Schulprojekte mit Nutzen für die Forschung
Wenn Daten aus Schulprojekten nach dem Unterricht nicht in den Mülleimer wandern, sondern gepflegt und ausgetauscht werden, kann daraus eine einzigartige und mächtige Quelle für die Wissenschaft entstehen.
An diesem 8. März sind die Strassen trocken in der Stadt Aigle, einige Kilometer vom östlichen Ufer des Genfersees entfernt. Doch schon nach 20 Minuten in der Zahnradbahn hinauf nach Leysin fallen weisse Flocken auf eine ohnehin schon dichte Schneedecke.
Trotz der Wetterlage liessen es sich die Schülerinnen und Schüler vierer internationaler Schulen der Schweiz nicht nehmen, an der dritten Auflage des Leysin American SchoolExterner Link (LAS) GLOBE Day teilzunehmen, einer Wissenschaftsveranstaltung, auf der Projekte aus den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik sowie Citizen Science vorgestellt werden.
Die Sporthalle der internationalen englischsprachigen Internatsschule ist voller Jugendlicher zwischen 12 und 18 Jahren, die sich die vielen farbigen Aushänge auf weiss gehaltenen Tischen anschauen.
«An unseren Waldzuwegen sollen drei bis vier Hinweisschilder angebracht werden, die Wanderern erklären, wie sie die App iNaturalistExterner Link herunterladen können», erklärt Hermann aus der 9. Klasse der LAS und deutet auf seine Präsentation.
«Das ist super interessant. Man kann Fotos von Bäumen machen und sie über die App teilen. Danach werten Wissenschaftler aus aller Welt die Fotos aus und erhalten daraus wichtige Informationen.»
Alex, ebenfalls Schülerin der 9. Klasse, erläutert, dass sie und ihre Projektpartner ebenfalls mit einer Smartphone-App arbeiten, um saisonale Daten zu lokalen Tierarten zu sammeln.
«Man kann Fotos von Tierspuren, Exkrementen oder auch Nestern mit Eierschalen machen. Dann lädt man die Bilder auf die App. Wenn man sie falsch zuordnet, können andere Teilnehmende wie Wissenschaftler einen korrigieren», erklärt sie uns.
Warum genau sind diese Informationen für die Wissenschaft von Interesse?
Lehrer Dan Patton erläutert, dass diese Beobachtungen Teil eines Langzeit-Studienprojekts zur Ökologie des Waldes Beau Réveil sind. In verschiedenen Erhebungen sollen Änderungen der Baumpopulationen, -arten und -grössen erfasst werden.
«Unser Ziel ist es, eine Langzeitstudie durchzuführen, damit wir eventuell durch den Klimawandel oder invasive Spezies verursachte Veränderungen beobachten können», erläutert Patton gegenüber swissinfo.ch.
GLOBE Day der LAS
John Harlin ist Koordinator des LAS GLOBE Day. Er leitet das LAS-Programm Alpine InstituteExterner Link. Dabei geht es um Lernen im Freien und einen neuen Ansatz der Wissenschaftsvermittlung.
«Üblicherweise machen die Kinder ein biologisches Experiment oder eine Forschungsarbeit, und wenn sie damit fertig sind, landet das Ergebnis sprichwörtlich im Müll», erklärt Harlin gegenüber swissinfo.ch. «Der Versuch ist dann zwar wertvoll, um den Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen, leistet aber keinen wissenschaftlichen Beitrag.»
Harlin ist auch Mitvorsitzender der Arbeitsgruppe «Learning and Education» der European Citizen Science AssociationExterner Link. Sie hilft Schulen und Lehrpersonal, echte wissenschaftliche Datensammlungen und Analysen in ihre Lehrpläne zu integrieren.
«Das Alleinstellungsmerkmal von Citizen liegt darin, dass die erfassten Daten gespeichert, geteilt und eventuell mit anderen Daten kombiniert werden können. Die Ergebnisse erfüllen damit einen Zweck, und dieser konkrete Beitrag zur Wissenschaft motiviert junge Menschen beim Lernen», so Harlin.
Vorbild des GLOBE Day der LAS ist das gleichnamige NASA-ProgrammExterner Link. GLOBE steht für Global Learning and Observation to Benefit the Environment, für Globales Lernen und Beobachten zugunsten des Umweltschutzes. Die Veranstaltung ist wie eine kleine Wissenschaftskonferenz aufgebaut: Ein Teil der Jugendlichen betreut die Stände und erläutert die Projekte anhand von Postern, der andere Teil stellt Fragen dazu. Nach einer halben Stunde ertönt ein Gong, und die Rollen werden getauscht.
Nach Harlins Überzeugung verhelfen das Konferenzformat und die Teilnahme an Citizen Science den Jugendlichen zu mehr Engagement für ihre Arbeit, weil sie wissen, dass ihre Arbeit auch anderen dient und Teil von etwas Grösserem wird.
Citizen Science als persönlicher Beitrag zur Lösung globaler Probleme
Hinter Citizen Science steckt die Idee, dass Forschung nicht allein der Wissenschaft vorbehalten sein sollte, sondern dass jeder zur Erforschung der Welt, in der er lebt, beitragen kann. Citizen-Science-Projekte können von der Verfolgung des Vogelzugverhaltens über die Bestimmung von Pflanzen bis hin zu Planetenbeobachtungen und der Überwachung des Wettergeschehens reichen.
