Auf dem Schweizer Campus steht der Vertrauensvertrag auf dem Spiel
Aufgrund der Coronavirus-Krise warten Lehrkräfte, Doktoranden und Forschende auf eine Verlängerung ihrer befristeten Verträge. Auf acht von zehn Akademikerinnen und Akademiker trifft dies zu. Das zeigt, wie schwierig die Situation in der akademischen Welt der Schweiz ist.
Der Lockdown wird an der Universität Lausanne (UNIL) zu einem bürokratischen Kampf. Professorinnen, Doktoranden und Forschende sind besorgt über die Verlängerung ihrer befristeten Verträge. Eine am 13. Mai lancierte PetitionExterner Link kritisiert den Umgang der Universitätsleitung mit den Angestellten als «problematisch».
Assistentinnen und Doktoranden mit befristeten Arbeitsverträgen müssen ein detailliertes Formular ausfüllen und nachweisen, dass ihre Arbeit durch den Lockdown zwischen Mitte März und Mitte Mai tatsächlich beeinträchtigt wurde.
Angestellte, deren Verträge Ende Mai auslaufen, haben drei Tage Zeit, diese Formulare zurückzuschicken. Damit bringe die Leitung ihr Misstrauen gegenüber den Forschenden zum Ausdruck, sagt Antoine Chollet, Dozent und Forscher am Universitäts-Institut für politische Studien in Lausanne.
Acht von zehn ohne feste Verträge
Rund 1300 Personen sind direkt oder indirekt von diesem Regime in allen Fakultäten der UNIL betroffen. Verträge, die von Doktoranden bis zu Assistenzprofessoren reichen. «Nur eine Minderheit der Lehrkräfte und Forschenden hat hier einen unbefristeten Vertrag», sagt Chollet. An den Schweizer Universitäten haben im Durchschnitt acht von zehn Forschenden befristete Verträge.
Laut dem Politikwissenschaftler blieb der gesamte Campus, einschliesslich der Bibliothek und der Labors (Chemie, Medizin), während des Lockdowns geschlossen, was die Verschiebung vieler Arbeiten zur Folge hatte. Seit Ende April sind die Laboratorien wieder geöffnet, und der Schalter der Uni-Bibliothek ist seit dem 11. Mai wieder normal in Betrieb.
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Covid-19 rückt in der Schweiz ins Zentrum der Forschung
Die Universitäten in den USA haben bereits angekündigt, dass sie möglicherweise Personal abbauen werden (siehe Box am Ende des Artikels). Sind auch in der Schweiz Entlassungen zu befürchten? Im Prinzip nicht. «Die Schweizer Universitäten sind öffentlich und nicht privat wie in den Vereinigten Staaten», sagt UNIL-Sprecherin Géraldine Falbriard.
Die Situation lässt sich nicht vergleichen, denn auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Universitäten von Entscheidungsträgern abhängig, die während dieser Gesundheitskrise nicht geneigt sind, in verschiedene Richtungen zu investieren.
«Abschreckendes Verfahren»
Der Mittelbau (wissenschaftliche Mitarbeitende, Assistierende) fordert die Universitätsleitung auf, ihr Vorgehen zu widerrufen. Alle befristeten Verträge (Mittelbau, Verwaltungs- und technisches Personal) sollen um mindestens zwei Monate automatisch verlängert, sechsmonatige Verlängerungen sollen bevorzugt, neue Anstellungen vom Herbstsemester auf das Frühjahrssemester 2021 verschoben, die erwähnten Formulare abgeschafft und die Vertraulichkeit der Dossiers garantiert werden.
Trotz der Proteste will die Universitätsleitung nicht auf die kritisierten Fragebögen verzichten. Dies sei nicht Zeichen des Unwillens seitens der Leitung, aber die Dekanate und die Evaluierungskommission müssten nun von Fall zu Fall entscheiden. «Die Verhältnisse unter den Lehrkräften, Doktoranden oder Forschenden sind sehr unterschiedlich», sagt Falbriard.
Darüber hinaus seien die Fragebögen so weit wie möglich vereinfacht worden, so dass sie in fünfzehn Minuten ausgefüllt werden könnten. Es geht um Beträge in der Grössenordnung von insgesamt sieben Millionen Franken pro Monat. Diese müssten «so gerecht wie möglich verteilt werden». Das sei mit grossem Aufwand verbunden.
Wohlwollen in Freiburg
Die Universität Freiburg setzt bei der Rekrutierung von Nachwuchsforschern auf Flexibilität. So werden viele befristete Verträge bereits über Mittel finanziert, die von Drittorganisationen (Europäischer Forschungsrat, Nationaler Fonds für wissenschaftliche Forschung, usw.) bereitgestellt werden. Eine Geldquelle, «die es von Anfang an ermöglicht, Personal für einen begrenzten Zeitraum einzustellen, um ein Projekt durchzuführen», sagt Marius Widmer, Sprecher der Universität.
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Coronavirus: Die Situation in der Schweiz
Bereits am 9. April hatte die Innosuisse – die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung – auf «pragmatischen und unbürokratischen» Lösungen bestanden, damit die Forschungsprojekte in der Schweiz ungestört weiterlaufen könnten. Und der Nationalfonds (SNF) stellte ebenfalls Flexibilität in Aussicht bei seiner Ausschreibung für das Forschungsprogramm «Covid-19» im Auftrag der Regierung (Bundesrat).
