COP15, ein Gipfel zur Verhinderung des Massenaussterbens
Das Artensterben betrifft jeden Winkel der Erde und kann nicht länger ignoriert werden. Diese Woche startet die Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Montreal. Sie hat ein Abkommen gegen das Massenaussterben von Fauna und Flora zum Ziel.
«Ich lebe in Edinburgh, bin aber auf dem Land aufgewachsen. In meiner Kindheit habe ich gern die vielen verschiedenen Wildblumen gezeichnet. In der Nähe unseres Hauses gab es immer wilde Wiesen, die heute nicht mehr da sind.»
«Zurzeit lebe ich in der Nähe des Strandes in Lombok, Indonesien. Beim täglichen Schwimmen begegnen mir kaum Fische.»
«Glühwürmchen: Früher habe ich sie jeweils abends auf dem Monte Bre in Lugano gesehen.»
Verschiedene Beiträge von swissinfo.ch-Leser:innen in unserer Debatte weisen auf diese Realität hin: Die Biodiversität – also die Vielfalt des pflanzlichen und tierischen Lebens auf der Erde – befindet sich weltweit im Rückgang.
Mehr
Die Entwicklung belegen zahlreiche Studien. Der «Living Planet ReportExterner Link» 2022 des WWF etwa stellt zwischen 1970 und 2018 einen durchschnittlichen Rückgang der überwachten Wildtierpopulationen von 69% fest.
Der jüngste Bericht Externer Linkder «Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services» (IPBES) von 2019 kommt zum Schluss, dass 25% der Tier- und Pflanzenspezies bedroht sind. In absoluten Zahlen heisst das: Rund eine Million Arten sind bereits vom Aussterben bedroht.
Die Situation ist so dramatisch, dass ein Teil der wissenschaftlichen Community bereit vom sechsten Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten spricht.
Die COP15-Artenschutzkonferenz ist die nächste grosse Anstrengung, diesen Prozess aufzuhalten. Es ist bereits die 15. Tagung zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Die Konferenz findet vom 7. bis 19. Dezember in der kanadischen Stadt Montreal statt.
Man hofft, dass am Ende des Gipfels ein historisches Abkommen unterzeichnet wird, das den Rückgang der Artenvielfalt bis 2030 abbremsen kann und die Biodiversität bis 2050 wiederherstellen soll (siehe Box).
Der Plan umfasst 21 Ziele, die für 2030 vorgeschlagen werden, auf dem Weg zu einem «Leben im Einklang mit der Natur» bis 2050. Zu den wichtigsten Zielen gehören:
- Sicherstellung, dass weltweit mindestens 30% der Land- und Meeresgebiete, speziell der Gebiete mit besonderer Bedeutung für die biologische Vielfalt, durch wirksam und gerecht verwaltete, ökologisch repräsentative und gut vernetzte Systeme von Schutzgebieten erhalten werden.
- Verhinderung oder Verringerung der Einschleppung und Etablierung invasiver gebietsfremder Arten um 50% und Kontrolle oder Ausrottung solcher Arten, um ihre Auswirkungen zu beseitigen oder zu verringern.
- Verringerung der Nährstoffverluste in die Umwelt um mindestens die Hälfte, von Pestiziden um mindestens zwei Drittel, und Verhinderung, dass Plastikmüll etwa in den Meeren entsorgt wird.
- Nutzung von ökosystembasierten Ansätzen als Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels und zur Anpassung daran, wobei mindestens 10 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr zur Abschwächung beitragen sollen; und Sicherstellung, dass alle Abschwächungs- und Anpassungsbemühungen keine negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben.
- Subventionen und andere Anreize, die der biologischen Vielfalt schaden, sie umlenken, umfunktionieren, reformieren oder abschaffen. Sie sollen um mindestens 500 Milliarden Dollar pro Jahr (500 Mrd. Fr.) reduziert werden.
- Aufstockung der Finanzmittel aus allen Quellen auf mindestens 200 Milliarden Dollar pro Jahr, einschliesslich neuer, zusätzlicher und wirksamer Finanzmittel, und Erhöhung der internationalen Finanzströme in die Entwicklungsländer um mindestens 10 Milliarden Dollar pro Jahr.
