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Auf der Spur der unerforschten Ozeane

Der Anstieg der Meeresspiegel stellt für viele Inseln, wie etwa für die Malediven, eine Bedrohung dar. Die Folgen der globalen Klimaerwärmung sind aber auch in der Tiefe zu spüren. Getty Image

Der Anstieg der Meeresspiegel gehört zu den bekanntesten Phänomenen im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung. Doch was passiert genau unter der Wasseroberfläche? Mit dem amerikanischen Ozeanologen David Karl taucht swissinfo.ch in dieses Ökosystem ein. Der Wissenschaftler wird für seine Forschungsarbeiten mit einem Balzan-Preis 2015 ausgezeichnet, der am 13. November verliehen wird.

Prochlorococcus: Den meisten Menschen wird dieses Wort kein Begriff sein. Und bis 1988 hatte auch David Karl nie davon gehört. Dabei handelt es sich um ein Mini-Lebewesen mit der höchsten Individuenanzahl, also das am weitesten verbreitete Lebewesen der Erde.

«Wie konnten wir diese Organismen ignorieren? Was wissen wir über die Funktionsweise der Ozeane, wenn wir bis vor kurzem nicht einmal eine Ahnung von der Existenz dieser Lebewesen hatten?», fragt der amerikanische MikrobiologeExterner Link, der als Professor für Meereswissenschaften an der Universität von Hawaii lehrt. 

David Karl, Professor für Meereswissenschaften an der Universität Hawaii. balzan.org

Der winzige Durchmesser dieser Cyanobakterien – ein Tausendstel eines Millimeters – hat die Erforschung dieser Zellen für die Wissenschaftler natürlich schwer gemacht. Doch es ist nicht nur eine Frage der richtigen Mikroskope. Die Ozeane als wichtigstes Ökosystem der Welt, wie David Karl sagt, sind kaum erforscht. Denn ein Grossteil entzieht sich unserer Beobachtung. «Die mittlere Tiefe der Ozeane beträgt 3800 Meter, aber wir kennen vielleicht gerade mal die ersten 10 Meter», so Karl. «Wir kratzen also sozusagen nur an der Oberfläche.» 

Der 65-jährige Amerikaner wollte stets in die Tiefe gehen. Ende der 1970er-Jahre tauchte er in einem U-Boot auf den Meeresgrund des Pazifiks. Er war der erste Meeresbiologe, der Thermalquellen in der TiefseeExterner Link und die dort lebenden Organismen beobachtete. «Das war eine der wichtigsten Entdeckungen der Ozeanografie der letzten 100 Jahre», hält David Karl fest.

Plastik mitten im Ozean

Dank seines Arbeitsortes auf Hawaii mitten im Pazifik und nach Dutzenden von Unterwasser-Expeditionen hat David Karl genauere Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Meere gewonnen. Überfischung, Abwässer aus Industrie und Landwirtschaft, Erdöl und Plastik hinterlassen Spuren. Die stets wachsende Weltbevölkerung verändert das ökologische Gleichgewicht. «Wir dachten immer, dass die Ozeane unendlich gross sind und all dies verkraften können. Doch das ist nicht der Fall», meint Karl.

Das Wasser in den meisten Küstengebieten und nahe grosser Metropolen ist verschmutzt. In vielen Gebieten herrscht Badeverbot. Selbst ein kleiner Spritzer Wasser könnte gefährlich sein, sagt der Meeresbiologe. In offener See sei die Situation besser, aber seiner Meinung gibt es auch dort sehr bedenkliche Zustände.  

David Karl zieht als Beispiel den Grossen Pazifikmüllfleck heran (Pacific Trash Vortex), ein gigantischer Haufen schwimmenden Plastiks, dessen Fläche zweimal den USA entspricht. «Das Problem besteht darin, dass die Polymere des Plastiks durch Mikroorganismen zersetzt werden. So entstehen ganz kleine Fragmente, die noch schädlicher sind als das Plastik an sich. Und sie gelangen in die Nahrungsmittelkette», hält Karl fest.

Die Folgen der Depolymerisation von Plastik auf marine Organismen und generell auf das Ökosystem der Erde sind bisher nicht erforscht. Allerdings weiss man, dass das marine Phytoplankton für das Bestehen und die Bewohnbarkeit der Erde von grundlegender Bedeutung ist. Und dies seit vier Milliarden Jahren. David Karl sagt: «Phytoplankton trägt zu weltweiten Zirkulation von Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff bei. Es wird geschätzt, dass Phytoplankton für die Produktion von 50 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre verantwortlich ist. Die marinen Mikroorgansimen halten uns am Leben.»

Klimawandel als Bedrohung

Besonders beunruhigt zeigt sich der Meeresforscher in Anbetracht des Klimawandels. Auf Hawaii ist man sich der Folgen eines Anstiegs des Meeresspiegels besonders bewusst. Dieser Anstieg könnte bis Ende des 21. Jahrhunderts rund einen Meter betragen. Die zu den USA gehörende Inselgruppe wird dann zwar nicht verschwinden, so wie es für andere Inseln im Pazifik vorausgesagt wird, doch könnten durch den Anstieg des Meeresspiegels die Strände verloren gehen und somit ein wichtiger Bestandteil des Tourismus verschwinden.

David Karl sieht aber noch andere Gefahren. Auf Grund des 1988 lancierten Monitoring-Programms HOT (Hawaii Ocean Time-seriesExterner Link) konnte er den Beweis erbringen, dass eine Erhöhung der CO2-Emissionen in der Atmosphäre eine Versauerung der Ozeane bewirkt. «Und wir wissen, dass diese Versauerung Folgen für die Korallenriffe und andere Organismen hat, die aus kohlensaurem Kalk gebildet sind, beispielsweise Muscheln und Weichtiere. Die Folgen für Fische und Algen kennen wir allerdings nicht «, präzisiert er.

Gemäss dem Wissenschaftler gibt es ein weiteres, wenig bekanntes Phänomen, das seiner Meinung nach eine noch grössere Bedrohung für das Ökosystem darstellt. Das Wasser in den Ozeanen mischt sich ständig. Das Wasser an der Oberfläche tendiert auf Grund seiner höheren Dichte dazu, nach unten zu strömen. Wasser aus der Tiefe bewegt sich hingegen nach oben. Dabei wird die nötige Nahrung für Phytoplankton mittransportiert. David Karl: «Die Erhöhung der Meerestemperatur und die Erhöhung des Anteils von Süsswasser durch das Schmelzen von Gletschern reduziert diesen Prozess der vertikalen Wasserdurchmischung. Es bilden sich Schichten im Ozean.»

Schema der grossen Meeresströmungen (in rot jene der warmen Strömungen an der Oberfläche, blau die kalten in der Tiefe). srh.weather.gov

Vom Mond zum Ozean

Das globale Klima hängt laut David Karl eng mit dem Zustand der Ozeane zusammen. Doch in den Diskussionen um den Klimawandel sei die Situation der Ozeane lange Zeit ignoriert worden, auch von der UNO. «Erst im letzten Bericht des UN-WeltklimaratsExterner Link, dem fünften, der 2014 veröffentlicht wurde, waren zwei Kapitel zur Situation der Ozeane eingefügt», sagt Karl. Er selbst war für ein Kapitel zuständig.

Dieser Beitrag hat unter anderem dazu geführt, dass die Stiftung BalzanExterner Link ihm einen der diesjährigen Balzan Preise zugesprochen hat. «Mit diesem Preis wird sein Beitrag zum Verständnis und der unschätzbaren Bedeutung der Mikroorgansimen in Weltmeeren Rechnung getragen (…), eine Forschungsarbeit, die das Wissen um den Klimawandel signifikant erhöht hat», schreibt ein Jury-Mitglied.

In der Rede, die David Karl anlässlich der Preisverleihung (am 13. November in Bern) halten wird, wird er aus einem Buch aus den 1950er-Jahren zitieren. «Die wichtige Rolle der Ozeane ist seit vielen Jahren bekannt. Doch statt in ein noch besseres Verständnis der Erde zu investieren, wollte man den Mond entdecken. Vielleicht wird ein Präsident nach Kennedy irgendwann einmal sagen: Jetzt gehen wir in den Ozean!».

Balzan-Preis

Die Internationale Balzan-Stiftung wurde 1956 in Lugano gegründet. Der Name geht auf Eugenio Balzan zurück, einen italienischen Journalisten und Unternehmer, der in die Schweiz eingewandert war.

Die Stiftung vergibt jedes Jahr vier Preise: zwei im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Kunst, zwei für Naturwissenschaften, Physik, Mathematik und Medizin. Ausgezeichnet werden Natur- und Geisteswissenschaftler, die sich in ihrem Forschungsbereich international einen Namen gemacht haben.

Die Preissumme beträgt je 750‘000 Schweizer Franken. Seit 2001 müssen die Preisträger die Hälfte der Preissumme Forschungsprojekten von Nachwuchswissenschaftlern in ihrem Fachgebiet zukommen lassen.

Die Balzan-Preise 2015 gehen an einen Deutschen sowie drei Amerikaner. Hans Belting, emeritierter Professor am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (Geschichte der Europäischen Kunst 1300-1700), Joek Mokyr von der Universität Northwestern Illinois (Wirtschaftsgeschichte), Francis Halzen von der Universität Madison in Wisconsin (Astroteilchenphysik) sowie David Karl von der Universität Hawaii (Ozeanographie). Die Preisverleihung findet am 13. November in Bern statt.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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