Wie eine Schülerin gegen Antibiotikaresistenzen kämpft
Die 19-jährige Nina Kathe hat gerade erst ihr Studium in Biomedizin an der Universität Zürich begonnen. Sie ist aber schon Autorin einer preisgekrönten Forschungsarbeit über Antibiotikaresistenzen, ein globales Problem für die öffentliche Gesundheit.
Angesichts der zwei prestigeträchtigen Auszeichnungen, die Nina Kathe für ihre Forschung erhielt, könnte man denken, dass ihr Projekt über Antibiotikaresistenz in E. coli-Bakterien das Ergebnis eines Stipendiums oder einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit war. Dem war nicht so: Sie hatte das Experiment mit Hilfe ihres eigenen Computers und im Biologieunterricht ihrer Schule im Kanton Aargau selber durchgeführt; es war ihre Maturarbeit.
«Als ich meinem Biologielehrer meine Idee präsentierte, schaute er mich seltsam an und sagte, ich könnte es versuchen. Es töne aber wirklich utopisch und ich sollte daher auch nicht enttäuscht sein, falls es nicht klappen würde», erklärt Kathe gegenüber swissinfo.ch.
«Eigentlich hätte ich meine Abschlussarbeit in einer Zweiergruppe machen sollen, aber ich konnte die Lehrer überzeugen, dass dies zu kompliziert wäre. Danach vertiefte ich meine Nachforschungen, las viele Artikel, durchforstete zahlreiche Datenbanken. Und dann setzte ich das Experiment auf und führte es durch», sagt sie weiter.
Als sie herausfand, dass es im Biologiezimmer ihrer Schule an der nötigen Ausrüstung fehlte, die sie für ihr Experiment brauchte, erhielt Nina Kathe die Bewilligung, Ausrüstung und Platz in einem Labor der Universität Zürich nutzen zu dürfen, wo sie nun im ersten Semester Biomedizin studiert.
In den kommenden Monaten wird Nina Kathe neben ihrem vollen Studienpensum auch einen Besuch im renommierten Europäischen Labor für Molekularbiologie (EMBL) an der Universität Heidelberg in Deutschland unter einen Hut bringen müssen. Der einwöchige Besuch des EMBL ist ein EIROforum-Spezialpreis, den sie für ihr Experiment zur Bekämpfung von antibiotikaresistenten Bakterien beim 29. EU-Wettbewerb für junge Forscherinnen und Forscher (European Union Contest für Young Scientists, EUCYS) in Tallinn, Estland, erhielt. Die Teilnahme an diesem EU-Wettbewerb war der Preis, den Nina Kathe früher in diesem Jahr für das gleiche Experiment im Rahmen des jährlichen Wettbewerbs Schweizer Jugend forscht (SJF) gewonnen hatte.
«Nina Kathe hat eine lebenswichtige Frage der modernen Gesellschaft aufgegriffen, die Antibiotikaresistenz pathogener Bakterien», erklärt Hugo Stocker, der Leiter einer Forschungsgruppe am Institut für molekulare Systembiologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), der Ninas Arbeit beim EUCYS-Wettbewerb beurteilt hatte.
«Ihre Arbeit zeugt sowohl von ihrer Begeisterung für biomedizinische Forschung als auch von ihrer erstaunlichen Reife. Sie liegt weit über dem, was man von einem [Kantonsschulprojekt] erwarten kann.»
Bakterien übers Ohr hauen
Das Ziel von Nina Kathes Experiment war, herauszufinden, ob man Moleküle, die als kurze, nicht-kodierende RNAs (ribonucleic acid: Ribonukleinsäure) bezeichnet werden, nutzen könnte, um die Aktivität von Genen in E. coli-Bakterien stillzulegen, die Resistenzen gegen das Antibiotikum Tetracyclin entwickeln. Um dies zu tun, entwickelte Kathe eine künstliche RNA-Sequenz, die darauf abzielte, die Aktivität von Tetracyclin-resistenten Genen in E. Coli-Bakterien (Kolibakterien) zu blockieren. Sie fand heraus, dass viele dieser Bakterien in Gegenwart der speziell entwickelten RNA-Moleküle ihre Resistenz gegen Tetracyclin verloren und getötet wurden, wenn man sie dem Antibiotikum aussetzte.
RNA-Moleküle sind unter Laborbedingungen tendenziell instabil und Nina Kathe konnte die DNA der E. coli so verändern, dass die Bakterien die modifizierten kleinen RNA-Stücke selber produzierten – und damit letztlich ihren eigenen Untergang verursachten.
