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Schöne Schweiz – aber wie stehts mit der Biodiversität?

Invasive Muscheln: Neue Ansätze sind gefragt

empty clam shells at the edge of water
Die asiatischen Muscheln verputzen nicht nur die Nahrung, auf die andere Arten angewiesen sind, sondern bedecken mit ihren Schalen auch den Seeboden und verändern so den natürlichen Lebensraum. Keystone

Die Schweiz ist zwar ein Binnenland, aber das hält invasive Muscheln nicht davon ab, hiesige Flüsse und Seen zu bevölkern und Ökosysteme zu bedrohen. Forschende suchen nach neuen Lösungsansätzen.

Ich stehe brusttief im Wasser des Bielersees und stochere mit meinen Zehen im Sediment herum. Der Grund des Sees ist nicht klar zu erkennen, also hieve ich mit meinem Fuss einen Sandklumpen an die Oberfläche. Als ich ihn in meiner Hand herumwiege, löst er sich auf und gibt eine kleine Muschel in Karamell- und Brauntönen frei.

Bei der Muschel handelt es sich um eine Corbicula fluminea: Die asiatische Körbchenmuschel. Sie stammt aus Ostasien und gelangte wahrscheinlich mit Frachtschiffen via Nordamerika nach Europa.

Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sie sich ernährt und fortpflanzt, schadet sie den Schweizer Gewässern: Jede Muschel verschlingt das Plankton, auf das einheimische Arten angewiesen sind, und setzt pro Tag etwa 350 Larven frei.

Nach ihrem Absterben verschmutzen die leeren Schalen zudem den Seeboden und zerstören so den natürlichen Lebensraum für Fische und Wirbellose, die auf einen sandigen oder grasbewachsenen Grund angewiesen sind.

Asiatische Körbchenmuscheln wurden erstmals 1997 im Rhein bei Basel nachgewiesen; inzwischen sind sie in der ganzen Schweiz verbreitet. Gemäss Angaben des Bundesamts für Umwelt (Bafu) breiten sie sich flussaufwärts aus, indem sie an Booten mitreiten, die zwischen den Seen verkehren.

Eine Hand hält Muscheln und nassen Sand
Asiatische Muscheln, die unsere Autorin im Sommer 2022 im Bielersee gefunden hat. swissinfo.ch/Susan Misicka

Vorschriften können diese und auch andere invasive Arten nicht stoppen. 2004 verabschiedete die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO Bestimmungen zur Kontrolle und Bewirtschaftung des Ballastwassers von Schiffen.

Fast 20 Jahre später sind sie noch immer nicht in Kraft. Innerhalb Europas machen es der freie Handel und die Freizügigkeit schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Ausbreitung invasiver Arten zu stoppen.

Die Delegierten der UNO-Konferenz über biologische Vielfalt (COP15), die vom 5. bis 17. Dezember in Montreal stattfinden wird, arbeiten an einem international verbindlichen Rahmen, um die Einschleppung solcher Arten zu verhindern oder zumindest stark zu reduzieren. 

Gefahr für die Ökosysteme

Asiatische Körbchenmuscheln seien nur eine von vielen invasiven Arten, die Schweizer Gewässer bedrohten, sagt Jukka Jokela, Professor für aquatische Ökologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich.

Jokela begann in den späten 90er-Jahren am Zürichsee mit seinen Forschungen. Seither hat er zwei grosse «Invasionswellen» erlebt: Grosse Höckerflohkrebse und asiatische Körbchenmuscheln. Die Folge: Die einheimischen Fische und andere Arten sterben, weil die Eindringlinge dieselbe Nahrung fressen.

Der Höckerflohkrebs ist ein besonders gefrässiger Räuber, der Eier und Jungtiere anderer Tiere verspeist – deshalb wird er auch Killer-Garnele genannt. «Er hat eine der häufigsten Schneckenarten fast komplett dezimiert», sagt Jokela.

Noch sei das Krebstier nicht so gründlich erforscht worden wie die Körbchenmuschel, die Plankton verschlingt, auf das Felchen angewiesen sind. «Diese Tiere sind ein grosses Problem, weil sie unsere Ökosysteme komplett verändern.»

Ein weiterer unliebsamer Neuankömmling ist die Quagga-Muschel, die im Bieler-, Boden-, Genfer- und Neuenburgersee gefunden wird und deren wirtschaftliches Schadenspotenzial laut Bafu noch grösser ist als das der Körbchenmuschel. Denn sie siedelt sich in grösseren Seetiefen an und verstopft dort die Entnahmeleitungen für die Trinkwassergewinnung.

«Die Reinigung der Anlagen kann sehr teuer werden», sagt Marie-Sophie Renevier, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bafu. Weltweit schätzt das Übereinkommen über die biologische Vielfalt die direkten wirtschaftlichen Kosten von gebietsfremden Arten auf Hunderte von Milliarden Dollar pro Jahr.

