Schweizer Drohnen und Roboter verändern die Landwirtschaft
Sensoren, Big Data, künstliche Intelligenz und Robotik gehören heute in der Landwirtschaft immer häufiger zum Alltag auf dem Feld und im Stall.
«Es ist bald an der Zeit, die Ernte einzubringen.» Das meldet der Besitzer einer Zuckermühle in Indien den lokalen Zuckerrohrbauern in der Gegend. Dank der Technologie eines Schweizer Startups kennt er heute diesen Moment ganz genau.
Die Informationen, die der Zuckerfabrikant erhält, kommen von Gamaya, einem Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Die Software kombiniert ihre eigenen pflanzen- und regionenspezifischen Algorithmen mit Satellitenbildern. Letztes Jahr konnte sich Gamaya die Zusammenarbeit mit dem grössten Traktorfabrikanten Indiens, Mahindra & Mahindra, im Umfang von 4,3 Millionen Franken sichern.
Drohnen und Satelliten sind zu einem beliebten Instrument für Landwirte geworden, um ihre Ländereien zu vermessen und mit Hilfe von Agritech-Unternehmen Ertragsdaten zu generieren. Gamaya verwendet je nach Standort verschiedene Arten von Bilderfassungs-Technologien, wie z.B. spezielle auf Drohnen montierte Kameras, um den Zustand der Ernte zu erfassen.
«Unsere hyperspektralen Kameras, an eine Drohne montiert, liefern hochaufgelöste Bilder», sagt Thomas Peyrachon von Gamaya. Die Kamera erfasse 40 verschiedene Lichtbänder, während bei herkömmlichen Kameras nur drei zum Einsatz kämen, erklärt er.
So können feinste Variationen in der Lichtreflektion der Pflanzen erfasst werden, und anhand dieser Daten interpretiert das Programm ihren Zustand.
Weniger ist mehr
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) fallen gegenwärtig zwischen 20 und 40 Prozent der weltweiten Getreideernte Schädlingen und Krankheiten zum Opfer. Auf einem durchschnittlichen Landwirtschaftsbetrieb fallen täglich eine halbe Million Daten an, von der Bodentemperatur über die individuelle Milchleistung von Kühen bis zum Schädlingsbefall von Pflanzen.
Werden diese Daten in wertvolle Tipps umgewandelt, können Landwirte viel effizienter arbeiten und weniger Ressourcen dafür einsetzen. Sogar in einem einzelnen Maisfeld beispielsweise kann es verschiedene Stellen geben, an denen sich zu einem gewissen Zeitpunkt eine Neubepflanzung oder die Ausbringung von Dünger, Pestiziden, Herbiziden oder Fungiziden lohnt.
Die Argumentation hinter all diesen neuen Entwicklungen ist jene, die in der Landwirtschaft schon immer galt: auf ganzer Linie den besten Ertrag und die beste Qualität erzielen. Doch heute, wenn man die Schäden betrachtet, welche die Landwirtschaft anrichtet, heisst es: «Weniger ist mehr.» Wir brauchen zwar immer noch mehr Nahrung, aber wir wollen die Ressourcen so schonen, dass die Umwelt vor weiterer Schädigung bewahrt wird.
Dieser Wandel hin zum Micro-Managing von Landwirtschaftsbetrieben mithilfe von ausgeklügelten Daten, während gleichzeitig der ökologische Fussabdruck verringert werden kann, wird die Vierte Landwirtschaftsrevolution genannt.
Der so genannte Agrotech-Sektor erlebt derzeit weltweit einen Boom. Zudem ist die Förderung von Innovation und Digitalisierung in der Landwirtschaft eines der erklärten Ziele der neuen Schweizer Agrarpolitik für 2022 bis 2025Externer Link (AP 22+).
Zentralisiert
«Es gibt viele Forschungsaktivitäten in alle Richtungen», sagt Roland Siegwart, Professor für autonome mobile Roboter an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). «Wir hoffen, aus der Schweiz einen grossen Hub machen zu können, besonders in den Bereichen Datenerfassung und Datenanalyse, in denen wir über eine Menge an Erfahrung verfügen.» Siegwart arbeitete zuvor auch an einem Projekt mit Gamaya in der Ukraine, an dem auch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) beteiligt war.
Gamaya konzentriert sich gegenwärtig auf die brasilianischen Märkte für Zuckerrohr und Sojabohnen. Denn Agrarriesen wie Brasilien und die USA sind auf der Suche nach Agrotech-Firmen, die ihnen mit Drohnen- und Satellitenbildern helfen können.
Für Zuckerrohr, wo einige Betriebe bis 100’000 Hektar gross sind, hat das Schweizer Startup eine Lösung entwickelt, um mit Detektoren an Drohnen Lücken in den Pflanzungen zu erkennen. Diese sind wegen der mehrjährigen Lebensdauer der Pflanzen einer der Hauptgründe für Ertragsverlust. Werden die Lücken aufgespürt, kann der Produzent an den problematischsten Stellen eine Neubepflanzung vornehmen.
Aber nicht nur aus der Luft werden die digitalen Helfer eingesetzt: Neben der Datensammlung und Besprühung aus der Luft können autonome Roboterfahrzeuge für verschiedene Zwecke genutzt werden, wie Jäten, Düngerausbringung oder die Ernte von Früchten.
An der ETH-Forschungsstation für Pflanzenwissenschaften in EschikonExterner Link zwischen Zürich und Winterthur testen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Maschinen, die im Feld selbständig arbeiten können. Zehn Studierende der Ingenieurswissenschaften haben in einem Lehrprojekt den Auftrag erhalten, einen Roboter zu konstruieren, der durch Rübenfelder fährt und Unkraut identifiziert und vernichtet. Die Prototypen sollen im Mai oder Juni fertig sein.
Den Pflanzen zuhören
Ein anderes Schweiz Startup, Vivent aus dem französischsprachigen Kanton Waadt, verfolgt einen neuartigen Ansatz in der Analyse von Pflanzen. Dabei werden Biosignale überwacht und interpretiert.
Das Unternehmen hat einen Sensor entwickelt, der an die Pflanze angebracht wird, etwa an eine Gewächshaus-Tomate. Pflanzen würden je nach Stress oder Stimulierung verschiedene Signale abgeben, sagt Mitgründerin Carrol Plummer.
«Wir können Pflanzensignale interpretieren, um die unterschiedlichen Zustände von Pflanzen zu erfahren. Wir können etwa unterscheiden, ob eine Pflanze von einem kauenden oder saugenden Insekt angegriffen wird, oder ob sie eine Pilzinfektion hat oder an Nährstoffmangel leidet. Der Pflanzer kann daraufhin auf diese Informationen reagieren.»
Die Signale werden ähnlich aufbereitet wie eine Software zur automatischen Spracherkennung funktioniert: «Wir zeichnen die Signale auf, wenn die Pflanze gesund ist, gestresst oder stimuliert wird und setzen künstliche Intelligenz ein, um die Signale zu interpretieren. Es ist ähnlich, wie wenn man eine Sprache lernt.»
Vivent hat Mittel erhalten, um die Arbeit an zwei neuen Projekten mit Agroscope fortzusetzen, der eidgenössischen Forschungsanstalt für Landwirtschaft. Mit der Fülle an Informationen und neuen Systemen, die den Landwirten jetzt zur Verfügung stehen, darunter eine Unmenge an Management-Apps, liegt die Herausforderung darin, die richtigen Technologiepakete für den jeweiligen Landwirtschaftsbetrieb zu finden. Es könnte daher sein, dass die Beratungstätigkeit zum nächsten Wachstumsbereich im Smart Farming wird.
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Wenn Traktor und Mähdrescher auf einmal Roboter sind
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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