Bodenkunde – wie ein Spiel im Sandkasten
Böden speichern grosse Mengen an Kohlenstoff. Um zu verstehen, wie sich arktische Böden entwickeln und verändern, wenn sich das Klima erwärmt, musste unser Blogger nach Spitzbergen reisen, einer norwegischen Inselgruppe im Nordpolarmeer.
Bodenforschende sehen manchmal aus wie Kinder, die im Sandkasten spielen. Stellen Sie sich mehrere Erwachsene vor, die ein Loch graben und darin herumliegen oder Schlamm mit den Fingern aufheben und rollen, um die Strukturklasse zu bestimmen. Anschliessend packen sie die Bodenproben in Metallbecher und -tüten, um sie im Labor weiter zu analysieren.
Dieses Vorgehen mag auf Aussenstehende seltsam wirken, aber es folgt etablierten wissenschaftlichen Regeln und Protokollen, um Böden auf repräsentative Weise zu beschreiben und zu beproben. Und wenn man weiss, wo man suchen muss, braucht man manchmal nur ein paar Schritte zu gehen, um eine neue Welt zu betreten.
Auf Spitzbergen bedeutet das für Bodenwissenschaftler wie mich, sehr unterschiedliche Böden nebeneinander zu beproben. Nur wenige Meter voneinander entfernt können die Böden tief und relativ gut entwickelt oder felsig und flach sein, während die oberirdische Vegetation keine offensichtlichen Unterschiede aufweist.
Die Folgen, die diese Unterschiede für den Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf haben, sind jedoch von globaler Bedeutung, speziell im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Feldnotizen aus der Arktis
Eine Gruppe von Doktorierenden der ETH Zürich hat sich auf den Weg zur norwegischen Inselgruppe Spitzbergen gemacht. Im hohen Norden wollen sie die Begrünung der Arktis untersuchen; ein Prozess, der durch die globale Erwärmung ausgelöst und lokal durch die chemische und geologische Beschaffenheit des Bodens bestimmt wird.
Der Bodenwissenschaftler Moritz Mainka arbeitet seit Januar 2023 am Arctic Greening Projekt. Sein Forschungsziel ist es, zu verstehen, wie Böden auf die Erwärmung reagieren und wie sich dies auf Ökosysteme und unser zukünftiges Klima auswirken wird. Zu diesem Zweck modelliert Mainka das langfristige Verhalten von Böden. Seine Forschung stützt sich auf Bodenproben, die seine Kolleginnen und Kollegen im vergangenen Jahr gesammelt haben und die derzeit in den Labors der ETH Zürich analysiert werden.
Wir wollen untersuchen, wie viel Kohlenstoff in den Böden von Spitzbergen gespeichert ist. Vor allem aber wollen wir besser verstehen, wie der Kohlenstoffkreislauf in diesen Böden abläuft, wenn sich die Arktis rasch erwärmt – und wie schnell sich verschiedene Bodentypen unter den neuen klimatischen Bedingungen verändern und entwickeln werden.
Die Reaktion der arktischen Böden wird einen enormen Einfluss auf das globale Klimasystem haben. Die grosse Befürchtung ist, dass grosse Mengen an Kohlenstoff, die bisher im Permafrostboden gespeichert waren, in die Atmosphäre freigesetzt werden, wodurch die globale Erwärmung verstärkt und beschleunigt wird.
Und tatsächlich sind die Mikroorganismen im Boden bereits aktiver geworden und zersetzen alten Kohlenstoff, der seit Tausenden von Jahren im Permafrostboden gespeichert ist.
In Nordschweden zum Beispiel sind die Folgen des auftauenden Permafrosts in Form von Methanblasen sichtbar, einem starken Treibhausgas, das aus zuvor gefrorenen Böden austritt. Die Freisetzung von Methan könnte den Treibhauseffekt an diesen Orten verstärken.
Ein wärmerer Planet bedeutet aber auch ein besseres Pflanzenwachstum und eine schnellere Bodenentwicklung, da Gesteine verwittern und Mineralien freisetzen, welche die Kohlenstoffspeicherung im Boden stark beeinflussen können.
Mehr mineralische Oberflächen in stärker entwickelten Böden können zum Beispiel den Kohlenstoffeintrag, den sie von der üppigeren Vegetation erhalten, vor mikrobieller Zersetzung schützen.
Es ist aber nicht bekannt, wie schnell und wie viel Kohlenstoff in den Böden stabilisiert werden kann und ob dieser Prozess in irgendeiner Weise dem Verlust von Kohlenstoff aus altem, schmelzendem Permafrost entgegenwirkt.
Auf Spitzbergen ist das Ausgangsmaterial – also das Gestein, aus dem sich die Böden im Lauf der Zeit bilden – ausserordentlich vielfältig. Während unserer Feldstudie im Juli und August 2022 waren wir erstaunt, wie sehr sich die Böden veränderten: je nach Gestein, aus dem sie entstanden sind, und je nachdem, wo in der Landschaft wir diese Böden finden.
Aber auch wenn uns geologische Karten eine gewisse Orientierung boten, war es nicht immer einfach, die verschiedenen Gesteine zu finden und zu identifizieren, auf denen die Böden entstanden sind.
Wir haben Tundra-Böden gefunden, deren Vegetation recht ähnlich aussah, deren Ausgangsmaterial aber Millionen von Jahren auseinanderlag. Sie hatten oft eine völlig unterschiedliche geochemische Zusammensetzung, was zu ausgeprägten Unterschieden in der Tiefe und bei wichtigen Eigenschaften wie der Textur führte.
In ähnlicher Weise waren Böden, die sich in der Nähe von Vogelfelsen entwickelten – wo Nährstoffe reichlich vorhanden sind (danke, Vogelkot) und Pflanzen gut wachsen –, in viel grössere Tiefe entwickelt als solche auf demselben Ausgangsmaterial, aber ohne die Nährstoffvorteile, die Vögel bieten.
Die Bodenproben, die wir im Sommer 2022 in den Tundren von Spitzbergen gesammelt haben, lagern nun sicher in Gefrierschränken im Labor der ETH Zürich und warten darauf, auf ihre chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften hin analysiert zu werden. Der nächste Schritt unseres Projekts wird sein, zu verstehen, was diese verschiedenen Eigenschaften für den Kohlenstoffkreislauf bedeuten.
Ausserdem planen wir mehrere Laborexperimente, die Aufschluss über die Geschwindigkeit des Kohlenstoffkreislaufs unter verschiedenen klimatischen Bedingungen geben.
Diese Experimente werden uns dabei helfen, herauszufinden, wie verschiedene Bodenminerale den Kohlenstoff in arktischen Böden stabilisieren können und welche Mikroorganismen am Abbau des Kohlenstoffs beteiligt sind, den Pflanzen in die Böden einbringen.
Ein beliebtes Spiel in Sandkästen ist das «Kuchenbacken». Als Bodenkundler muss ich jedoch zugeben, dass das «Backen» von Bodenkuchen im Labor viel mehr Spass macht. Weil man dort die Böden anhand ihrer Farbe deutlich unterscheiden kann.
Alle bisherigen Beiträge finden Sie in der Übersicht zu unserem Arktis-Blog:
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Feldnotizen aus der Arktis
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Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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