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Archäologie immer mehr eine Hightech-Wissenschaft

Je älter die Grabstätte, desto mehr Wissenschaft braucht es, um die Funde einzuordnen. Keystone

In der Archäologie machen sich wissenschaftliche Methoden immer breiter: Dieser Paradigmenwechsel verwischt zusehends die Grenzen zwischen dieser Disziplin und den Naturwissenschaften.

Auf Reisen quer durch die Schweiz, besonders in den Sommermonaten, ist es nichts Ungewöhnliches, Leute zu erblicken, die sich draussen im Feld an Fundstellen zu schaffen machen. Doch das herkömmliche Graben, Kratzen und Staubwischen ist heute nur noch ein Teil der archäologischen Arbeit.

Sobald eine Ausgrabung beendet ist, stellt sich dem Archäologen die Frage, was die gefundenen Artefakte erzählen. Um das herauszufinden, nahm die Anwendung von wissenschaftlichen Methoden in den letzten Jahren fühlbar zu, entweder in Form von spektakulären Resultaten oder im Einsatz von modernster Technologie.

«Allein vom technologischen Standpunkt aus betrachtet, ermöglicht uns der wissenschaftliche Fortschritt, Gegenstände, Orte und auch noch sehr dünn gesäte Spuren der Vergangenheit intensiver zu durchleuchten», sagt Marc-Antoine Kaeser, Direktor des archäologischen Museums Laténium bei Neuchâtel.

So geschehen zum Beispiel beim «König von Stonehenge»: Es ging um die Überreste eines in Südengland gefundenen Grabes von einem wohlhabenden Bogenschützen. Dieser, so fand man dank chemischer Tests heraus, stammte eigentlich aus den Alpen. Proben vom Zahnmaterial des Bogenschützen lassen darauf schliessen, dass er wahrscheinlich aus der Region der heutigen Schweiz kam.

Das Paul-Scherrer-Institut im Kanton Aargau andererseits bedient sich starker Neutronen- und Röntgenstrahlen, um Gegenstände zu analysieren und deren innere Strukturen aufzudecken, ohne dass der Gegenstand selbst während der Untersuchung beschädigt wird.

Ausserdem können sowohl Hobby- als auch professionelle Archäologen heute auf ein Auge aus dem Himmel zurückgreifen, um mögliche Orte ausfindig zu machen, die Ausgrabungsfunde versprechen: Google Earth macht’s möglich. Früher hätten sie sich dies nie leisten können.

Wenn sich wissenschaftliche Disziplinen vermählen

Auf diese Weise ist die Beziehung zwischen Archäologen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen viel enger geworden.

«Während der letzten 20 Jahre wurde die Archäologie in die Naturwissenschaften eingebettet. Die Erkenntnis hat sich verfestigt, dass es nötig ist, Umgebung und Umwelt einer Gesellschaft verstehen zu müssen, um diese Gesellschaft selbst zu verstehen», sagt Kaeser. Dies sei für die Archäologie einem Paradigmenwechsel gleichgekommen.

Vor 50 Jahren hatte sich in der Schweiz ein archäologisch grosser Sprung nach vorne ereignet. Damals übernahm der Bund im Zusammenhang mit dem Ausbau des Nationalstrassennetzes die Kosten für die Feldforschung. Das gab Ausgrabungen grossen Auftrieb.

Mit einer besseren Finanzierung im Rücken begannen die Archäologen, branchenfremde Spezialisten beizuziehen, die bisher weder an Feldforschung noch an Ausgrabungen beteiligt gewesen waren. Auch war die Suche nach Fundstellen nicht auf jenes Terrain beschränkt, durch das später Autobahnen führten. Auch wurden die Ausgrabungen mit den anstehenden Boden-Untersuchungen kombiniert.

Gerade Geologen haben in letzter Zeit ihre Methoden vermehrt in Fundstellen und Ausgrabungen eingebracht: Archäologen, die mit ihrem eigenen Fachwissen am Ende waren, begannen, Geologen beizuziehen. Diese sollten bestimmen, ob die Erdschichten, in denen sich Fund-Gegenstände befanden, durch Menschenhand oder natürlich entstanden waren. Besonders wenn es sich um Gegenstände handelte, die älter waren als jene aus der gallisch-römischen Zeit.

Fortgeschrittene Methodik

Mineralogen, die Physik, Chemie und Geologie kombinieren, um Minerale zu bestimmen, sind dank fortschreitender Technik heute in der Lage, auch bei alter Keramik die Ursprünge nachzuweisen. Sie finden heraus, wo sie hergestellt wurde. Dies wiederum lässt auf Handelswege und Verkehrsrouten rückschliessen.