Um die Ausbreitung der Quagga-Muschel zu verhindern, empfahl das Bafu den kantonalen Behörden, ihre lokalen Fischerei-, Sport- und Bootsvereine zu informieren und Bootwaschanlagen bereitzustellen. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass die Muschel, wenn sie sich erst einmal in einem Gewässer etabliert hat, kaum mehr auszurotten ist. 

Jokela vermutet, dass viele Menschen das Problem von invasiven Arten gar nicht wahrnehmen, weil es vom Ufer oder von der Wasseroberfläche aus nicht erkennbar ist.

«Stellen Sie sich vor, in unseren Wäldern gäbe es nur eine Moosart und keine anderen Pflanzen mehr. Das ist das Ausmass der Veränderung in vielen Seen», sagt er und gesteht, dass es für ihn nicht mehr so viel Spass macht, ins Wasser zu gehen. «Es ist ein fremder Ort geworden.» 

Muscheln landen auf dem Teller

Es gibt aber auch Menschen, welche die ungebetenen Gäste schätzen. In Nordamerika wird die Einführung der Körbchenmuschel Einwanderern aus China zugeschrieben, die sie für Speisen verwendeten. So steht es in einem Bericht des Bafu von 2016.

In der Schweiz erntet eine Zürcher Firma die Muscheln und verkauft sie an Fischhändler. Von dort gelangen sie in gehobene Restaurants, wo sie zu Gerichten verarbeitet werden.

Als ich Jokela sagte, dass ich sie gerne einmal essen würde, erklärte er mir, dass man dafür nicht in ein Restaurant gehen müsse. «Sammeln Sie selbst ein paar und machen Sie daraus Pasta vongole.»

So gelangte ich an den Bielersee, von wo sich die Körbchenmuschel einst ausgebreitet haben soll. Ich beginne mit meiner Suche. Doch meine Bemühungen, genügend Exemplare für ein Abendessen zu finden, erfordern Geduld.

Die erste Muschel ist Anfängerglück, gefolgt von vielen Handvoll Sand und leeren Schalen. Wasservögel schwimmen und fliegen vorbei, sie scheinen mir zuzuzwinkern. Ist es ein Zeichen von Solidarität oder Spott? Nach 45 Minuten habe ich zumindest 30 intakte Muscheln an die Oberfläche befördert.

A small bag filled with Asian clams
Fang des Tages: frisch geerntete asiatische Venusmuscheln. swissinfo.ch/Susan Misicka

Zu Hause weiche ich sie ein, um den Sand herauszufiltern, bevor ich sie mit Butter und Zwiebeln anschwitze. Eine Muschel nach der anderen öffnet sich mit einem leisen Plopp-Geräusch und gibt winzige, zarte Häppchen frei.

Doch ihr Geschmack ist, verglichen mit Salzwassermuscheln, etwas fade. Trotzdem würde ich sie gerne noch einmal sammeln, vielleicht an einem Ort mit einer grösseren Population.

Gentechnologie soll helfen

Könnte man die Muschel loswerden, indem man sie in grossen Mengen erntet und verspeist? Jokela ist von der Verwertungsidee nicht überzeugt: «Das Problem ist, dass sie wenig hergibt und auch vom Geschmack her nicht wirklich beliebt ist.» Er bevorzugt gentechnische Bekämpfungsmethoden und verweist auf Bemühungen in anderen Ländern.

In den USA laufen beispielsweise Versuche, die fremde Bachforelle zu eliminieren, indem speziell gezüchtete Männchen ausgesetzt werden, die nur männlichen Laich zeugen können. Auch die neuseeländische Regierung erprobt gentechnische Methoden zur Ausrottung nicht einheimischer Raubsäuger wie Ratten und Hermeline. 

Mit der richtigen Herangehensweise könnten auch in der Schweiz fremde Eindringlinge verdrängt werden, um so einheimischen Arten wie Felchen und Seeforellen wieder Platz zu machen. «Wir hätten zwar nicht mehr die Artenvielfalt von früher, aber im Laufe der Jahre könnten sich einheimische Lebewesen wieder verbreiten», sagt Jokela.

Achtung: Rohe und ungenügend gekochte Schalentiere können Krankheiten verursachen. Seien Sie deshalb vorsichtig, wenn sie Muscheln zum Verzehr sammeln. Informieren Sie sich über die örtliche Wasserqualität, denn Muscheln filtern sowohl Wasser als auch Schadstoffe.

Kontaktieren Sie die Autorin via E-Mail oder TwitterExterner Link.

Eiditert von Sabrina Weiss, adaptiert aus dem Englischen von Christoph Kummer

Christoph Kummer

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