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Schweizer Social-Audio-Anbieter setzt auf Clubhouse-Erfolg

Ein Smartphone, gehalten von einer Person
Ist auf sozialen Medien eine Stimmung möglich, wie sie aufkommt, wenn sich Menschen zu einem echten Gespräch treffen? angle.audio

Als die Social-Media-Plattform Clubhouse Anfang des Jahres die Great Firewall of China durchbrach, bereitete sich eine ähnliche Schweizer App auf ihre Lancierung vor – in einem Markt, der zunehmend umkämpft ist. 

Clubhouse hat im Februar weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Der Social-Media-App war es gelungen, sich an der chinesischen Zensur vorbeizuschleichen und den Menschen in China zu ermöglichen, frei über jedes beliebige Thema zu reden – zumindest für ein paar Tage, bis der Dienst von der chinesischen Regierung abgeschaltet wurde.

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Ausserhalb von China hat die Diskussions-App Berichten zufolge durch ihr chinesisches Abenteuer erneut Millionen von Nutzerinnen und Nutzern gewonnen. Das ist auch den Machern des Schweizer Herausforderers Angle nicht entgangen, einer App, die Ende März an den Start ging.

Mitgründer Matthias Strodtkoetter besteht darauf, dass ihm die Idee für die App gekommen sei, lange bevor er von Clubhouse gehört hatte. Als er 2016 an der Universität von Tokio zum Thema Quantencomputing forschte, war er frustriert, weil er mit einer begrenzten Anzahl von Kollegen auf dem hochmodernen Gebiet keinen Ort zum Ideenaustausch finden konnte.

Online-Netzwerke, die bestimmte Gruppen von Menschen miteinander verbanden, waren kostspielig und nicht benutzerfreundlich. Also dachte er sich: «Eine Plattform, die Menschen mit ähnlichen Interessen verbindet und sinnvolle mündliche Unterhaltungen ermöglicht, wäre ein Game-Changer.»

Vier Jahre lang lag die Idee in der Schublade, bis sich Strodtkoetter – damals zurück in der Schweiz – mit den zwei weiteren Mitbegründern zusammentat, um 2020 das Projekt Angle zu starten. «Soziale Plattformen werden oft zum Zeitfresser, weil man sich endlos durch Feeds voller Rauschen scrollen muss», sagt der 31-Jährige, der auch an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich studiert hat.

Der Geist von Angle sei hingegen vergleichbar mit dem alten Rom, wo man sich oft in Gärten getroffen habe, um über das Leben und die Gesellschaft zu philosophieren. «Das ist ein menschliches Grundbedürfnis, aber die Menschheit ist dabei, diese Art von sinnvollem Kontakt zu verlieren.» 

Gutes Timing

Robert West, ausserordentlicher Professor am Data Science Laboratory der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), glaubt, dass der Zeitpunkt für solche Plattformen kaum besser sein könnte. Die Coronavirus-Pandemie habe bei den Menschen die Sehnsucht nach traditionelleren Formen des sozialen Kontakts geweckt und viele mit «Zoom-Müdigkeit» zurückgelassen. Die reinen Audio-Chatrooms verzichten auf die Ablenkung durch Video- und Text-Feeds und konzentrieren sich ausschliesslich auf die mündliche Konversation.

«Es ist eine Rückbesinnung auf die Art und Weise, wie Unterhaltungen früher geführt wurden, bevor die Leute anfingen, mitten im Chat ihre Nachrichten auf dem Smartphone zu überprüfen. Diese neuen Plattformen bringen die Menschen zurück in den Moment. Sie müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort auftauchen und zuhören», sagt West.

«Es gibt eine starke soziale Komponente in unserem Leben – wenn man die wegnimmt, hinterlässt das ein grosses Loch.» West findet, einige soziale Medien sollten «asozial» genannt werden, weil sie klassische Beziehungen zerstörten.

