COP27: Krieg und Klimaerwärmung rücken den Hunger in den Mittelpunkt
Im ägyptischen Sharm el-Sheik sucht die internationale Gemeinschaft nach Wegen, den globalen Hunger einzudämmen. Ein Kampf mit ungewissem Ausgang.
Auf einem beliebten Markt im ägyptischen Touristenort Sharm el-Sheik, in dem die jüngste Runde der UN-Klimagespräche stattfindet, spüren die Bewohner:innen die steigenden Lebensmittelpreise. Zehn Kilometer weiter nördlich rätseln die Konferenzteilnehmenden wie sie darauf reagieren sollen.
Schuld an der Inflation bei Lebensmitteln sind Unterbrechungen der Lieferketten wegen des Kriegs zwischen Ukraine und Russland, zwei wichtige Länder in der Nahrungsmittelproduktion. Dazu kommen die anhaltenden Dürreperioden und steigenden Temperaturen im Nildelta, Ägyptens eigenem Nahrungsmittelkorb.
«Der Preis für Brot ist enorm gestiegen», sagt eine Mutter, die sich selbst als Hausfrau bezeichnet und bei den vielen Bäckern auf dem El-Nour-Markt einkauft. «Aber alle brauchen immer Brot, also werden es die Leute immer kaufen.» Der Preis sei seit der Verknappung Anfang des Jahres dreimal höher, erzählt sie.
«Ohne Brot können wir nicht leben», sagt ein anderer Kunde namens Ahman, der Ladenbesitzer ist. Dieser Markt beliefert vor allem Wanderarbeiter:innen aus anderen Teilen Ägyptens, die im Touristenort Sharm El-Sheikh beschäftigt werden. Praktisch niemand wollte sich öffentlich zur Lage ihrer Familien in der Heimat äussern, aber ihre Körpersprache deutete auf die Belastung hin, der sie ausgesetzt sind.
Mehr als das Doppelte des durchschnittlichen globalen Jahresverbrauchs an Weizen konsumieren die Ägypter:innen nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO). Pro Kopf und Jahr sind das 146 Kilogramm.
Das afrikanische Land hatte fast 85% seines Weizens aus der Ukraine und Russland importiert, eine Quelle, die seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar weitgehend versiegt ist. Die inländischen Weizenreserven sind Teil des Plan B des Landes, aber auch diese schwinden, was zum grossen Teil auf die Wasserknappheit zurückzuführen ist, mit der die ägyptischen Landwirte nach dem Bau eines neuen Mega-Staudamms am Nil (GERD) konfrontiert sind.
Die UNO sagt voraus, dass das Land bis 2025 kein Wasser mehr haben wird. Der jährliche UN-Klimagipfel, auch COP27 genannt, findet in einer Region statt, in der es in der Vergangenheit immer wieder zu sozialen Spannungen aufgrund von Nahrungsmittelkrisen kam, so auch während der Aufstände des Arabischen Frühlings im Jahr 2011.
Die teilnehmenden Länder sind sich der Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungssicherheit bewusst, weshalb die Landwirtschaft eines der Hauptthemen der Gespräche am Klimagipfel ist.
«Unzureichende Reaktion» auf düstere Zukunft
«Wenn es zu Klimaschocks kommt, treten viele Probleme auf», sagt Pauline Madiro, Sekretariatskoordinatorin der Nichtregierungsorganisation «Charter 4 Change» in Kenia bei einer Nebenveranstaltung der COP27.
Madiro führt aus, dass es zu Konflikten kommen kann, weil die Ressourcen der Gemeinschaften, die durch den Klimawandel vertrieben werden, knapp sind. Wie dies in ihrem eigenen Land Kenia geschieht, könnten einige Kinder dazu verleitet werden, sich bewaffneten Gruppen wie der Al Shabab anzuschliessen, um Einkommensquellen zu finden.
Im Juni berichtete das Welternährungsprogramm, dass rund 345 Millionen Menschen in mehr als 80 Ländern von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, die in vielen Fällen auch auf den Klimawandel und seine Auswirkungen zurückzuführen ist.
«Die derzeitige globale Reaktion ist unzureichend», konstatierte Brigitte Menzi, Leiterin der Umweltabteilung des Schweizer Aussendepartements, in ihrer Rede vor den teilnehmenden Ländern der COP27.
