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Bakterien als Plastik-Fresser: Kein Allheilmittel für das Abfallproblem

Plastics gathered to display at the Paris plastics treaty.
Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird sich die weltweite Produktion von Kunststoffabfällen bis 2060 fast verdreifachen. Etwa die Hälfte davon landet auf einer Deponie und weniger als ein Fünftel wird recycelt. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Während die Gespräche über ein globales Plastikabkommen in Paris fortgesetzt werden, weckt die jüngste Entdeckung von Plastik fressenden Bakterien in den Alpen die Hoffnung, dass diese für das Recycling nutzbar gemacht werden könnten. Doch eine solche Lösung liegt in weiter Ferne, mahnt der Schweizer Forscher Joel Rüthi. 

Der Wissenschaftler von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hat das Projekt geleitet, bei dem in den Bündner Alpen und in der Arktis Mikroben entdeckt wurden, die zwei Arten von Kunststoff verdauen können: biobasiertes PUR (Polyurethan) und fossil basiertes PBAT/PLA (Butylenadipat-Co-Terephthalat-Polylactid).

PUR findet sich in Haushaltsschwämmen, Matratzen oder Turnschuhen. PBAT/PLA ist in kompostierbaren Plastiktüten enthalten. Keiner der Stämme war in der Lage, biologisch nicht abbaubares Polyethylen (PE) zu verdauen. Die StudieExterner Link ist in der Zeitschrift Frontiers in Microbiology veröffentlicht worden.

Joel Rüthi, WSL
Joel Rüthi, Mikrobiologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), hat mit seiner Forschung weltweit Schlagzeilen gemacht. WSL

Die Entdeckung von Mikroben, die Kunststoffe bei niedrigen Temperaturen (15 °C) abbauen können, könnte als «wertvolle Ressource» beim Abbau und Recycling von Kunststoffen dienen, sagen Wissenschaftler:innen.

Die Erkenntnisse kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich Delegierte aus 175 Ländern in Paris treffenExterner Link, um an einem wegweisenden Vertrag zur Beendigung der weltweiten Plastikverschmutzung zu arbeiten. Es bestehen jedoch grosse Differenzen zwischen den Staaten, die die Produktion von mehr Kunststoffen einschränken wollen, und der petrochemischen Industrie, die das Recycling als Lösung für den Plastikmüll favorisiert.

SWI swissinfo.ch: Ihre Forschung ist auf grosses Interesse gestossen, vor allem in den englischsprachigen Medien – eine Überraschung?

Joel Rüthi: In der ersten Woche war es verrückt. Ich verbrachte die ganze Zeit damit, E-Mails von Journalist:innen aus aller Welt zu beantworten und Radiointerviews mit Leuten zu führen, zum Beispiel aus Australien.

Wir haben vor, mit unseren Forschunge fortzufahren, aber ehrlich gesagt haben wir nicht erwartet, dass diese so viel Aufsehen erregen würde.

In Ihrer Studie haben Sie 19 Bakterienstämme und 15 Pilzstämme untersucht, die auf frei liegendem oder absichtlich vergrabenem Kunststoff wachsen, der ein Jahr lang in Grönland, Spitzbergen und der Schweiz im Boden gelagert wurde. Sie liessen die Mikroben als Einzelstammkulturen im Labor im Dunkeln bei 15 °C wachsen und testeten sie auf verschiedenen Arten von Kunststoffen. Sind die Ergebnisse eine Weltneuheit?

Das würde ich so sagen. Es gibt zwar bereits viele Studien über Mikroben, die Kunststoffe fressen. Die grosse Neuigkeit ist aber, dass dies auch bei niedrigen Temperaturen passiert. Das war etwas überraschend. Es gibt frühere Studien, beispielsweise über Tiefsee-Mikroben, bei denen die Verdauung von biologisch abbaubaren Kunststoffen nachgewiesen wurde. Der Unterschied ist, dass wir den Effekt an verschiedenen biologisch abbaubaren Kunststoffen getestet haben.

Aber wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, denn wir haben nur Mikroben gefunden, die biologisch abbaubare Kunststoffe verdauen; Polyethylen (PE) wurde nicht angegriffen. Es war nicht überraschend, dass keine Stämme PE abbauten. Überraschend war jedoch, dass ein recht grosser Teil der von uns getesteten Mikroben mindestens einen der biologisch abbaubaren Kunststoffe abbauen konnte.

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Was bedeutet das?

Ich denke, wir können davon ausgehen, dass es viele Mikroben in der Umwelt gibt, die biologisch abbaubare Kunststoffe abbauen könnten, aber das hängt immer noch weitgehend von den Umweltfaktoren ab.

Wir wissen, dass sie Kunststoffe unter Laborbedingungen abbauen können, wo wir eine feste Temperatur haben und wo wir Nährstoffe in der gewünschten Menge zuführen können. Aber wir wissen immer noch nicht, ob sie das auch im Boden tun würden, wo sie leben.

Wir können also die Plastik abbauenden Mikroben nicht einfach in die Umwelt entlassen und hoffen, dass sie ihre Arbeit tun?

Ja, genau. Bei den Studien, bei denen wir Kunststoffe im jeweiligen Boden vergraben hatten, aus dem die Mikroben stammten, konnten wir feststellen, dass die Kunststoffstücke nach fünf Monaten noch weitgehend intakt waren.

Es gab zwar Anzeichen für eine Zersetzung, aber die Proben waren noch in einem Stück und nur geringfügig zersetzt. Das war nach fünf Monaten. Wir wissen also nicht, wie lange es dauern würde, bis solche biologisch abbaubaren Kunststoffe unter natürlichen Bedingungen in den Alpen vollständig abgebaut sind – wahrscheinlich viele Jahre.

Sie sagen, dass Ihre nächste Herausforderung darin bestehen wird, die plastikabbauenden Enzyme genau zu identifizieren und den Prozess zu optimieren. Welche Rolle können solche Enzyme bei der Reduzierung der Plastikverschmutzung spielen?

Ich denke, dass wir damit die Plastikverschmutzung nicht wirklich stoppen können, denn Plastikverschmutzung ist ein anderes Problem. Die Menschen müssen ihre Abfälle immer noch auf die richtige Weise entsorgen. Diese Forschung kann die Vermüllung nicht verhindern. Und ich denke, wenn die Kunststoffe erst einmal in der Umwelt sind, können diese Enzyme nichts mehr ausrichten.

Was wir in der Zukunft für möglich halten, ist der Versuch, eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen, in der wir versuchen, Kunststoffe effizienter und nachhaltiger zu recyceln. Dabei können diese Enzyme vielleicht eine Rolle spielen, weil sie bei niedrigeren Temperaturen arbeiten. Das Kunststoffrecycling könnte bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt werden; wir bräuchten keine Heizung.

Aber unsere Ergebnisse sind keine Ausrede für Menschen, Plastik wegzuwerfen.

Sind Unternehmen an Sie herangetreten, um Ihre Erkenntnisse weiterzuentwickeln?

Keine Unternehmen, nein, aber einige private Investoren haben uns angeschrieben.

Ich denke, wir müssen ein wenig vorsichtig sein, denn vielleicht denken die Leute jetzt, dass wir mit unserer Arbeit schon viel weiter sind, als wir tatsächlich sind. Es handelt sich immer noch um Grundlagenforschung. Wir werden daraus kein Produkt machen. Dafür bräuchten wir Partner aus der Industrie. Es sind weitere Tests erforderlich, um zu sehen, ob das Verfahren wirklich in einem industriellen Prozess eingesetzt werden kann.

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