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Damit die radioaktiven Abfälle in Frieden ruhen

Querschnitt durch eine simulierte Endlagerung im Granit des Grimsel-Massivs: In Glas eingegossene Uranstäbe (Mitte) in einem Stahlmantel und einer hellen Pufferschicht aus Bentonit. Alessio Ferrari

Ob die Schweiz aus der Atomkraft aussteigt oder nicht: Die Frage der Entsorgung radioaktiver Abfälle bleibt bestehen. An der ETH Lausanne wird eine Lagerung mit mehreren Barrieren getestet, wo Abfälle bis zur Unschädlichkeit mehrere Jahrhunderte ruhen könnten.

Derzeit werden die radioaktiven Abfälle auf dem Gelände der Schweizer Atomkraftwerke und im Zwischenlager Würenlingen in Wasserbecken gekühlt.

Seit das Kernenergie-Gesetz 2005 in Kraft getreten ist, muss die Schweiz ihre radioaktiven Abfälle im Inland entsorgen.

Alessio Ferrari, Wissenschafter am Labor für Erdmechanik (Laboratoire de mécanique des sols LMS) an der ETH Lausanne, forscht nach Möglichkeiten, wie radioaktive Abfälle in Felsen gelagert werden könnten, so dass sie weder mit der Umwelt noch mit unterirdischen Gewässern in Kontakt kämen.

«Es braucht Lösungen»

Die Rede ist von der Lagerung in tiefen geologischen Schichten, wie sie die Schweiz, aber auch die Nachbarländer, anstreben. Auch wenn dieser Prozess an der «Oberfläche» ins Stottern geraten ist, in den Laboratorien kommt die Forschung voran.

«Auf europäischem Niveau gab es in den letzten 5 bis 10 Jahren grosse Fortschritte», sagt Ferrari. «Die Wissenschafter haben bessere Labors und Resultate zur Verfügung, ein besseres Verständnis davon, wie sich die Erde bei veränderten Bedingungen verhält. Auch der Druck der Öffentlichkeit sorgt dafür, dass endlich Lösungen gefunden werden müssen.»

Vierfache Barrieren

Radioaktive Abfälle, die sich nicht mehr recyceln lassen, werden zuerst versiegelt, das heisst in einen chemisch stabilen Glasbehälter eingegossen.

Die Substanzen sind noch sehr aktiv und geben Wärme ab: bis zu 150 Grad – und dies während Jahrhunderten. Bis zur totalen Abkühlung dauert es 10’000 bis 100’000 Jahre. Nichts kann garantieren, dass bis dahin keine radioaktiven Nuklide die Versiegelung durchstossen.

Diese erste Barriere genügt also nicht. Bei der zweiten handelt es sich um einen Stahlcontainer mit Wänden, die mehrere Dutzend Zentimeter dick sind. Aber auch diese sind keine absolute Jahrtausend-Garantie gegen das Entweichen der Radioaktivität.

Nicht vergessen darf man auch mögliche physische Einwirkungen von aussen, vor allem durch Wasser, welches das Metall langfristig korrodieren lassen könnte. Der Fels ist zwar wenig wasserdurchlässig, aber im Interesse ihrer Ur-ur-ur-Grosskinder sehen die Forscher eine weitere Barriere vor.

«Man kann diese Container nicht einfach am Ende eines Tunnels abstellen», sagt Alessio Ferrari. «Es braucht ein Puffermaterial zwischen dem Fels und den Containern. Wir testen Bentonit, ein Gestein aus einer Mischung verschiedener Tonmineralien, das Flüssigkeit in 4 bis 5-fachem Umfang seines ursprünglichen Volumens absorbieren kann. Und wenn es gesättigt ist, ist es dicht.»

Kompetenzzentrum

In den Lokalitäten des Campus testet das LMS die Resistenz von Bentonit und dessen Verhalten bei Hitze, Feuchtigkeit und Druck der Container, die zwischen 8 und 26 Tonnen wiegen werden.

Ein Teil der Forschungsarbeit vollzieht sich im Innern des Grimsel-Massivs und des Mont Terri im Jura, einem Laboratorium, das von einem internationalen Konsortium aus öffentlichen Organisationen und akademischen Instituten geleitet wird und unter der Ägide des Bundesamts für Topologie steht.