Sie sagte, dass die Schweiz als Mitglied des UNO-Sicherheitsrats ab 2023 eine bessere Koordination und Zusammenarbeit zwischen den internationalen Organisationen fördern und «zu einem besseren Verständnis des Zusammenhangs zwischen Ernährungssicherheit, Klimawandel, Umweltzerstörung und Konflikten beitragen» werde.
Der Nahrungsmittelkampf der COP27
David Brecht des Schweizer Hilfswerk Fastenaktion meint, dass die Schweiz mehr tun könnte. Er sagt, dass die Schweiz als Teil eines COP27-Landwirtschaftsprojekts, das als Koronivia-Dialog bekannt ist, jeden Versuch zurückweisen sollte, den Verweis auf die Agrarökologie aus dem endgültigen Text zu entfernen. Agrarökologie ist die Anwendung ökologisch nachhaltiger Prinzipien in der Landwirtschaft, ein Konzept, das von Schweizer NGOs gefördert wird.
«Die Schweiz sollte unsere zivilgesellschaftliche Koalition und die Länder, die sicherstellen wollen, dass die Agrarökologie zu den geförderten Techniken für eine nachhaltige Landwirtschaft gehört, wirklich unterstützen», so Brecht.
Grosse Einzelhändler und Lebensmittelhersteller nehmen ebenfalls an der COP27 teil. Zu Beginn der ersten Woche waren Vertreter:innen der weltweit grössten Lebensmittelhandelsunternehmen an der Jahreskonferenz, um sich erneut zu verpflichten, die Abholzung von Wäldern aus ihren Lieferketten zu verbannen, nachdem frühere Verpflichtungen gebrochen worden waren. Zu den Unternehmen gehörten COFCO International, Bunge und Cargill, die alle in Genf ansässig sind.
Saint Francis Tohlang, Kommunikationsdirektor für das östliche und südliche Afrika bei Nestlé mit Sitz in der Schweiz, sagt, dass der Nahrungsmittelmulti versuche, Kleinbäuerinnen und -bauern zu ermutigen, regenerative Landwirtschaftsmethoden anzuwenden, wie etwa die Verwendung von organischem Material anstelle von chemischen Produkten. Dies, um Süsswasserquellen zu erhalten und Schädlinge zu bekämpfen.
Brecht ist jedoch der Meinung, dass diese Methoden nicht weit genug gehen, und macht die Lebensmittelriesen für die stockenden Fortschritte in den Agrargesprächen verantwortlich.
«Der Kampf [um die Agrarökologie] findet dort statt, wo Lobbyist:innen von grossen Lebensmittelherstellenden versuchen, ihr Geschäftsmodell als nachhaltig darzustellen, was wir für falsch halten», sagt Brecht.
Ärmeren Länder bei der Anpassung helfen
Brecht und die NGO Fastenaktion sind zudem der Meinung, dass die Schweiz höhere finanzielle Beiträge leisten muss, um den Entwicklungsländern zu helfen bei der Anpassung an den Klimawandel und dabei, ihren eigenen Beitrag zu erhöhen.
«Es müssen neue und zusätzliche Finanzmittel sein und nicht nur eine Umschichtung von einem Haushaltsposten zum anderen», sagt Brecht. Er fordert die Schweizer Regierung auf, ihr Entwicklungsbudget zu stärken, das unabhängig von der Klimafinanzierung ist und angesichts der gestiegenen Militärausgaben unter Druck steht.
Die Entwicklungsländer fordern seit langem, dass die wohlhabenden Länder ihnen genauso viel Geld für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen wie für die CO2-Reduktion. Seit auf der COP15 im Jahr 2009 erstmals vereinbart wurde, dass die reichen Länder den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung zur Verfügung stellen sollten, wurde dieses Ziel immer wieder verfehlt.
Als die COP27 das Thema Ernährung und Landwirtschaft stärker in den Vordergrund rückte, lancierte Ägypten eine neue Initiative mit dem Namen Food and Agriculture for Sustainable Transformation (FAST), mit der die Beiträge zur Klimafinanzierung für Ernährungssysteme erhöht werden sollen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte die Schweiz noch nicht mitgeteilt, ob sie sich an dieser Initiative beteiligen wird.
Editiert von Veronica DeVore. Übertragung aus dem Englischen: Melanie Eichenberger.
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