«Man könnte sagen, dass das vielleicht etwas gemein war, da die Bakterien die RNAs gleich selber produzierten, die sicherstellen würden, dass die Antibiotika sie töten könnten», lacht Kathe.
Obschon das Experiment in Bezug auf die Bekämpfung der bakteriellen Resistenz gegenüber Tetracyclin weitgehend erfolgreich war, unterstreicht Nina Kathe, dass noch viel Arbeit zu tun bleibe.
«Es ist kein Ersatz für das Antibiotikum, aber es macht dieses wieder wirksam», erklärt sie und verweist darauf, dass die Effizienz des Prozesses noch verbessert werden müsse. Sie sagt auch, dass sie das Experiment wiederholen möchte, um zu sehen, was im Innern der Bakterienzellen auf einer molekularen Ebene geschieht. «Wenn ich die Methode verbessern und herausfinden kann, was wesentlich ist, um diese Resistenzgene stillzulegen, käme als nächster Schritt der Übergang zu In-vivo-Experimenten, zum Beispiel mit Mäusen», erklärt sie.
Sie hofft, dass die Methode eines Tages dazu genutzt werden kann, ein Medikament für Menschen zu entwickeln, das die Wirksamkeit von Antibiotika gegen Bakterien, die resistent geworden sind, wieder herstellen würde.
WHO: Fakten zur Antibiotikaresistenz
– Gemäss der Definition der Weltgesundheits-Organisation (WHO) entsteht antimikrobielle Resistenz, «wenn Mikroorganismen (wie Bakterien, Pilze, Viren und Parasiten) sich verändern, wenn sie antimikrobiellen Medikamenten (wie Antibiotika, Antimykotika und antiviralen Mitteln) ausgesetzt werden».
– Mikroorganismen, die eine antimikrobielle Resistenz entwickeln, werden manchmal auch als «Superbugs» bezeichnet. Können antimikrobielle Medikamente solche Superbugs nicht mehr abtöten, können Infektionen allenfalls nicht geheilt werden und sich leichter verbreiten.
– Während es aufgrund genetischer Veränderungen in diesen Organismen im Lauf der Zeit auf natürliche Weise zu antimikrobieller Resistenz kommt, führten Missbrauch und übermässige Anwendung – sowohl bei Menschen als auch bei Nutztieren – weltweit zu einer Beschleunigung dieses Prozesses.
– Die WHO schätzt, dass in Europa pro Jahr 25’000 von 400’000 Personen wegen Infektionen mit einem resistenten Bakterienstamm sterben.
– Zurzeit findet man in jedem Land der Welt antibiotikaresistente Bakterien. Zwei der am weitesten verbreiteten resistenten Stämme sind K. pneumonia, ein Magen-Darmtrakt-Bakterium, und E. coli (Kolibakterium)
– Die WHO bietet eine Reihe von Infografiken an, die aufzeigen, was man tun kann, um den Missbrauch von Antibiotika zu vermeiden.
Unersättliche Leserin
Die Inspiration für ihr Projekt gehe auf ihre Begeisterung für die Natur und ihre Liebe für wissenschaftliche Lektüre zurück, sagt Nina Kathe. «Zum ersten Mal las ich im Scientific American über diese RNAs und war sogleich fasziniert davon. Ich finde es immer interessant, über neue Entwicklungen in Physik, Chemie und Biologie zu lesen.»
«Ich habe mich schon immer für die Natur interessiert, und für Alles, das damit zusammenhängt. Vielleicht ist das wegen meinen Eltern und Grosseltern, die oft mit mir in den Wald gingen, um zu sehen, welche Pflanzen und Tiere wir dort finden konnten. Je älter ich wurde, umso mehr wollte ich auch die molekularen Mechanismen dahinter verstehen: Was lässt zum Beispiel eine Blume rot erscheinen? Da habe ich angefangen, neben Biologie auch Mathematik, Physik und Chemie zu studieren.»
Sie werde als Studentin der Universität Zürich diese Fächer weiterverfolgen, sagt Nina Kanthe. Und sie hofft, dass ihr Experiment einst die Grundlage für eine Master- oder gar eine Doktorarbeit bilden könnte. Was ihre Karriereplanung betreffe, gehe sie im Moment aber einfach einen Tag nach dem anderen an.
«Es wäre toll, wenn ich einmal Universitätsprofessorin oder Supervisorin eines bekannten Labors werden würde. Aber vorerst konzentriere ich mich einfach darauf, meine Studiengänge erfolgreich voranzubringen. Jede einzelne Information hilft mir, die Welt besser zu verstehen oder trägt etwas zu meinen künftigen Projekten bei.»
