seiner Wirbelsäule sowie einer drahtlosen Technologie, die seine Gehirnströme lesen kann, wieder stehen, Treppen steigen und einkaufen gehen. Eine Gehirn-Computer-Schnittstelle wurde über dem Teil des Gehirns implantiert, der die Beinbewegung steuert. Sie kommuniziert mit einem Rückenmarksimplantat, das elektrische Impulse sendet, um die Bewegung der Beinmuskeln zu stimulieren. Die Schnittstelle verwendet Algorithmen, die auf Methoden der künstlichen Intelligenz beruhen, um Gehirnaufzeichnungen in Echtzeit zu entschlüsseln.

Es klingt wie Science-Fiction, aber das von Neurowissenschaftler:innen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), des Universitätsspitals Lausanne und der CEA, einer staatlichen französischen Forschungseinrichtung, entwickelte Gehirn-Rückenmark-Gerät hat bereits grosse Wirkung gezeigt.

«Vor ein paar Monaten konnte ich zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder aufstehen und mit meinen Freunden ein Bier trinken, das war ziemlich cool», sagt Gert-Jan, «Dieses einfache Vergnügen steht für eine grosse Veränderung in meinem Leben.»

Ein «künstlicher Baum» produziert grünen Wasserstoff, Sauerstoff und Wärme

Ist es eine Satellitenschüssel oder ein Teleskop? Nein, es ist ein «künstlicher Baum». Ein einzigartiger Solarreaktor auf dem EPFL-Campus in Lausanne verspricht, die hohen Kosten und Transportschwierigkeiten bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff zu überwinden. Das Sonnenlicht wird von einem Parabolspiegel reflektiert und in einem Reaktor im Brennpunkt konzentriert. Im Innern spaltet der von der Sonne erzeugte elektrische Strom Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Dieser Prozess ähnelt der Photosynthese in Bäumen und Pflanzen.

Das Vorführsystem dreht sich mit der Sonne, um die Leistung zu maximieren. Es kann auch bei bewölktem Wetter oder nachts Wasserstoff erzeugen, indem es an eine externe Stromquelle angeschlossen wird. Die Entwickler:innen sagen, dass sie einen höheren Wirkungsgrad hat als herkömmliche grüne Wasserstoffproduktionsanlagen, die mit Solar- oder Wasserkraft betrieben werden.

Das EPFL-Start-up SoHHytec arbeitet mit einem Schweizer Unternehmen zusammen, um eine Demonstrationsanlage zu bauen, die Wasserstoff für das Erhitzen von Metallen, Sauerstoff für nahegelegene Krankenhäuser und Wärme für den Warmwasserbedarf der Fabrik produzieren soll.

Mehr

In den Himmel gerichtete Laserstrahlen lenken Blitzeinschläge ab

Wissenschaftler:innen haben in den Appenzeller Alpen einen auf den Himmel gerichteten Hochleistungslaserstrahl eingesetzt, um Blitzeinschläge abzulenken. In Experimenten sendete ihr Laser Impulse aus – 1000 Mal pro Sekunde. Vier Blitzeinschläge wurden erfolgreich abgefangen. Dieses Konzept, das erstmals in den 1970er-Jahren präsentiert wurde, hat zwar bereits unter Laborbedingungen funktioniert, aber noch nicht in der Praxis. «Unsere Arbeit stellt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung eines laserbasierten Blitzschutzes für kritische Infrastrukturen wie Flughäfen, Startrampen und Kraftwerke dar», so Jean-Pierre Wolf von der Universität Genf. Blitze verursachen jährlich Schäden in Milliardenhöhe an Gebäuden, Kommunikationssystemen, Stromleitungen und elektrischen Geräten. Ausserdem töten sie weltweit Tausende von Menschen.

Beschichtetes Netz sammelt und reinigt Wasser aus Nebel 

«Nebelsammler» – kleine feinmaschige Netze – werden bereits in trockenen Ländern wie Peru, Bolivien, Chile, Marokko und Oman eingesetzt, um kleine Nebeltröpfchen aufzufangen, die sich in mehrere hundert Liter Wasser pro Tag verwandeln. Bei diesem Prozess werden jedoch auch Schmutz und Verunreinigungen aufgefangen, und das unbehandelte Wasser kann nicht zum Trinken oder Kochen verwendet werden.

Forscher in der Schweiz haben nun ein speziell beschichtetes Metallnetz entwickelt, das dem Nebel Wasser entziehen und es gleichzeitig reinigen kann. Der Metalldraht ist mit einer Mischung aus Polymeren und Titandioxid beschichtet. Dieser wirkt als chemischer Katalysator, der die Moleküle vieler organischer Schadstoffe in den Tropfen aufspaltet und unschädlich macht. Die Technologie erfordert wenig oder gar keine Wartung. Und ausser einer geringen, aber regelmässigen Dosis ultravioletten Lichts zur Regeneration des Katalysators wird keine Energiequelle benötigt.

Hühnerfedern für die Stromerzeugung

Jedes Jahr werden weltweit 40 Millionen Tonnen Hühnerfedern verbrannt. Dabei wird viel Kohlendioxid freigesetzt und es entstehen auch giftige Gase wie Schwefeldioxid. Doch was wäre, wenn man die Federn sinnvoll nutzen könnte? Wissenschaftler:innen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) und der Nanyang Technological University Singapur haben nun eine Lösung gefunden: Sie extrahieren das Protein Keratin und wandeln es um in ultrafeine Fasern, sogenannte Amyloidfibrillen. Diese können für die Membran einer Brennstoffzelle verwendet werden.

Das Herzstück einer jeden Brennstoffzelle ist eine halbdurchlässige Membran. Sie lässt Protonen durch, blockiert aber Elektronen, so dass diese durch einen externen Stromkreis von der negativ geladenen Anode zur positiv geladenen Kathode fliessen, wodurch Elektrizität erzeugt wird. In herkömmlichen Brennstoffzellen werden diese Membranen in der Regel mit hochgiftigen Chemikalien hergestellt, die teuer sind und sich in der Umwelt nicht abbauen. Die «Hühnerfeder»-Membran hingegen besteht hauptsächlich aus biologischem Keratin, das umweltverträglich und in grossen Mengen verfügbar ist.

Bilder von Hühnerfedern
ETH Zurich

Ein Hightech-Stock für Blinde und sehbehinderte Menschen

Drei Studierende der ETHZ haben einen «intelligenten» Stock entwickelt, der blinden und sehbehinderten Menschen hilft, sich sicher zu orientieren. Eine Kamera und Sensoren geben haptisches Feedback, also Vibrationsmuster. Der Stock tastet den Boden ab und zeigt an, in welche Richtung man gehen sollte, um Hindernissen auszuweichen. Die Vibrationen geben an, ob man beispielsweise vor einer Tür, einem Fussgängerstreifen oder einer Treppe steht. «Mit einem normalen Blindenstock muss man nach Hindernissen tasten und sich langsam vorwärts bewegen. Mit unserem Stock können blinde Benutzer:innen in Bewegung bleiben und alle Hindernisse auf natürliche Weise überwinden», erklärt der Student Arvid Gollwitzer.

ETH-Studierende mit ihrem intelligenten Blindenstock.
ETH Zurich

Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft