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Wasserstoff – das Benzin von morgen?

Zapfhahn mit Wasserstoff (H2)
Tanken mit Wasserstoff, ein in Zukunft öfter gesehenes Bild? Keystone

Er gilt als eines der zentralen Elemente der Energiewende. Doch in der Schweiz ist der Einsatz von Wasserstoff zur Speicherung von Strom und zum Betrieb von Fahrzeugen noch gering. Die Herausforderung ist, diesen nachhaltig und sicher zu produzieren.

«Pack den Tiger in den Tank», warb früher ein grosser US-Ölkonzern für sein Benzin. Die Kunden sollten ihre Tanks mit der Kraft und Explosivität eines Tigers füllen.

Heute, in Zeiten der Bekämpfung von Umweltverschmutzung und Klimawandel sind Benzin und Diesel unter Druck geraten. Wie auch der Tiger in seinem natürlichen Lebensraum, könnten fossile Brennstoffe früher oder später aussterben. An ihre Stelle treten könnten ein anderer Treibstoff, Wasserstoff, und ein anderes Tier, die Ameise.

+ Düstere Zukunftsaussichten für Diesel

Ein Fünftel der Energie aus Wasserstoff

Wasserstoff könnte 2050 fast einen Fünftel der weltweit verbrauchten Energie abdecken, heisst es in einer Studie des Hydrogen CouncilExterner Link (HC).

Diese Entwicklung könnte bis zu 20% zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen, die notwendig sind, um die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen.

Nach Schätzungen des HC könnte Wasserstoff bis 2030 10-15 Millionen Privatfahrzeuge und 500’000 Lastwagen antreiben.

Der HC besteht aus 18 multinationalen Konzernen (darunter General Motors, Honda und Shell). Er wurde während des World Economic Forum (WEF) 2017 gegründet.

Was Ameisen genau mit Wasserstoff zu tun haben, dazu später mehr. Wichtig ist vorerst, dass Wasserstoff (H2) einer der vielversprechendsten EnergieträgerExterner Link ist, um fossile Brennstoffe zu ersetzen.

«Nachhaltig produzierter Wasserstoff kann im Zusammenspiel mit verschiedenen anderen Technologien einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten», schreibt das Bundesamt für EnergieExterner Link.

Im Rahmen der Energiewende habe Wasserstoff sicherlich «gute Karten», schätzt Rudolf Blessing, Ingenieur bei Auto SchweizExterner Link, der Vereinigung der offiziellen Automobil-Importeure.

Und am letzten Automobilsalon in Genf anerkannte auch die Erdöl-VereinigungExterner Link, dass Wasserstoff-Autos die Mobilität der Zukunft sein könnten.

Doch was genau ist Wasserstoff, und was wäre sein Nutzen?

Wasser statt CO2

Wasserstoff ist das am häufigsten vorkommende chemische Element im Universum. Jedes Wassermolekül besteht aus zwei Wasserstoff-Atomen.

In der chemischen Industrie und der Raumfahrt wird Wasserstoff bereits seit Jahrzehnten benutzt. Seit einigen Jahren erobert er nun langsam auch den Automobilsektor. Immer mehr Modelle werden mit Wasserstoff betrieben, der zusammen mit Sauerstoff in einer so genannten BrennstoffzelleExterner Link zur Stromerzeugung kombiniert wird, wie der folgende Film zeigt.

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Der Vorteil des Wasserstoffs gegenüber fossilen Brennstoffen ist, dass er kein CO2 oder andere Giftstoffe erzeugt. Aus den Auspuffrohren entweicht nur Wasserdampf. Zudem ist Wasserstoff ebenso benutzerfreundlich wie herkömmliche Kraftstoffe (Reichweite, Tankfüll-Geschwindigkeit, Kosten pro gefahrenem Kilometer, usw.).

Das Ei und das Huhn

Gute Nachrichten also für Autofahrende. Aber zum Tanken braucht man auch Tankstellen. Und in diesem Punkt werden Wasserstofffahrzeuge meist noch ausgebremst. Denn in der Schweiz lassen sich die Wasserstoff-Tankstellen an einer Hand abzählen.

Wenn man die Versuchsanlagen bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) nicht mitzählt, gibt es lediglich eine einzige öffentliche Wasserstoff-Tankstelle, in Hunzenschwil im Kanton Aargau. Diese wurde im November 2016 im Rahmen einer Partnerschaft zwischen dem Detailhändler Coop und der Empa eröffnet.

Externer Inhalt
SRF Tagesschau vom 4.11.2016: Erste Wasserstoff-Tankstelle in der Schweiz eröffnet

Die Tankstelle in Hunzenschwil betankt hauptsächlich zwölf Lieferwagen und einen Lastwagen von Coop. Doch auch wenn die Betreiber von «externen Stammkunden» und von Plänen zur Eröffnung dreier weiterer Standorte im Land sprechen, bleiben Wasserstoff-Fahrzeuge in der Schweiz ein seltener Anblick.

Laut Blessing verkehren gegenwärtig etwa fünfzig solche Fahrzeuge auf Schweizer Strassen. Zum Vergleich: In Verkehr sind zurzeit etwa 13’000 Elektrofahrzeuge, die ihrerseits eine kleine Minderheit sind (von insgesamt 4,6 Millionen Personenwagen in der Schweiz).

Für Verkehrsexperten ist es das klassische Dilemma vom Ei und dem Huhn: Ohne ein ausreichendes Tankstellennetz werden sich wenige Nutzer für diesen Fahrzeugtyp entscheiden. Und ohne solche Fahrzeuge kann die Infrastruktur nicht rentabel betrieben werden.

«92% des produzierten Wasserstoffs werden mit Hilfe von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle hergestellt.»
Gabor Laurenczy, EPFL

Wasserstoff aus dem Fluss

Die Tankstelle im Aargau hat hingegen eine Besonderheit, die entscheidend zur Entwicklung einer emissionsfreien Mobilität beitragen könnte. Ihr Wasserstoff wird durch das Schweizer Startup H2 EnergyExterner Link hergestellt, das ausschliesslich mit erneuerbaren Quellen arbeitet. Im vorliegenden Fall braucht die Firma von Wasserkraftwerken hergestellte Elektrizität, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen (Elektrolyse).

Dies sei alles andere als normal, sagt Gabor LaurenczyExterner Link, Professor an der EPFL: «92% des produzierten Wasserstoffs werden mit Hilfe von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle hergestellt.» Wenn man wirklich eine ökologische Wirkung erreichen wolle, müsse der Wasserstoff mit erneuerbaren Energien hergestellt werden, betont er.

Gerade im Zusammenhang mit der Förderung sauberer Energiequellen kann Wasserstoff als eine Säule der Energiewende betrachtet werden. Und so kommen wir endlich zu den bereits erwähnten Ameisen.

Ameisen im Tank

Wasserstoff nämlich sei die optimale Lösung für die Lagerung von Energie, sagt Laurenczy. So könnte die überschüssige, aus erneuerbaren Quellen gewonnene Energie – zum Beispiel durch Solaranlagen während des Sommers – in Form von Wasserstoff eingelagert werden.

Um die technischen und sicherheitstechnischen Probleme im Zusammenhang mit diesem hochexplosiven Gas zu umgehen, schlägt der EPFL-Professor vor, den Wasserstoff in Ameisensäure umzuwandeln. «Das ist ein biologisch abbaubares Produkt, das einfach zu lagern, transportieren und handhaben ist.» Die grössten Produzenten seien die Industrie und, wie der Name schon sagt, die Ameisen.

EPFL-Professor Gabor Laurenczy mit Brennstoffzelle
EPFL-Professor Gabor Laurenczy glaubt, dass Ameisen der Schlüssel für die Zukunft der Mobilität sind.​​​​​​​ ©EPFL_AlainHerzog/

«Interessant ist, dass Ameisensäure durch die Kombination von Wasserstoff mit Kohlendioxid hergestellt werden kann. So könnte man das CO2 aus der Atmosphäre wiederverwenden, was helfen würde, die globale Erwärmung einzudämmen.

Ameisensäure, die wie Benzin in Plastikkanistern gelagert werden kann, könnte bei Bedarf in Wasserstoff umgewandelt werden, der damit wieder Elektrizität liefern würde.

Für diese Umwandlung haben Laurenczy und sein Team als Weltpremiere eine besondere BrennstoffzelleExterner Link entwickelt. «Vereinfacht gesagt, schüttet man auf der einen Seite Ameisensäure hinein, auf der anderen kommt Elektrizität heraus», sagt der Professor.

Grafik
Laura Cipriano/EPFL

Potenzial nicht ausgeschöpft

Im Vergleich zu einer typischen Wasserstoff-Brennstoffzelle biete eine solche mit Ameisensäure Vorteile in Bezug auf Grösse, Transportfreundlichkeit, Sicherheit und Kosten, betont Laurenczy.

Der Forscher ist zuversichtlich: Wenn einmal ein komplettes integriertes System entwickelt worden sei, das überschüssige erneuerbare Energie speichern kann, könnte die Ameisensäure-Brennstoffzelle dazu benutzt werden, um Gebäude zu heizen sowie Boote, Busse und Autos anzutreiben.

Wasserstoff als Kraftstoff der Zukunft zu betrachten, sei deshalb vielleicht etwas übertrieben, sagt Rolf Huber, Verwaltungsratspräsident von H2 Energy. «Ich sehe ihn eher als einen möglichen Kraftstoff, der in der Lage ist, eine Reihe von Problemen zu lösen. Wir haben aber noch nicht sein ganzes Potenzial ausgeschöpft.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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