Quelle: Übereinkommen über die biologische VielfaltExterner Link
Wie ist die COP15 zustandegekommen?
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt wurde zusammen mit dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) auf der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel) in Rio de Janeiro, Brasilien, im Jahr 1992 unterzeichnet. Seither wurde es von 197 Staaten, darunter auch der Schweiz, ratifiziert.
Die Konferenzen der Vertragsparteien, die aus dem UNFCCC hervorgegangen sind, haben 2015 das Pariser Abkommen ausgearbeitet, einen wegweisenden Vertrag zur Reduktion von Treibhausgasen. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt führte zu den Aichi-Zielen – benannt nach jener japanischen Präfektur, in der 2010 die COP 10-Konferenz zur biologischen Vielfalt stattfand.
Bislang sind die Ergebnisse enttäuschend. Obwohl das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung der Biodiversität gewachsen ist und der Anteil der Schutzgebiete zugenommen hat, wurde keines der zwanzig für 2020 gesetzten Ziele vollständig erreicht. Dies beklagt Cornelia Krug, Wissenschaftlerin an der Universität Zürich und Direktorin von «bioDiscoveryExterner Link«. An der COP15 wird Krug als Beobachterin teilnehmen.
Nicht nur über den Klimawandel
Wenn von den negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Natur die Rede ist, denken viele zuerst an den Klimawandel und den CO2-Ausstoss. Die globale Erwärmung ist jedoch nur ein Faktor, der die biologische Vielfalt beeinträchtigt, und obwohl er zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist er nicht der wichtigste.
«Die veränderte Flächennutzung, zum Beispiel für die Landwirtschaft, ist einer der Hauptfaktoren für das Aussterben», sagt Krug, «Ein anderer ist die Verschmutzung. Nicht nur Plastik in den Ozeanen, sondern auch der übermässige Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln.»
Krug und ihre Kolleg:innen sind überzeugt, dass die globale Erwärmung und der Verlust der Artenvielfalt zwei Probleme sind, die parallel und gleichzeitig angegangen werden müssen. Andernfalls werde die Welt mit einer Situation konfrontiert, in der Initiativen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen auf Kosten der Artenvielfalt gehen.
Ein Beispiel für eine solche Wechselwirkung ist die grossflächige Aufforstung für die Produktion von BioenergieExterner Link: Eine Monokultur von Pappeln garantiert eine gute CO2-Absorption, ist aber sehr arm an Artenvielfalt. Wie der IPBES warnt, ist zudem die Ernährungssicherheit der lokalen Gemeinschaften gefährdet, wenn diese Monokulturen Flächen ersetzen, die für die Subsistenzlandwirtschaft genutzt werden.
Was sind die Hürden für eine Einigung?
Die Organisation der COP15 war nicht einfach. Ursprünglich für Oktober 2020 in Kunming, China, geplant, ist die Konferenz mehrmals verschoben worden, bevor sie nach Kanada verlegt wurde.
China wird immer noch den Vorsitz des Gipfels innehaben, auch wenn das Land ihm nicht viel Bedeutung beizumessen scheint. Peking hat nämlich keine Staatsoberhäupter eingeladen, sondern nur Minister:innen und NGOs. Der chinesische Staatschef Xi Jinping selbst wird auch nicht teilnehmen. Er war auch nicht an der Klimakonferenz COP27 in Sharm el-Sheikh.
Die chinesische Passivität wird durch die Probleme der Energie- und Nahrungsmittelknappheit infolge des Kriegs in der Ukraine noch verstärkt. Die Knappheit ist für viele Länder an erster Stelle der Prioritätenliste gerückt.
Diese äusseren Umstände kommen noch vor den verschiedenen Punkten des Abkommensentwurfs, die kontrovers sind und bei den Staaten auf Widerstand stossen dürften.
Krug hebt drei mögliche Stolpersteine hervor, die alle mit der Finanzierung zusammenhängen. Der erste ist die Frage, woher die finanziellen Mittel für die Umsetzung eines Abkommens kommen sollen. Bereits auf der COP27 haben die wirtschaftlich entwickelten Länder im Hinblick auf die Finanzierung gezögert.
Die zweite potenzielle Hürde betrifft die gerechte Aufteilung der Vorteile, das heisst sicherzustellen, dass ein angemessener Teil der Gewinne aus der Nutzung der biologischen Ressourcen eines Landes an das Land selbst zurückfliesst und nicht beispielsweise beim multinationalen Unternehmen bleibt, das die natürlichen Ressourcen ausbeutet.
Und nicht zuletzt geht es um die brisante Frage der öffentlichen Subventionen: Viele dieser Subventionen, auch in der Schweiz, unterstützen etwa landwirtschaftliche Aktivitäten, die der biologischen Vielfalt schaden. Der im Abkommensentwurf vorgesehene Abbau solcher Subventionen dürfte auf erheblichen politischen Widerstand stossen.
Trotz all dieser Schwierigkeiten gebe es aber auch einen Hoffnungsschimmer, so die Wissenschaftlerin Krug. Eine klare Botschaft der COP27 ist, dass der Schutz und die Wiederherstellung der Natur entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sind.
Der in Sharm el-Sheikh gefasste Beschluss, einen Fonds einzurichten, aus dem Entwicklungsländer für klimabedingte Verluste und Schäden Wiedergutmachung erhalten sollen, ist auch ein wichtiger Schritt für den Schutz der Biodiversität. Diese ist in den Entwicklungsländern im Allgemeinen reicher.
Was sind die Prioritäten der Schweiz an der COP15?
Die Schweiz setzt sich hohe Ziele. Sie ist Mitglied der High Ambition CoalitionExterner Link, die sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 mindestens 30% der Land- und Wasserfläche der Erde zu schützen.
In Montreal wird die Schweiz für ein Abkommen kämpfen, das hohe Ziele mit Fristen und die Einführung von Indikatoren zur Messung der Fortschritte enthält, sagt Eva Spehn von der Akademie der Naturwissenschaften SchweizExterner Link (SCNAT), die in Montreal Mitglied der Schweizer Delegation ist.
«Die Länder, die dazu in der Lage sind, müssen mehr und bessere finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, und die privaten Finanzierungsquellen sollten ihrerseits auf die Ziele abgestimmt werden», sagt sie.
Wie gut schützt die Schweiz ihre biologische Vielfalt?
Trotz ihrer ehrgeizigen Ziele ist die Leistung der Schweiz beim Schutz der biologischen Vielfalt alles andere als beeindruckend.
Die Konferenz zum Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention), die in Strassburg tagte, hat die Schweiz kürzlich für ihre Untätigkeit in Bezug auf Schutzgebiete gerügt. Das Land wurde als europäisches Schlusslicht in Bezug in diesem Bereich eingestuft.
In der Schweiz gibt es rund 56’000 erfasste Pflanzen-, Tier- und Pilzarten, wie aus einer Zusammenfassung des Monitorings der Roten ListenExterner Link der gefährdeten Arten hervorgeht. Diese wird kommendes Jahr vom Bundesamt für Umwelt und von InfospeciesExterner Link veröffentlicht.
Expert:innen schätzen, dass in der Schweiz weitere rund 29’000 Arten vorkommen. Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift HotspotExterner Link, die von der SCNAT herausgegeben wird, gibt einen Ausblick auf die Ergebnisse: Rund 35% der beobachteten Arten (10’844) sind in der Schweiz gefährdet, so Spehn.
Die Wissenschaftlerin schreibt swissinfo.ch, dass bereits Massnahmen ergriffen worden seien, um den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Es müsse aber mehr getan werden, um den Trend umzukehren.
Dazu muss der Druck durch die verursachenden Faktoren reduziert werden. Dazu gehören die Landwirtschaft, die Bebauung, die Entwicklung der Infrastruktur und die Fragmentierung von Lebensräumen. Von 1985 bis 2009 wurden rund 15% des Schweizer Territoriums umgestaltet.
Hinzu kommt das heikle Thema der Subventionen: Im Jahr 2020 haben die SCNAT und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft 162 SubventionenExterner Link in den Bereichen Landwirtschaft, Energie, Verkehr und Tourismus ermittelt, die der Biodiversität schaden.
Diese Subventionen belaufen sich auf 40 Milliarden Franken, das ist das 30- bis 40-fache des Betrags, der für Massnahmen zur Förderung der Biodiversität zur Verfügung steht.
Editiert von Veronica DeVore. Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch