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Die Ingenieurin, die am CERN den Höllenmagnet baut

Im CERN-Testzentrum für Supraleiter-Magnete.
Auf dem "Spielplatz": Hier testen Marta Bajko und ihre rund 30 CERN-Technikerkollegen die Supraleiter-Magnete, die bei Temperaturen um den absoluten Gefrierpunkt funktionieren müssen. Bill Harby. © All rights reserved without written permission

Sie ist keine der gehypten CERN-Physiker, die Theorien erstellen, was Nanosekunden nach dem Urknall passiert sein könnte. Aber ohne Ingenieurinnen wie Marta Bajko, welche die gigantischen Magneten für den Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) bauen, könnten die Physiker ihre Theorien nicht testen.

Bei Rockkonzerten gibt es die Rockstars, die auf der Bühne im Rampenlicht stehen – und die Roadies, die dafür sorgen, dass die Stars ihre Musik abrocken und ihre Show abziehen können: Sie bauen das Equipment auf der Bühne auf, stimmen die Instrumente, schliessen die Verstärker und Lautsprecher an und checken, dass der Strom fliesst.

Die Rockstars im CERNExterner Link, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, sind die Teilchenphysiker- und physikerinnen. 

Im Schatten der Stars

Sie erhalten jeweils am meisten Aufmerksamkeit, wenn in diesem Superlabor ein neues subatomares Teilchen entdeckt wird, das uns dabei hilft zu verstehen, wie das Universum bei seiner Geburt wahrscheinlich aussah, und wie es sich heute zusammensetzt.

Aber ohne die Ingenieurinnen und Ingenieure, welche die komplexen Maschinen und Instrumente konstruieren, dank denen diese Teilchen (absichtlich) mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen können, bliebe die Mathematik der Physiker «bloss» theoretische Gleichungen.

CERN-Technikerin Marta Bajko
Marta Bajko auf ihrem «Spielplatz». Bill Harby. © All rights reserved without written permission

Giganten

Wenn wir mit der Rock-’n›-Roll-Analogie weitermachen, gehört Marta Bajko zu den Roadies. Beim Treffen im CERN trug sie aber weder Overalls noch einen Laborkittel, sondern ein psychedelisch gemustertes Kleid, violette Strumpfhosen und ein Armband aus Garn in Regenbogenfarben, das ihre siebenjährige Tochter geknüpft hat.

Als Sektionsleiterin der CERN-Testanlage für die supraleitenden Magneten mit dem prosaischen Namen SM-18 prüft Bajko mit ihrem Team von etwa 30 Ingenieuren und Technikerinnen die riesigen Magnete. Diese operieren bei nahezu absoluter Null-Temperatur (-273,15 Grad Celsius/-459,67 Grad Fahrenheit), um SupraleitungExterner Link (kein elektrischer Widerstand) zu erzielen. 

Einige dieser Magneten wurden entwickelt, um die Bewegung der Protonen durch den insgesamt 27 Kilometer langen kreisförmigen LHC-Teilchenbeschleuniger zu optimieren.

Monster aus über 1200 Magneten

Der LHC hat 1232 grosse Dipolmagnete, die jede Sekunde Milliarden von Protonen durch den Beschleuniger leiten, bevor die Bündel aufeinanderprallen und Spuren von noch kleineren subatomaren Teilchen hinterlassen. 

Zum Beispiel das bekannte Higgs bosonExterner Link-Teilchen, das im Standardmodell der Teilchenphysik die Erklärung dafür liefert, wieso alle Objekte Masse haben und das Universum bilden konnten.

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Was geht? Was geht nicht?

«Unsere erste Rolle ist die Diagnose», sagt Bajko. «Wir erhalten einen Magneten und testen ihn, um zu sehen, was funktioniert und was nicht. Nachdem unsere Kollegen alle notwendigen Korrekturen vorgenommen haben, testen wir das endgültige Design.» Erst wenn alle Tests erfolgreich verlaufen sind, wird ein Magnet für den Einbau freigegeben.

Wird ein neues Magnetdesign überprüft, kann der ganze Prozess Jahre dauern: von der ersten Überprüfung über die Verfeinerung hin zu weiteren Tests und Verfeinerungen bis zur abschliessenden Freigabe nach der Installation. 

So begann das Team von Bajko 2008 mit der Entwicklung von neuen Magneten für die so genannte High-Luminosity-NachrüstungExterner Link des LHC. Tests am ersten Prototyp sind aber erst für dieses Jahr geplant, und die Installation der neuen Magnete wird nicht vor 2025 erwartet.

Rumänien, Spanien, Schweiz

Bajko wurde in Rumänien geboren, in Gheorgheni. Ihre Ausbildung machte sie in Rumänien und in Budapest, Ungarn. Wir praktische alle am CERN spricht sie mehrere Sprachen (in ihrem Fall Rumänisch, Ungarisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Italienisch).