Harter Wettbewerb

Ein paar tausend Nutzerinnen und Nutzer, welche die Prototyp-Version der Plattform getestet haben, riefen Diskussionsgruppen zu so unterschiedlichen Themen wie Reisen, Kampfsport, Startup-Pitches im «shark tank style» (Haifischbecken-Stil), psychische Gesundheit und Fotografie ins Leben.

Um ein Erfolg zu werden, müsse Angle in den kommenden Monaten einen «niedrigen einstelligen Tausenderbereich» an neuen Nutzerinnen und Nutzern anziehen, sagt Strodtkoetter.

Der Wettbewerb um ein Stammpublikum ist schon jetzt hart. Twitter hat angekündigt, mit Twitter Spaces ein ähnliches Angebot zu schaffen. Inspiriert von der kurzen, aber bedeutenden Popularität von Clubhouse in China, sind auch mehrere chinesische Nachahmer dabei, staatskonforme Plattformen zu starten. Weitere Marktteilnehmer, die in dieses Feld drängen, heissen Sonar, School Night, Chalk und Discord.

Robert West sagt, dass es noch zu früh ist, um zu sagen, welche Plattformen erfolgreich sein und welche scheitern werden. «Es ist verblüffend, dass Whatsapp im Jahr 2014 für 19 Milliarden Dollar (17,8 Milliarden Franken) an Facebook verkauft wurde, obwohl es eigentlich nichts Besonderes ist. Chat-Funktionen gibt es schon seit den 1980er-Jahren. Aber die App hat mit den Smartphones den Sweet Spot getroffen.»

Moderation versus Zensur

Eine weitere Herausforderung wird sein, die Diskussionen zu moderieren, ohne zu einer schwerfälligen Zensurbehörde zu verkommen. Gruppendiskussionen über kontroverse Themen können sich an starken Meinungen, Beleidigungen und Beschimpfungen entzünden und mit ungeprüften Fakten oder Fake News infiziert werden. Das ist ein Problem, das in den letzten Monaten auch Twitter und Facebook zu schaffen gemacht hat.

«Moderation ist eine Herausforderung für jede Plattform, die nutzergenerierte Inhalte zulässt. Es gibt keine einfache Lösung», sagt Strodtkoetter. Er setzt zunächst auf die Selbstregulierung der Nutzenden, die unliebsames Verhalten an die Administratorinnen und Administratoren der Gruppen melden können.

«In Zukunft werden wir technologische Lösungen einführen, um Fehlverhalten automatisch zu erkennen und zu beseitigen. Aber selbst dann wird es immer einen kleinen Teil von Nutzerinnen und Nutzern geben, welche die feine Linie zwischen Moderation und Zensur austesten», so Strodtkoetter.

Angle muss auch Geld verdienen, um zu überleben. Das Startup erforscht zwei Möglichkeiten, den Dienst zu monetarisieren. Die erste ist ähnlich wie bei Clubhouse: Gruppen können Tickets für Gruppendiskussionen verkaufen oder ihre Dienste verkaufen, wobei Angle einen Anteil erhält. Die andere Möglichkeit ähnelt eher der Musik-App Spotify, die einen separaten Premium-Dienst mit erweiterten Funktionen für diejenigen anbietet, die bereit sind, dafür zu zahlen.

Strodtkoetter macht sich keine Illusionen. Damit sich Angle gegen die Konkurrenz durchsetzen kann, muss die App die ansprechendste Chatroom-Atmosphäre, in der man sich unterhalten kann, mit technologischen Funktionen wie maschinellem Lernen kombinieren, um die beste Auswahl an Chatgruppen empfehlen zu können.

Angle müsse die Wachstumsherausforderungen jeder Konsumenten-Internetplattform meistern, sagt Strodtkoetter. «Das Internet hat immer wieder bewiesen, dass sich am Ende die besten Produkte durchsetzen.»

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Philipp Meier

Kennen Sie die App ‹Clubhouse›? Nutzen Sie sie? Zu welchem Zweck?

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