“Klimaziele haben wirtschaftliche Vorteile“
Warum Flugpionier Bertrand Piccard den Weltklimagipfel COP27 besucht hat und was er den Entscheidungstragenden vermitteln will.
Als der Schweizer Pilot und Psychiater Bertrand Piccard ankündigte, mit einem solarbetriebenen Flugzeug um die Welt zu fliegen, erntete er teils Spott. Doch er konnte sein Projekt Solar Impulse 2016 abschliessen.
Jetzt reiste Piccard an die Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten. Er versuchte dort, Entscheidungstragende davon zu überzeugen, Veränderungen zur Bewältigung der Klimakrise vorzunehmen.
swissinfo.ch hat mit Piccard darüber gesprochen, wie er sein neuestes Projekt angeht, was er von militantem Klimaaktivismus hält und wie er selbst Energie spart.
swissinfo.ch: Herr Piccard, Sie haben 1450 saubere und effiziente technische Vorschläge zum Schutz der Umwelt ausgearbeitet und politischen und wirtschaftlichen Entscheidungstragenden vorgelegt. Wie lässt sich der momentane Pessimismus überwinden, von dem Sie in Ihrem jüngsten EssayExterner Link sprechen? Und wie lassen sich Menschen dazu bringen, ihre Vorschläge wirklich umzusetzen?
Bertrand Piccard: Es ist ganz wichtig, die Sprache der Personen zu sprechen, die man erreichen und überzeugen will. Nehmen wir wichtige ökonomische Entscheidungstragende, deren Hauptziel die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erzielung von Gewinnen ist. Wenn ich ihnen sage, dass sie die Umwelt schützen sollen, weil die Natur so schön ist, dann wird das nichts bewirken.
Ich sage ihnen deshalb: Selbst wenn Euch Klima und Ökologie egal sind, machen meine Vorschläge mehr Sinn in Bezug auf Produktion, Energieeinsparungen, neue Geschäftsmöglichkeiten, Kreislaufwirtschaft, Abfallmanagement und ähnliche Dinge als das traditionelle Wirtschaftsmodell.
Ich sage also: Ihr werdet auf diese Weise mehr Gewinn machen und mehr Arbeitsplätze schaffen. Und ganz nebenbei lässt sich mit diesem Ansatz auch noch die Umwelt schützen.
Aber selbst wenn eine Bereitschaft zum Handeln bestehen sollte, gibt es eine Vielzahl von administrativen oder rechtlichen Hürden, welche die Entscheidungstragendenin ihrer Aktivität lähmen. Wie lassen sich diese Hürden überwinden?
Ich bin überzeugt: Solange politische Aktivistinnen und Aktivisten politische Veränderungen fordern, wird das weniger Wirkung zeigen, als wenn führende Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, der Industrie und des Finanzwesens politische und rechtliche Veränderungen fordern.
Denn diese Personen bringen die Wirtschaft voran. Ich versuche also, diese Führungspersönlichkeiten zu Botschafterinnen und Botschaftern meiner Ideen zu machen.
Es gibt viele Vorschriften, die verhindern, dass neue Lösungen auf den Markt kommen, weil es keine adäquate Gesetzgebung gibt. Ein Beispiel: Wenn Sie ein Elektroauto mit einer Batterie haben, die abends fast vollgeladen ist, könnten Sie diese während der Nachfragespitze am Abend – wenn Fernseher, Heizung, Licht und Herd eingeschaltet sind – zur Nutzung in Ihrem Haus entladen und das Auto in der zweiten Nachthälfte wieder aufladen. Aber das ist in den meisten Ländern nicht erlaubt.
Ich sage: Wenn man die rechtlichen Rahmenbedingungen modernisiert, hilft das, die Welt zu modernisieren.
Und wie sieht es mit anderen Möglichkeiten aus, Druck auf Regierungen auszuüben, damit diese handeln? Was halten Sie von Aktionen des zivilen Ungehorsams von einigen Klimaaktivistinnen und -aktivisten?
Wir wandeln hier auf einem schmalen Grat. Ziviler Ungehorsam kann der Sache, die erreicht werden soll, abträglich sein. Denn es wird Widerstand erzeugt. Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die sich im Moment über den Klimaaktivismus nerven. Andererseits verstehe ich aber auch die Frustration all dieser Aktivistinnen und Aktivisten, weil sie sehen, dass nicht genug getan wird.
Ich verstehe, dass Menschen demonstrieren und Widerstand leisten, wenn sie sehen müssen, wie ein Kohlebergwerk eine wunderschöne Landschaft zerstört, so wie es in Deutschland geschieht. Sie zeigen ihre Wut über die Entwicklung und Vorfälle in dieser Welt. Doch es ist sehr kontraproduktiv, im Namen der Ökologie zu Gewalt aufzurufen.
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Welche Hoffnungen verbinden sich mit Ihrer Teilnahme an der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten? Konnten Sie Ihren Leitfaden mit 200 Lösungen für Städte präsentieren? Und wie könnten diese Vorschläge umgesetzt werden?
Es gibt eine grosse Kluft zwischen Wissenschaft und Politik. Meine Absicht ist es, eine Verbindung zwischen diesen beiden Disziplinen herzustellen. Die Wissenschaft fordert bestimmte Veränderungen, doch die Politik hat Angst vor der Umsetzung.
Die Stiftung Solar Impulse versucht aufzuzeigen, dass die Bekämpfung des Klimawandels wirtschaftliche Entwicklung nicht behindert, sondern wirtschaftliche Vorteile bringt. In all meinen Reden und Meetings erzähle ich realisierte Erfolgsgeschichten, die sich überall auf der Welt umsetzen liessen.
Sie haben einmal die Gefahr beschrieben, ein Gefangener von Ideen zu sein. Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie dieses Phänomen beispielsweise die Aktivitäten einer Stadt bremsen könnte?
Einige politische Parteien lehnen die Gewährung von Subventionen für erneuerbare Energien ab. Aber solche Subventionen sind nun nicht mehr nötig, denn erneuerbare Energien sind billiger als fossile Brennstoffe.
Das gilt es zu verstehen. Es geht nicht darum, grüner und umweltfreundlicher zu sein und dafür viel Geld auszugeben. Es geht darum, die besten, praktischsten und günstigsten Energiequellen zu nutzen.
Doch in diesem Winter wird sich die Situation für viele Menschen aufgrund der Energiemangellage zuspitzen.
Die erste Reaktion der Regierungen auf den Mangel an russischem Gas besteht darin, neue Lieferanten zu finden, um das Ausbleiben dieser Energie zu kompensieren.
Aber die erste Reaktion sollte sein: «Wie können wir den Gaskonsum reduzieren? Können wir Strom sparen, indem wir energieeffizienter werden?» Da müssen wir kein Opfer bringen, denn mit höherer Effizienz erreicht man den gleichen Effekt mit weniger Verbrauch.
Ein Beispiel: Wenn Sie eine Wärmepumpe statt einer Gasheizung in Ihr Haus einbauen, werden Sie viel Geld sparen, weil Sie wahrscheinlich fünfmal weniger Energie verbrauchen.
Natürlich können Sie nicht alle sechs Monate alle Heizungssysteme austauschen. Aber Sie müssen den Wechsel zumindest in die Wege leiten. Es geht nicht darum, mehr Energie zu erzeugen. Es geht darum, weniger Energie zu verbrauchen, dank all der Lösungen, die es uns eine höhere Energieeffizienz ermöglichen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie bereits viele Ihrer eigenen Ratschläge zu Hause, in Ihrem Unternehmen und im Privatleben befolgt haben. Aber wie werden Sie persönlich in diesem Winter und längerfristig noch mehr Energie sparen? Und was können andere tun?
Ich habe bereits Wärmepumpen installiert. Mein Haus ist gut isoliert und verfügt über Solar-Paneele. Ich fahre ein Elektroauto. Es ist also klar, dass meine persönliche Energiebilanz schon jetzt gut ist.
Und der Energiekonsum kann noch niedriger ausfallen. Ich werde die Wohnungstemperatur von 20 Grad auf 19 Grad Celsius drosseln. Das ist eine Reduktion von sieben Prozent beim Energieverbrauch.
19 Grad sind völlig ausreichend. Wir brauchen nicht 23, 24 oder 25 Grad. Es ist ebenfalls sehr wichtig, dass wir überall LED-Lampen verwenden, denn diese verbrauchen wirklich viel, viel weniger Energie als herkömmliche Lampen.
Auch bei der Ernährung sollten wir darauf achten, mehr lokale Produkte zu verwenden. Wenn man die Wahl hat, sollte man regional produzierte Lebensmittel konsumieren und darauf achten, dass sie nicht vom anderen Ende der Welt importiert werden.
Wir sollten weniger Fleisch essen. Und wir müssen alles, was wir konsumieren, mit viel mehr Respekt behandeln. Unsere Welt ist in Schwierigkeiten, weil wir natürliche Ressourcen verschwenden. Wenn wir den Wert der Dinge besser erkennen, werden wir die Effizienz steigern.
Woher kommt diese Verschwendungssucht? Über Generationen haben die Menschen Lebensmittel, Kleidung, aber auch Möbel als etwas Wertvolles betrachtet. Warum hat sich unser Konsumverhalten so sehr geändert?
Ich glaube, dass der freie Markt zu einem Wettbewerb zwischen allen Marktteilnehmenden geführt hat, mit dem Zwang, immer billiger zu produzieren und in immer grösseren Mengen zu verkaufen. Man muss also viel verkaufen, um am Ende einen kleinen Gewinn zu erwirtschaften, weil der Preis sehr niedrig ist.
Früher war das nicht so, da war alles ein bisschen teurer. Aber die Dinge haben viel länger gehalten. Die Menschen hatten mehr Respekt vor dem Produkt.
Wir müssen zu einer Wirtschaft zurückkehren, in welcher der Gewinn durch die Qualität der Effizienz und nicht durch die Quantität der Produktion erzielt wird. Wir sollten nicht Produkte kaufen, die heute am billigsten sind, aber im Lauf ihres Lebenszyklus teuer sein werden. Wir sollten eher auf teurere Produkte setzen, die länger halten. So sparen wir auf lange Sicht auch Geld.
Der Widerstand gegen Veränderungen erzeugt Frustration. Woher nehmen Sie persönlich die Energie, weiterzumachen? Oder ist diese Frustration selbst wie ein Treibstoff, wie eine erneuerbare Energie?
Ganz genau. So ist es mit Leuten wir mir, Erfindern. Sie sind nicht zufrieden mit dem, was sie sehen und was sie haben. Erfindungen beruhen auf Frustration, weil das, was es gibt, nicht ausreicht.
Man will neue Wege des Handelns und Denkens gehen, neue Gebiete und Technologien erkunden. Deshalb liebe ich die Erfindungen, denn es geht darum, mehr zu wissen und Dinge besser zu machen.
Editiert von Veronica DeVore
Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob
Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob
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