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Das Vertrauen in die Organspende stärken

Lebensretternder Inhalt: Ein Spenderherz im Operationssaal des Kinderspitals Zürich. Keystone

Fast 1200 Personen warten in der Schweiz auf ein Organ, rund 100 sterben jedes Jahr, weil sie keines erhalten. Die Schweiz belegt bei der Organspende einen der hintersten Ränge in Europa. Eine Studie und soziale Medien könnten mithelfen, die Rate zu erhöhen.

Mit der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) initiierten und vom Nationalen Komitee für Organspenden (CNDO) betreuten Studie sollten die Gründe für die niedrige Spenderrate evaluiert werden. Eine Partnerschaft mit Facebook hat gezeigt, dass sich die Leute motivieren lassen, Spenderkarten zu bestellen.

2011 hat das BAG eine landesweite Kampagne durchgeführt, um die Spenderkarten bekannter zu machen. Mit dieser Karte deklarieren die Inhaber, ob ihnen im Todesfall Organe für eine Transplantation entnommen werden dürfen oder nicht.

Aber 2012 hat eine Umfrage der Stiftung für Organspende und Transplantation (Swisstransplant) ergeben, dass nur 50 Prozent der Befragten von der Existenz der Karte wussten.

Seit November 2012 können Facebook-Benutzer in ihrem Profil erklären, dass sie Organspenden unterstützen und sie bei Swisstransplant eine Spenderkarte bestellen.

«Es war unglaublich. Während den ersten zehn Tagen wurde via Facebook jede Minute eine Spenderkarte von unserer Website heruntergeladen. Wir verschickten 10’000 Karten», sagt Franz Immer, Direktor von Swisstransplant, gegenüber swissinfo.ch.

Im Januar hat Swisstransplant die Studie «SwissPOD» (Monitoring of Potential Donors) veröffentlicht, die in Schweizer Intensiv-, Unfall- und Notfallstationen durchgeführt wurde. Ziel der Studie war es, die Zahl der potentiellen Organspender in der Schweiz zu schätzen und die Gründe für die unterschiedlichen Raten in verschiedenen Spitälern und Regionen zu ermitteln.

Die Studie hat ergeben, dass der Prozentsatz der befragten Personen, die es ablehnten, dass Organe von verstorbenen Angehörigen gespendet werden, zwischen 2008 und 2012 auf 52,6 Prozent gestiegen war. In Europa liegt die durchschnittliche Ablehnungsrate bei 30 Prozent.

Die Schweizerische Spenderrate von 12,8 pro Million Einwohner gehört zu den niedrigsten in Europa. Spanien hat mit 35,3 pro Million Einwohner die höchste; in Frankreich (24,8) ist sie doppelt so hoch wie in der Schweiz. Laut der Studie wäre in der Schweiz eine Rate von 36,5 pro Million Einwohner möglich.

2012 wurden weltweit rund 500’000 Nieren, 20’000 Lebern und 3500 Herzen transplantiert.

Fünf Schweizer Universitätsspitäler (Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich) und ein Kantonsspital (St. Gallen) führen Transplantationen durch.

2011 befanden sich die Namen von 1716 Patienten auf einer Warteliste. 504 von ihnen erhielten ein neues Organ.

Zwischen 2005 (683) und 2012 (1165) nahm die Zahl der Personen, die auf eine Organspende warteten, um 71 Prozent zu.

Ein Spender kann potentiell 7 Organe (Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm, zwei Nieren) sowie Blut, Hornhaut, Haut und andere Gewebe und Zellen spenden.

Die grösste Nachfrage besteht für Nieren. Anfang 2012 warteten 813 Personen darauf, 2001 waren es durchschnittlich 514.

Die Funktionsdauer der transplantierten Organe ist sehr unterschiedlich. Statistisch betrachtet halten 16 bis 17 Prozent der Organe 10 Jahre lang.

Die Empfänger können potentiell ein zweites Organ erhalten, wenn das erste versagt. Das geschieht am häufigsten mit Nieren, die durchschnittlich 15 Jahre funktionieren.

Schweizerische Gesetzgebung

In vielen europäischen Ländern müssen die Leute ausdrücklich festhalten, dass sie keine Organe spenden wollen, sonst geht man von einem Einverständnis aus («vermutete Zustimmung»).

In der Schweiz müssen sich die Spendewilligen seit der Revision des Transplantationsgesetzes von 2007 ausdrücklich dazu bereit erklären («explizites Einverständnis»). Es ist den Individuen überlassen, ihre Wünsche bekannt zu machen – indem sie beispielsweise eine Spenderkarte auf sich tragen oder ihre Angehörigen informieren, die anstelle der potentiellen Spender entscheiden können, wenn diese nicht dazu in der Lage sind.

Im Frühling soll die Regierung über einen Wechsel zum Prinzip der vermuteten Zustimmung befinden, und das Parlament wird über vorgeschlagene Änderungen im Transplantationsgesetz debattieren.

Eine der Änderungen würde es den Ärzten erlauben, die Angehörigen zu fragen, bevor die Patienten gestorben sind. Eine weitere Änderung würde Organ rettende Massnahmen am Spender vor dem Eintritt des Todes erlauben.