Während des Lockdowns ging die Arbeit an der Freiburger Alma Mater mehr oder weniger normal weiter, aber aus Distanz. Die Krise hatte jedoch Auswirkungen auf die Laborforschung. «Einige Projekte werden wahrscheinlich länger dauern als erwartet», sagt Widmer. In Freiburg müssen die Forschenden eine Vertragsverlängerung über ihre Vorgesetzten beantragen. «Und die Universitätsleitung wird sie sicherlich sehr wohlwollend prüfen», versichert er.
In Lausanne wird die UNIL Vertragsverlängerungen über ihren Reservefonds finanzieren, und ein Teil wird auch mit finanziellen Mitteln bestritten werden können, die in den Monaten März und April aufgrund abgesagter Veranstaltungen (Kongresse usw.) nicht ausgegeben wurden.
Wechselwirkungen
Aber wer wird letztlich für die ausserordentlichen Kosten aufkommen, welche die Corona-Krise während der zweimonatigen «akademischen Gefangenschaft» verursacht hat? Keine Universität würde es heute wagen, Zahlen zu nennen. «Das wird Gegenstand einer späteren Analyse sein», sagt Widmer. Aber die Kosten für IT-Ausrüstung und Logistik sowie die Kosten für sanitäre Massnahmen sollten teilweise durch die in der Krise erzielten Einsparungen gedeckt werden können.
An der Universität Genf (UNIGE) wurden die bereits vor der Krise begonnenen Arbeiten zum Fernunterricht und zur Telearbeit durch die aktuellen Ereignisse beschleunigt. Sie zogen unvorhergesehene Kosten nach sich.
«Diese Krise hat sich auch auf die Forschungsaktivitäten ausgewirkt, die für zwei Monate gelähmt waren, mit einer Auswirkung, die auf drei Millionen Franken geschätzt wird», sagt Luana Nasca, Sprecherin der UNIGE. Hinzu kommen nicht budgetierte Ausgaben wie die Überwachung und Verwaltung des Zugangs zu Gebäuden (780’000 Franken).
Um den Studierenden zu helfen, die von den wirtschaftlichen Folgen (Verlust des Arbeitsplatzes, Anschaffung von Computergeräten für die Telearbeit) hart getroffen wurden, wurde mit Hilfe privater Stiftungen bereits ein Unterstützungsfonds von mehr als zwei Millionen Franken eingerichtet, der insbesondere aus dem Allgemeinen Fonds der Universität gespeist wird.
Bis zu sechs Monate Verlängerung in Genf
Am 20. Mai legte die UNIGE ihren eigenen Plan für die Verlängerung – «grundsätzlich um zwei Monate» – befristeter Verträge vor. Der Schwerpunkt liegt hier auf jungen Forschenden, die in ihrer beruflichen Entwicklung durch die Pandemie beeinträchtigt wurden.
Die Direktion will «der Vielfalt der Situationen sowie der Vielfalt der Finanzierungsquellen» (kantonale Fonds, SNF, europäische Fonds, Stipendien) Rechnung tragen und sich für eine gerechte Verwendung der Mittel einsetzen. In begründeten Fällen wird eine Vertragsverlängerung von bis zu sechs Monaten gewährt, wobei aber der Nachweis erbracht werden muss, dass die Forschungsaktivitäten «materiell durch die Krise beeinträchtigt» wurden (Erschwerung der Datenerhebung, Erschwerung des Zugangs zu Gebäuden).
Auch in der Deutschschweiz hat die Covid-19-Krise ihre Spuren in der akademischen Tätigkeit hinterlassen. Auch wenn viele Forscher ihre Arbeit in ihren Büros oder zu Hause fortsetzten. Die Universität Zürich beruhigt ihre Angestellten mit befristeten Verträgen: «Falls nötig, werden ihre Verträge über die maximale Dauer hinaus verlängert», sagt ein Sprecher der Institution.
Amerikanische Universitäten in der Schwebe
In den USA durchlaufen die Universitäten eine Phase der Unsicherheit, die keine guten Aussichten für die Zukunft verspricht. Die Campusse bleiben im Ungewissen, ob sie in diesem Herbst gänzlich oder nur teilweise wiedereröffnen werden. Für das neue Schuljahr hat die Universität von Kalifornien bereits angekündigt, dass der Unterricht nur noch aus Distanz (online) weitergeführt werde – mit Ausnahmen für Laborarbeiten. Dasselbe gilt für die McGill-Universität in Montreal, Kanada. Inmitten all dieser Ungewissheit fragt sich die akademische Gemeinschaft, wie sie die Ausgaben im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise finanzieren, die Einnahmen sichern und das Personal und die Studierenden halten kann.
Für viele von ihnen wird der Unterricht bei Semesterbeginn vermutlich ausfallen. Mehrere amerikanische Universitäten rechnen bereits mit einem Rückgang der Einschreibungen von 15%, was einem Defizit von 23 Milliarden Dollar entspricht. Universitäten und Hochschulen beschäftigen 4 Millionen Menschen in den USA. Sparmassnahmen sind bereits eingeführt worden. Mitte April berichtete die «New York Times», dass die Universität von Chicago die Gehälter einfrieren und die Neueinstellungen verlangsamen müsse, um die Verluste abzufedern. Weitere Budgetkürzungen werden erwogen. Auch an der Universität von Pennsylvania ist ein Einstellungsstopp geplant. Die Präsidenten amerikanischer Colleges teilten im April mit, dass ein Personalabbau unumgänglich sein werde.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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