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Beim Erdöl gibt es keine Sicherheiten

Noch kann die Produktion von Erdöl den Bedarf decken – doch wie lange noch? Keystone

Erdöl ist die wichtigste Energiequelle der modernen Gesellschaft, aber auch Auslöser von Kriegen und Umweltverschmutzung. An der Abhängigkeit vom Öl scheiden sich die Geister. Doch läuft die Welt weiter ohne Öl? swissinfo.ch fragte zwei Schweizer Experten.

Der 40-jährige Historiker Daniele Ganser leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel und ist Präsident der Schweizer Sektion der Arbeitsgruppe für das Studium von Peak Oil und Gas (ASPO).

Der 47-jährige Anwalt Niklaus Boss ist geschäftsführender Direktor der Erdöl-Vereinigung (EV), welche die Interessen der Schweizer Erdöl-Wirtschaft vertritt.

swissinfo.ch: Wann wird das globale Ölfördermaximum («Peak Oil») erreicht?

Daniele Ganser: Beim konventionellen, leicht und billig zu fördernden Erdöl wurde der «Peak Oil» bereits erreicht, und zwar im Jahre 2006 bei 75 Millionen Fass pro Tag. Beim nichtkonventionellen Erdöl wird die globale Maximalfördermenge vermutlich vor 2020 erreicht werden.

Niklaus Boss: Das weiss ich nicht. Ich nehme an, dass wir relativ nahe am Maximum sind und dass sich die Förderung ohne massive Investitionen nicht steigern lässt.

swissinfo.ch: Mit welchen globalen Folgen und Entwicklungen müssen wir nach dem «Peak Oil» rechnen?

D.G.: Die Belastung der Umwelt wird zunehmen. Weil das konventionelle Erdöl den «Peak Oil» erreicht hat, wird seit einigen Jahren stärker in das nichtkonventionelle Erdöl investiert. Doch der Ölsand aus Kanada, das Tiefsee-Öl im Golf von Mexiko und auch das Schieferöl aus den USA belasten die Umwelt stark. Kanada ist sogar aus dem Kyoto Klimaprotokoll ausgetreten, um Strafen in Millionenhöhe wegen dem Ölsand abzuwenden.

Dazu kommt das Problem der Ressourcenkriege: Der Irakkrieg 2003 mit mehr als 100’000 Toten ist für mich ganz klar ein Erdölbeutezug, ebenso  der Libyenkrieg 2011 mit mehr als 30’000 Toten. Auch der Sudan und der seit kurzem unabhängige Südsudan kämpfen mit Gewalt um Erdölfelder. Heute wird für Erdöl getötet. Das muss einem Sorgen bereiten.

N.B.: Kurz- und mittelfristig erwarte ich keine grossen Folgen. Der «Peak Oil» darf nicht mit dem Matterhorn verglichen werden, sondern eher mit dem Tafeljura. Nach dem Erreichen des höchsten Punktes wird es relativ lange auf diesem Niveau weitergehen. Es erfolgt kein abrupter Rückgang.

Langfristig wird sich das Öl verteuern. Dies erhöht die Geschwindigkeit, mit der sich die Industriestaaten bereits heute aus dem Erdöl verabschieden. Bei den Schwellen- und Entwicklungsländern wird sich der Eintritt ins Erdöl verlangsamen, respektive abschwächen.

swissinfo.ch: Schauen wir 20 Jahre in die Zukunft und vergleichen die Aussichten mit der heutigen Realität. Was kann man über die Produktion und das Preisniveau von Erdöl sagen?

D.G.: Für die Prognosen von Erdölangebot und Erdölpreis für 2030 ist eigentlich die Internationale Energie-Agentur IEA in Paris zuständig. Aber das Vertrauen in die IEA ist erschüttert, weil sie nicht vor dem «Peak Oil» gewarnt hat. Sie hat ihn für das konventionelle Erdöl erst rückblickend bestätigt.