Dass der Körper eines Patienten funktionstüchtig gehalten wird, um die Organe für eine Spende zu erhalten, hat eine heftige Debatte ausgelöst. In einem Artikel des Konsumenten-Magazins Beobachter von 2012 hat die Patienten-Rechtsanwältin Margrit Kessler dargestellt, wie Ärzte als schwärmende Bienen den Körper eines klinisch toten Patienten reanimieren. «Können wir in solchen Fällen von würdevollem Sterben sprechen?», fragt Kessler.

Trix Heberlein, Präsidentin von Swisstransplant, räumt ein, dass sich die Wiedereinführung der vermuteten Zustimmung kontraproduktiv auswirken könnte, weil sie für mehr Verunsicherung bei Patienten und ihren Familien führe.

«Es ist wichtig für uns, dass keine Entscheide gefällt werden, die dem Willen des Patienten widersprechen», sagt sie.

Medienberichte von Organhandel in China oder wie jüngst über deutsche Ärzte, die Daten manipuliert haben sollen, damit ihre Patienten schneller eine Leber erhielten, haben der Wahrnehmung der Organspende in der Öffentlichkeit geschadet.

Hingerichteten Häftlingen werden in China seit den späten 1980er-Jahren Organe entnommen.

2006 haben zwei Kanadische Anwälte einen Bericht publiziert, in dem sie behaupteten, dass Gefangene – vor allem Mitglieder der Falun-Gong-Bewegung – ausschliesslich als Organspender für chinesische Spitäler am Leben gelassen wurden.

2010 wurden die beiden Kanadier von Swisstransplant und von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte für ihre Arbeit mit einem Preis ausgezeichnet.

Im Dezember 2012 hat die Organisation «Ärzte gegen erzwungene Organentnahme» den Staatschefs der USA und der EU sowie dem UNO-Generalsekretär eine Petition überreicht mit der Bitte, dass diese die chinesische Regierung aufforderten, «die «unmenschliche, unethische Organentnahme bei Mitgliedern der Falun-Gong-Bewegung und andern Gefangenen sofort zu stoppen».

China hat die Anschuldigung mehrmals bestritten, dass lebenden Gefangenen Organe entnommen würden.

2007 hat das Land Gesetze erlassen, die den kommerziellen Handel mit Organen verbieten, und angeordnet, dass Organe hingerichteter Häftlinge nur für deren Familienmitglieder verwendet werden, und dass lebende Personen Teile ihres Körpers nur für Verwandte und «emotional Nahestehende» spenden dürfen.

Gründe für Ablehung weiter unklar

Die Schweizer Studie konnte nicht eruieren, weshalb sich Angehörige gegen eine Organspende entscheiden, aber sie hat gezeigt, dass je früher die Familien damit konfrontiert sind, umso eher waren sie geneigt, eine Organspende abzulehnen.

Für Familien sei es eine schwierige Entscheidung, ob die Organe ihres Angehörigen gespendet werden dürfen oder nicht, sagt Yvan Gasche, Oberarzt an der Intensivstation des Universitätsspitals Genf und Vizepräsident des CNDO.

Manchmal müssen sich die Familien in sehr kurzer Zeit entscheiden. «Es kann sich traumatisierend auswirken, vor allem, wenn ein Entscheid nicht vorher diskutiert worden ist», sagt er.

Unterschiede fand die Studie auch in der Organisation der verschiedenen Spitäler und den sechs Spenderzentren sowie im Bewusstsein, wer als Spender in Betracht gezogen werden kann – vor allem bei kleineren Spitäler.

«Ich glaube, dass an unserem Spital einige Prozesse verbessert werden müssen», sagt Roger Lussmann, Leiter der chirurgischen Intensivstation des Kantonsspitals St. Gallen und Mitglied des CNDO. «Der Leiter der Intensivstation fungiert als Koordinator für Organspenden. Das ist ungenügend», sagt er.

Anspruchsvolle Aufgabe für Ärzte

Das Transplantationsgesetz verpflichtet die Kantone dazu, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um Organspenden und Transplantation zu fördern. Dazu gehört die Ernennung und Schulung des verantwortlichen Personals für die Suche potentieller Organspender.

Um die Spenderrate zu erhöhen, empfiehlt die Studie die Anwendung der bewährten Vorgehensweisen, die Finanzierung von Koordinatoren an den Intensivstationen und das Angebot von Schulungsprogrammen für Ärzte und Pflegefachleute.

Die Ärzte sind von Gesetzeswegen verpflichtet, die Familien für eine Spende zu fragen. Für diese schwierige Aufgabe existiert bereits ein Ausbildungsprogramm für medizinische Fachleute, das Verständnis für den Trauerprozess vermittelt und hilft, die eigene Sichtweise zu überprüfen.

Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Stellungnahme zu Fragen der Organspende gehören zu den Zielen von Swisstransplant. «Für uns, aber auch für die Betroffenen wäre es eine grosse Unterstützung, wenn alle eine Spenderkarte hätten – egal ob sie darauf ihre Einwilligung geben oder nicht», sagt Ivan Gasche vom CNDO. Wichtig sei, dass der Wille der Betroffenen bekannt sei.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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