Ihre erste Stelle nach dem Studium war in Madrid, bei der CEDEXExterner Link, einer öffentlichen spanischen Forschungseinrichtung. Dort fand sie die beiden grossen Lieben ihres Lebens: Die Tieftemperaturtechnik und Juan Carlos Perez, ihren heutigen Ehemann, der ebenfalls als Magnet-Ingenieur am CERN arbeitet.

Praktische Anwendungen

Ein bedeutender Bestandteil der grossen supraleitenden Magnete des CERN, die 15 Meter lang und 27 Tonnen schwer sind, sind die mit Drähten aus Niob-Titan-Legierungen (NbTi) oder Niob-Zinn-Legierungen (Nb3Sn) gewickelten Kabel. Diese Legierungen sind ausserordentlich wirksame elektrische Leiter für die extrem kalten Temperaturen, welche die Supraleitung möglich machen.

Die Stränge der Drähte und flachen Kabel seien teilweise auch sehr schön, erklärt Bajko. Eines Tages möchte sie Schmuck aus diesen Drähten entwerfen, fügt sie hinzu. In einer Vase auf ihrem Pult steckt ein wippendes Bouquet aus NbTi-Drähten, Kabeln und Spiralbändern aus Metall sowie grünen Glasfasern.

Fokussiert

Was findet die Ingenieurin an ihrer Arbeit am lohnendsten? Auf das Risiko hin, reine Wissenschaftsfreaks zu enttäuschen, es ist nicht die Entdeckung esoterischer, subatomarer Teilchen, die das Universum ausmachen.

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«Das ist so weit weg für mich», sagt sie und verweist stattdessen auf «praktische Anwendungen von Tieftemperaturtechnik, Supraleitung und Magneten».

So hat zum Beispiel die Entwicklung medizinischer Technologien wie der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) der Arbeit im CERN viel zu verdanken.

Lieblingsort

Als Sektionsleiterin verbringt Bajko einen Teil ihrer Zeit im Büro, an Meetings und mit dem Checken von Schaltplänen und Gleichungen. Aber am meisten mag sie ihren «Spielplatz», wie sie die Testanlage von SM-18 nennt, das sind rund 2500 Quadratmeter voller grosser, bunt bemalter Diagnosegeräte und –instrumente.

Für gewisse Tests werden die langen Magnete auf eine «Tieftemperaturbank» gelegt, wo sie eingeschaltet werden, um zu überprüfen, ob die vielen Hundert Bestandteile gut zusammenspielen.

Jeder Magnet wird für weitere Tieftemperatur-Tests auch in ein Gerät gesteckt, das die Ingenieurin als «grösste Thermosflasche der Welt» bezeichnet.

«Intelligentes» Teil

Eine Reihe von Tests für einen einzelnen Magneten kann mehr als zwei Monate dauern. Während die Tests bei allmählich kälteren Temperaturen stattfinden, «durchläuft der Magnet ein Training», erklärt Bajko. 

Er «lernt» und hat ein «Gedächtnis». Mit subtilen Optimierungen wird der Magnet immer näher an die gewünschte Leistung bei praktisch absoluter Null-Temperatur herangebracht.

Funktionieren am absoluten Gefrierpunkt

Eine der grössten Herausforderungen für die Entwickler der supraleitenden Magnete ist die Herstellung von Bauteilen bei Zimmertemperatur, die aber schliesslich bei Temperaturen von gegen -300 Grad Celsius im Einsatz stehen werden. 

Man stelle sich die Konstruktion eines Automotors in einer heissen Fabrik vor, eines Motors, der bei Temperaturen funktionieren werden muss, die kälter sind als der Weltraum.

Zusammenspiel Mensch und Maschine

«Ich bin immer noch erstaunt, dass der LHC und all die Menschen und Bestandteile sich zusammenfügen, zusammenarbeiten, dass nichts und niemand wichtiger ist als das eine oder andere», sagt Bajko.

Und wie arbeiten Teilchenphysiker-«Rock-Stars» und Roadies zusammen? Die Ingenieurin lächelt und sagt: «Die Physiker sind ein bisschen, Träumer.»

Sie machte die Erfahrung, dass die Physiker oftmals die Schwierigkeiten nicht in Betracht ziehen, die zum Bau einer komplexen Maschine gehören, die es vielleicht noch nie gab. Einer Maschine, welche die Physiker aber unbedingt brauchen, um ihre Theorien zu beweisen oder zu widerlegen.

Kosten – darum sollen sich andere kümmern

Manchmal berücksichtigten sie auch die Kosten für die Entwicklung und Konstruktion solcher Maschinen nicht. Mit diesen Bedenken müssten sich die Ingenieure herumschlagen, die den Physikern (und den Budget-Beobachtern) erklären müssten, was sie als «Machbarkeit einer Anfertigung» bezeichnet.

Vielleicht ist dies die grosse Herausforderung und die Belohnung, wenn man als Tieftemperaturmagnet- Ingenieurin – oder als Ingenieurin überhaupt – an der Erforschung subatomarer Physik beteiligt ist. 

«Meine Arbeit besteht nicht nur auf dem Papier oder auf einem Bildschirm, sondern in dieser Installation, die ich sehen kann, berühren kann. Und die funktioniert.»

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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