Das bedeutet aber keineswegs, dass dieses Tunnelnetz in einer Tiefe von 300 Metern der künftige «nukleare Abfallkübel» der Schweiz sein wird. Jede Lagerung von radioaktiven Abfällen ist dort sogar verboten.

«Aber es gibt diesen Fels, den man hier vorfindet, fast überall in der Schweiz», sagt Alessio Ferrari. Teil des Forschungsauftrags ist auch, das Verhalten des Felsens unter den Bedingungen zu untersuchen, die eine Lagerung der Abfälle mit sich brächten.

Die Arbeiten des LMS werden zum Teil von der Nagra finanziert, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, für die das Lausanner Laboratorium ein Referenzzentrum ist.

Für immer eingesperrt

Aber wie kann man sicher sein, dass alles, was heute getestet wird, auch in einer halben Ewigkeit gültig bleibt?

Ferrari ist sich des Problems bewusst: «Der zeitliche Massstab eines Labors ist höchstens auf ein paar Jahre begrenzt. Was den Fels betrifft, ist es weniger problematisch, weil 10’000 Jahre im Vergleich zum geologischen Massstab nichts sind und wir sehr stabilen Fels auswählen werden. Aber in Bezug auf Bentonit werden wir anhand eines mathematischen Models extrapolieren müssen.»

Wenn möglich unter Ausschluss eines Irrtums. Das Schweizerische Konzept sieht für die radioaktiven Abfälle vor, dass das Lager – wenn es einmal geschlossen ist – nie wieder geöffnet werden soll.

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Nagra

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat von der Eidgenossenschaft und den Verursachern von radioaktiven Abfällen den Auftrag erhalten, Lösungen für eine nachhaltige, dem Menschen und der Umwelt verpflichtete Entsorgung in der Schweiz zu erarbeiten und umzusetzen. Auf längere Sicht muss die Nagra in den tieferen Schichten des Schweizer Untergrunds die Standorte…

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100 Watt – sie reichen aus, eine grosse elektrische Birne zu versorgen – das ist die maximale Leistung von Crocus, dem Experimentier-Reaktor, der hinter 1,3 m dicken Betonmauern im EPFL-Labor für Reaktorphysik und Systemverhalten installiert wurde.

Crocus produziert keinen Strom (er ist nicht mit Turbinen verbunden). Der Mini-Reaktor funktioniert mit schwach angereichertem Uran und stellt automatisch ab, sobald die Kernspaltung in seinem Zentrum eine Leistung von mehr als 100 Watt produziert. Einige Stunden nach der Abschaltung fällt das Radioaktivitäts-Niveau so tief, dass man sich dem Zentrum ohne Schutz und Risiko nähern kann.

Der Reaktor dient der Ausbildung künftiger Nuklear-Ingenieure, welche ihren Studiengang an den beiden ETH von Zürich und Lausanne absolvieren. Gegenwärtig nehmen rund ein Dutzend Studenten am Master-Studiengang teil, die Hälfte von ihnen kommen aus dem Ausland.

Die 5 Atomkraftwerke der Schweiz produzieren zusammen 75 Tonnen hochradioaktiven Abfall pro Jahr. Wenn sie nach einer Betriebszeit von 50 Jahren abgeschaltet werden, wie es vorgesehen ist, werden sich 7300 m3 angehäuft haben, was ungefähr dem Volumen von 7 Familienwohnungen entspricht. Die Dichte des Urans ist so hoch, dass ein Stück dieses Metalls in der Grösse einer Milchpackung ein Gewicht von fast 20 kg hat.

Die Atomkraftwerke produzieren ausserdem 60’000 m3 schwach bis mittelradioaktiven Abfall, die eine Hälfte davon während der Betriebszeit bis 2020-2030, die andere während des Abbaus.

Dazu kommen 33’000 m3 schwacher und mittelradioaktiver Abfall aus Medizin, Industrie und Forschung. Die Schweiz wird also 100’000 m3 Abfall lagern müssen. Dies entspricht der historischen Halle im Hauptbahnhof Zürich.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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