Die IEA ging lange davon aus, dass das Erdölangebot einfach von Jahr zu Jahr gesteigert wird, weil die Nachfrage wächst. Aber die Natur zeigt, dass Erdöl endlich ist. Die Prognosen der IEA sind also mit Vorsicht zu geniessen. Ich erwarte ein knappes Angebot und hohe Preise.

N.B.: Die Erdöl-Vereinigung hat nie Prognosen gemacht. Deshalb habe ich keine Unterlagen. 2004 sagte die IEA für das Jahr 2030 einen Ölbedarf von 121 Mio. Fass pro Tag voraus. Heute sind wir bei knapp 90 Mio. Fass pro Tag.

Ebenfalls hat die IEA damals für das Jahr 2030 einen durchschnittlichen Preis von 35 US-Dollar pro Fass angenommen. Ich glaube, niemand hat vorausgesehen, dass sich die Preise auf 100 Dollar und höher entwickeln würden.

swissinfo.ch: Die Atomkatastrophe von Fukushima hat eine globale Wende ausgelöst. Erdöl wird nicht nur mit ökologischen Katastrophen und Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht, sondern auch mit Klimaerwärmung, Spekulation und Krieg. Warum gibt es im Vergleich mit der Atomenergie weniger Opposition?

D.G.: Es kommt darauf an, in welchem Land Sie sind. In Nigeria gibt es eine starke Opposition gegen Erdöl. In der Schweiz, wo Erdöl mit 55 Prozent den grössten Anteil am Energiemix abdeckt, denkt man noch zu wenig über Erdöl nach. Nigeria oder auch Kasachstan und Aserbaidschan, wichtige Lieferanten für uns, sind weit weg.

Trotzdem wäre es falsch zu sagen, dass die Menschen in der Schweiz den Erdölkriegen im Irak und anderswo gleichgültig gegenüberstehen. Die meisten wollen weder Erdölkriege noch Umweltzerstörung. Doch viele fühlen sich ohnmächtig.

Aber dafür gibt es keinen Grund: Wir können Solarthermie und Photovoltaik auf den Dächern installieren, die Häuser isolieren, Zug und Elektrobike fahren und effiziente Autos benutzen, die weniger als 4 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen.

N.B.: Atomenergie ist nur eine von unzähligen Quellen zur Stromerzeugung. Ich kann auch ohne Atomenergie weiterhin Strom verbrauchen und spüre keine Einbusse.

Beim Erdöl geht das nicht. Ein Benzinauto braucht nun mal Benzin. Sie können es nicht anderweitig betreiben. Wenn Sie von einem Benzinauto auf ein Elektrofahrzeug wechseln, haben sie nicht mehr den gleichen Komfort.

swissinfo.ch: Warum ist es so schwierig, vom Erdöl wegzukommen?

D.G.: Weil Erdöl auch heute noch zu billig ist. Zudem ist es ein wunderbarer Energieträger, leicht zu lagern, ein prima Speicher und äusserst kraftvoll.

N.B.: Öl spielt in allen Belangen unseres Lebens eine wichtige Rolle und ist daher nicht einfach zu ersetzen. Es gibt keinen anderen Energieträger, der eine derart hohe Energiedichte aufweist. Erdöl ist einfach transportier- und lagerbar. Seine Anwendung ist einfach, sicher und zuverlässig. Und es ist günstig.

swissinfo.ch: Über welche Aspekte des Erdöls müsste die Öffentlichkeit mehr wissen?

D.G.: Über den «Peak Oil», also das Fördermaximum, das in vielen Ländern schon erreicht wurde. Wissen müssen die Schweizerinnen und Schweizer auch, dass sie pro Tag und Kopf fünf Liter Erdöl verbrauchen, also mehr als Milch!