Auch die Qualität der Interpretation kleinster Funde hat sich verfeinert: «Vor zwanzig Jahren liess sich beim Analysieren der Phosphate in einer Höhle einfach nur bestimmen, ob dort während einer gewissen Zeit auch Bären gelebt haben», sagt Luc Braillard, ein Geologe an der Universität Freiburg. «Heute hingegen lässt sich unter dem elektronischen Scanner-Mikroskop ersehen, wie viele Schichten es gibt und ob die Höhle diverse Male von Tieren bewohnt worden war.»

Fortgeschrittene Methoden erlauben es Naturwissenschaftlern auch festzustellen, welche Temperaturen früher in einem Herd oder Ofen erreicht werden konnten. Daraus lässt sich ableiten, welche Metalle benutzt wurden und auf welchem technischen Niveau sich die ehemaligen Bewohner der Fundstätte befanden. Elektronische Scanner-Mikroskope sind auch imstande herauszufinden, wofür genau ein gefundenes Instrument, dessen Zweck man nicht kennt, gebraucht wurde.

Umweltbezüge

Es sei dieses Zusammenarbeiten von Ausgräbern und Geologen, so Braillard, das zu den grössten Veränderungen in der Archäologie geführt habe.

«Dadurch, dass an einer Fundstelle von Beginn weg Stichproben genommen und die richtigen Fragen dazu gestellt werden, lässt sich vermeiden, dass diese ohne Bezug zum Ganzen analysiert werden», sagt Braillard. Dieser ständige Austausch mit den Archäologen trage zur vermehrten Plausibilität der Endresultate bei.

Auf den Ausgrabungsstätten spielen Geologen inzwischen eine wichtige Rolle: «Bevor die A5 bei Bevaix im Kanton Neuenburg gebaut wurde, habe es scheinbar mehr Geologen als Archäologen auf den Baustellen gegeben, die nach Spuren prähistorischer Vergangenheit gesucht hätten», so Braillard.

Mit fortschreitendem technischen Wandel und der Integration von naturwissenschaftlichen Abläufen bei Ausgrabungen haben es die Archäologen auch aufgegeben, sich jeweils auf eine einzige Fundstelle zu konzentrieren. Heute schauen sie sich in einem breiteren Umfeld um.

«Landschaften beispielsweise sind das Resultat einerseits aus der Geschichte und andererseits aus dem, was unsere Vorfahren mit dem Boden taten.»

Bis zur industriellen Revolution im 19. Jahrhundert sei die Interaktion zwischen Menschen und ihrer Umwelt wichtig gewesen. «Für das Überleben von Gemeinschaften und die Entwicklung von Zivilisationen war ausschlaggebend, das Ökosystem richtig zu bewirtschaften».

Die an Ort vorhandenen Ressourcen waren ausschlaggeend für den Entscheid, sich hier oder anderswo niederzulassen. Funde aus prähistorischer Zeit zeigen auf, dass die Leute damals ihre Zukunft über die Bewirtschaftung der vor Ort bestehenden Möglichkeiten einschätzten.

Andererseits, so Braillard, sei auch dies mehr als Konzept denn als Wirklichkeit aufzufassen. Klar gefasste Pakete gebe es keine. «Die Zeit verläuft für Geologen nicht linear, sondern mit Unterbrechungen. Archäologen verstehen das nur schlecht.»

Alles habe seine Geschichte, aber die Menschheit sei nur ein Teil davon. Sämtliche Informationen, die man über Menschen besitze, seien nur lokal.

Um das Alter von Fundgegenständen und Stichproben zu bestimmen, kommen verschiedene wissenschaftliche Methoden in Frage.

Die Radiokarbon-Methode (Radiokohlenstoff-Methode) erlaubt es, organische Materialien mit dem C14 Isotop zu messen. C14 ist ein instabiler Kohlenstoff. Stirbt ein Organismus, verliert er im regelmässigen Rhythmus C14.

Die Dendro-Chronologie ist eine Datierungsmethode der Geowissenschaft. Anhand der Jahresringe von Bäumen und ihrer unterschiedlichen Breite können bestimmte Wachstumszeiten zugeordnet werden.

Neutronenbeaming: Neutronen können Metalle durchdringen und Substanzen mit Hydrogen offenlegen. Dies erlaubt eine Analyse von Gegenständen, ohne dass man sie zerstören muss.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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