Nationale Kampagne
Kathe erhielt ihre Auszeichnung rechtzeitig für die erste nationale Antibiotika-Awareness-Woche der Schweiz, die vom 13. bis zum 19. November stattfindet. Die von der Regierung unterstützte Kampagne läuft zur gleichen Zeit wie die Internationale Antibiotika-Awareness-Woche der WHO. Sie soll die Öffentlichkeit über die Gefahren der Antibiotikaresistenzen – für Menschen, Tiere, Landwirtschaft und Umwelt – aufklären und die neusten Informationen über das beste Vorgehen beim Einsatz von Antibiotika vermitteln. Universitäten, Konsumentenorganisationen und andere Akteure werden im ganzen Land eigene Veranstaltungen zu dem Thema organisieren. Zudem ist für den 18. November ein Europäischer Antibiotika-Tag geplant.
Gemäss dem Bericht zur Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) von 2015 liegt die Schweiz in Bezug auf die Anzahl von resistenten Bakterienstämmen in der Humanmedizin im Mittelfeld: relativ tief im Vergleich zu einigen europäischen Ländern – vor allem Frankreich, Italien und Grossbritannien – aber höher im Vergleich zu Skandinavien und den Niederlanden. Dazu beigetragen haben könnte, dass die Schweiz sich vom Einsatz von Breitbandantibiotika wegbewegte und vermehrt auf Medikamente setzte, die jeweils nur auf bestimmte Bakterien abzielen.
Dazu kam, dass die Schweiz schon 1999 den Zusatz von Antibiotika als Wachstumsförderer in Tiernahrung verboten hat. Sie investierte auch viel in die Überwachung des nationalen Antibiotikaeinsatzes und der Resistenzentwicklung, vor allem durch das Schweizerische Zentrum für Antibiotikaresistenzen, sowie in die Forschung durch das Nationale Forschungsprogramm Antimikrobielle Resistenz (NFP 72).
Aber auch in der Schweiz steigen die Antibiotikaresistenzen von gewissen Bakterien, vor allem E. coli und Staphylococcus aureus («goldgelber Staphylokokkus»). Nina Kathe verweist darauf, dass Veränderungen der medizinischen und landwirtschaftlichen Praktiken beim Kampf gegen den Anstieg der Antibiotikaresistenzen ebenso wichtig seien wie wissenschaftliche Innovationen.
«Die Leute müssen keine Experten sein, aber sie sollten wissen, dass nur bakterielle Infektionen mit Antibiotika behandelt werden können. Die meisten Infektionen der oberen Atemwege sind zum Beispiel Virenerkrankungen, es macht also keinen Sinn, den Arzt um ein Antibiotikum zu bitten. Ärzte verschreiben diese Medikamente, wenn sie wirklich notwendig sind», sagt sie.
«Ich habe noch viel Forschungsarbeit vor mir, mein Experiment war erst der Anfang. Es ist nicht die Lösung des Problems [der Antibiotikaresistenzen], nur eine Art und Weise, diese zu umgehen. Wir müssen wirklich unser Verhalten ändern, um dieses Problem zu lösen und zu verhindern, dass es überhaupt erst entsteht.»
Schweizer Umfrage: Antibiotikagebrauch und Einstellungen
Gemäss einer Umfrage im Auftrag des Bundesamts für GesundheitExterner Link von 2016 zu Antibiotikaresistenzen hatte ein Viertel der Schweizer Bevölkerung in den 12 Monaten davor Antibiotika in oraler Form eingenommen. Besonders hoch war der Anteil in der Romandie und im Tessin, bei den 15- bis 24-Jährigen.
Die meisten hatten die Antibiotika von einem behandelnden Arzt, allenfalls auch in einem Spital, erhalten, oder sie auf Rezept in einer Apotheke geholt, nur sehr wenig Antibiotika waren ausserhalb des Schweizer Gesundheitswesens bezogen worden.
Die Umfrage kam weiter zum Schluss, dass 75% der Schweizer Bevölkerung über ein «gutes Wissen zum Thema Antibiotika» verfügen. Es war auch gut bekannt, dass die unnötige Einnahme von Antibiotika deren Wirksamkeit verringert. Ebenso bekannt war, dass Antibiotika kein effektives Mittel gegen Grippe und Erkältungen sind, dennoch schienen viele der Befragten sich nicht klar darüber, ob Antibiotika «Viren zerstören» oder nicht.
Die Repräsentativumfrage wurde telefonisch bei 1000 Personen in allen Landesteilen durchgeführt, um Wissen, Einstellungen und Umgang mit Antibiotika der Schweizer Bevölkerung zu eruieren.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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