Vor 10 Jahren mussten wir für Erdölprodukte jährlich rund 10 Milliarden Franken ausgeben, inklusive Steuern; heute kostet die gleiche Menge etwa das Doppelte. Dieses Geld sollten wir in Massnahmen stecken, um die Abhängigkeit vom Erdöl zu durchbrechen. Zum Beispiel mit Wärmepumpen, Pellet-Heizungen, Gebäudeisolation, Solarkraft.

N.B.: Man sollte sich der Wichtigkeit des Erdöls bewusst sein. Erdöl ist und bleibt die Basis unseres Wohlstands – und wird es noch für mindestens 50 Jahre bleiben.

Wichtig ist, das Erdöl effizient zu nutzen. Verbote bringen nichts. Das Problem unserer heutigen Gesellschaft ist nicht das Erdöl, sondern der enorme Energiehunger, der zur CO2-Problematik führt.

swissinfo.ch: Wo und wie werden wir die Energiequellen finden können, die für eine wachsende Wirtschaft und Bevölkerung nötig sind?

D.G.: Das weiss heute niemand. Der demographische Wandel ist rasant. Vor 2000 Jahren lebten rund 300 Millionen Menschen auf der Erde. Um diese auf 600 Millionen zu verdoppeln, dauerte es ganze 1600 Jahre. Im Jahr 2011 erreichten wir die Rekordmarke von 7 Milliarden Menschen. Interessant ist, dass es von der sechsten zur siebten Milliarde nur 12 Jahre dauerte!

Wir müssen lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen und erneuerbare Energie zu nutzen, also Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme, Biomasse und Biogas.

N.B.: Fossile Energieträger werden noch lange eine wichtige Rolle bei der globalen Energieversorgung spielen. Viele Aufgaben werden vom Öl zum Gas wechseln. Der Anteil der erneuerbaren Energien wird sich stark erhöhen.

Ich bin aber überzeugt, dass diese es nie schaffen werden, die gleiche Menge an Energie zu erzeugen, wie das die fossilen Energieträger heute tun. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass der grösste künftige Energieträger das «Energiesparen» sein muss.

Erdöl wird «konventionell» genannt, wenn es in flüssiger Form vorkommt und bei der Förderung auf natürliche Art an die Oberfläche gelangt.

«Nichtkonventionelles» Erdöl umfasst die extraschweren (viskösen) Erdöle, Bitumen, Ölsand und Ölschiefer.

Täglich werden weltweit 88 bis 90 Mio. Barrel à 159 Liter produziert.

Die grössten Produzenten sind Russland, Saudi-Arabien, die USA, Iran, Mexiko und China. Die in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) zusammen-geschlossenen Staaten erreichen 42% der weltweiten Produktion.

Die geschätzten weltweiten Reserven von extraktionsfähigem, flüssigem Kohlenwasserstoff in bereits entdeckten Feldern lagen 2011 bei 207,8 Mrd. Tonnen. Gegenüber 2010 haben sie, grösstenteils wegen technologischen Fortschritten, um 3,6% zugenommen.

Die weltweiten Vorkommen würden etwa 15 Billionen Barrel ergeben, rund die Hälfte davon konventionelles Erdöl.

Über die grössten Reserven verfügen Saudi-Arabien (35,5 Mrd. Barrel), Venezuela (28,8) und Kanada (23,7). Die zehn Länder mit den grössten Erdölvorkommen verfügen insgesamt über 83% der weltweiten Reserven.

(Quellen: Internationale Energie-Agentur IEA, Oil & Gas Journal, BP Statistical Review of World Energy)

Erste Jahre des 20. Jhd.: 1 Mio. Barrel pro Tag

Nach dem Zweiten Weltkrieg: 6 Mio.

1962 (Kuba-Krise): 22 Mio.

1986 (Tschernobyl-Atomkatastrophe): 61 Mio.

2011: 88 Mio. (rund 14 Mrd. Liter oder 40 Supertanker)

2035 (Prognose): 96 Mio.

(Quellen: Erdöl-Vereinigung EV, World Energy Outlook)

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