An der LAS beispielsweise leitet Dan Patton das Programm LETSExterner Link (Local Environmental Transect Survey – Lokale Umwelt-Transektstudie), in dessen Rahmen die Schülerinnen und Schüler in einem jährlichen «BioblitzExterner Link«-Event an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Gebiet so viele Arten wie möglich katalogisieren. Mit Bioblitz-Daten können Wissenschaftler einfacher erfassen, wann im Jahresverlauf saisonale Veränderungen wie die Knospung von Blumen, das Fallen der Blätter oder der Fellwechsel eintreten. Langfristig geben diese Informationen den Forschern Aufschluss über den Klimawandel.
«Unser Ziel besteht zum grossen Teil darin, die Forschung, die wir an den Hängen hier vor Ort betreiben, zu institutionalisieren, damit sie noch lange nach unserem Verschwinden fortgeführt wird. Nach ein paar Jahrzehnten haben wir dann eine echte Langzeit-Klimastudie, die nur durch das langfristige Engagement der Schule ermöglicht wird», so Harlin.
Laut Patton besteht die grösste Herausforderung darin, die gesammelten Daten in ein Format zu bringen, das für andere leicht zugänglich und nutzbar ist. Hieran arbeitet man mit Forschern vor Ort. Er hofft, dass sich die Daten eines Tages für eine wissenschaftliche Publikation verwenden lassen.
Aber wenn diese Daten für die Wissenschaftler so wichtig sind, warum sammeln sie sie dann nicht selbst?
John Francis, Hauptredner am LAS GLOBE Day, erklärt swissinfo.ch, die Stärke der Citizen Science bestehe in ihrem Potenzial, die Neugier von Menschen rund um den Globus – die vielleicht genau zur rechten Zeit am rechten Ort sind – für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen.
«Ein Grossteil der Kosten für die ganzjährige Datenerhebung ist auf den logistischen Aufwand zurückzuführen, den es braucht, um an den betreffenden Ort zu gelangen. Somit erweist sich die Mobilisierung und Beauftragung von Citizen Scientists als hocheffizient», erläutert Francis, der bis vor Kurzem als Vice President for Research, Conservation and Exploration bei der National Geographic Society tätig war.
Chris McOwen, Meeresschutzforscher am UNEP-Weltüberwachungszentrum für Naturschutz und an der University of Cambridge, hielt am GLOBE Day ebenfalls eine Grundsatzrede. Seines Erachtens ist es ein Fehler, die Lösung der globalen Probleme allein den Wissenschaftlern zu überlassen.
«Wir verlassen uns darauf, dass weisse Männer mittleren Alters in Laborkitteln die Probleme lösen, die wir selbst nicht in den Griff bekommen – wie die Überfischung und Verschmutzung der Meere», so McOwen. «Dabei sollten wir lieber Kinder, Jugendliche wie auch Erwachsene ermutigen und befähigen, selbst einen Beitrag zu leisten. Mit Citizen Science kann das tatsächlich gelingen.»
Das Sammeln von Daten ist dabei nur der Anfang. Harlin plant, künftig auch die Auswertung der Daten in den Citizen-Science-Lehrplan der LAS aufzunehmen, um den wissenschaftspädagogischen Ansatz abzurunden.
«Dies ist eine unserer Herausforderungen hier: nicht nur Datensammler zu sein, sondern die Daten auch von Schülern auswerten und diskutieren zu lassen», erläutert er.
Citizen Science in der Schweiz
Citizen-Science-Projekte für die deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Regionen werden von Citizen Sciences Netzwerk SchweizExterner Link katalogisiert und veröffentlicht, das vom Kompetenzzentrum für Dialog der Akademien der Wissenschaften Schweiz, Science et CitéExterner Link, betrieben wird.
Das Programm NASA GLOBE, das 1995 als «eine weltweite Vernetzung und Zusammenarbeit von Schülern, Lehrpersonen und Forschern sowie weiterer Interessierten zugunsten eines besseren Verständnisses über die Zusammenhänge in unserem System Erde, deren nachhaltige Erhaltung und Verbesserung, und dies auf lokaler, regionaler und globaler Ebene» eingeführt wurde, verfügt auch über einen europäischen Zweig. Es umfasst ein NetzwerkExterner Link von Schweizer Projekten und Schulen, zu denen auch das LAS Alpine Institute gehört.
Internationale Schulen in der Schweiz
Neben Innovation und Citizen Science pflegt die Schweiz auch eine lange Tradition internationaler Schulen. Die Swiss Group of International Schools (SGIS) verzeichnet landesweit 44 Mitgliedsinstitutionen, darunter die LAS. Diese bieten unterschiedliche Lerninhalte im Rahmen der Primar- und Sekundarbildung für Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt, ob als Tagesschule oder in Internatsform. Viele bieten zwei- oder dreisprachige Bildungsgänge sowie internationale Zertifikate und Abschlüsse an.
(Übertragen aus dem Englischen: Übersetzer-Gruppe Zürich)
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