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Das Weltall ist näher als man denkt

Visualisierung des SOAR-Shuttles von S3. S-3.ch

Die Schweiz könnte bald im Rennen um das Weltall und das lukrative Geschäft des Satelliten-Transports mitmischen, sollte ein ambitiöses Projekt Erfolg haben. Im kleinen Waadtländer Städtchen Payerne wird mit einem wiederverwendbaren Shuttle und ausrangierten Passagierjets experimentiert.

Was einmal ein Möbellager in der Industriezone neben dem Militärflugplatz Payerne war, ist heute ein 2000-Quadratmeter-Gebäude, vollgestopft mit modernster Ausrüstung. Um hineinzukommen, müssen mehrere Schranken passiert werden, dazu gehört auch eine Fingerabdruck-Identifizierung.

Von hier aus will Pascal Jaussi, Chef des Unternehmens «Swiss Space Systems», kurz S3, die Schweiz ins Weltall bringen – zumindest fast.

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swissinfo.ch: Sie arbeiten an einem 22 Meter langen Shuttle, das 14 Tonnen wiegen wird. Wie kommt die Arbeit voran?

Pascal Jaussi: Die Design-Phase des Shuttles mit Namen SOAR (Sub Orbital Re-usable Aircraft) wird Ende 2014 abgeschlossen sein. Danach werden wir die Einzelteile zusammensetzen und testen, wie sie zusammen funktionieren.

Um Zeit und Geld zu sparen, brauchen wir bereits existierende Teile von Partner-Unternehmen, die am europäischen Hermes-Raumschiff arbeiten, sowie Systeme der Rafale- und Falcon-Jets.

Der erste Testflug ist für 2017 geplant, der erste Satelliten-Transport für 2018. Das Shuttle wird in der Lage sein, Satelliten mit einem Gewicht von bis zu 250 Kilogramm in den Orbit zu transportieren.

swissinfo.ch: Warum haben Sie Payerne für das Projekt ausgewählt?

P.J.: Es gibt einen Flugplatz und viele Spezialisten für Fliegerei, Design, Telekommunikation und elektrische Systeme innerhalb von wenigen Dutzend Kilometern. Und die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich (ETH) und Lausanne (EPFL) sind relativ nah.

swissinfo.ch

swissinfo.ch: Das S3-Projekt beinhaltet den Bau eines Raumfahrtzentrums für 50 Millionen Franken. Die Behörden in Payerne begrüssen die Idee, doch braucht es dazu nicht die Bewilligung der Eidgenössischen Regierung?

P.J.: Wenn nicht ein Raumschiff herumsteht, ist es kein Raumfahrtzentrum. Es wird erst zu einem Weltraumbahnhof, wenn Aktivitäten beginnen, die mit dem Weltall zu tun haben.

2015 werden wir einen Hangar neben dem Flugfeld von Payerne gebaut haben, der die beiden zum Shuttle-Transport modifizierten Airbus A300 und das Shuttle aufnehmen soll.

Momentan gibt es in Europa keine Normen, was den Bau von Raumfahrtzentren und andere Aspekte der Raumfahrt-Industrie betrifft. Wir haben mehrere Workshops auf Niveau der Europäischen Kommission belegt, um die Rechtslage für private suborbitale Flüge auszuloten.

Dank unserer Erfahrung mit S3 werden wir mit einbezogen, wenn die Zertifizierungs-Normen entworfen werden sollen. So sollte verhindert werden können, dass jemand grosse Geldbeträge einsetzt und dann keine Flugbewilligung erhalten sollte.

36 Jahre alt, geboren in Wattenwil im Kanton Bern, zweisprachig aufgewachsen (Deutsch/Französisch).

Nach der Ausbildung zum Piloten studierte er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und arbeitete als Flugzeugdesign-Ingenieur. Er gehörte jenem Team an, das den französischen Kampfjet Rafale in der Schweiz testete.

Als er an die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) wechselte, hatte er «das Glück», wie er sagt, den Schweizer Astronauten Claude Nicollier und Anton Ivanov vom Swiss Space Center kennenzulernen.

Um sein «Swiss Space Systems»-Projekt auf eine solide Basis zu stellen, studierte er weiter in Toulouse (Frankreich), wo er am Institut Supérieur de l’Aéronautique et de l’Espace mit einem Master in Systems-Engineering abschloss.

swissinfo.ch: Suborbitale Flüge sind etwas zwischen Fliegerei und Raumfahrt. Was macht diese für Sie interessant und attraktiv?

P.J.: Die Fliegerei ist heute in privaten Händen und ein Geschäft. Die Raumfahrt-Industrie war aber immer eine staatliche Angelegenheit, eine Frage des nationalen Stolzes. Der suborbitale Raum ist irgendwo dazwischen, das heisst, wir können dort als privates Unternehmen operieren.

Wir sind wie die Luftfahrtindustrie an vernünftigen Preisen und der Idee von technischem Support interessiert. Eine Rakete ist, nachdem sie einmal gestartet ist, für immer verloren – man muss sich nicht um den Unterhalt nach einem Flug kümmern. Unser Shuttle aber wird nach einem Transportflug wieder zur Erde zurückkehren. Wiederverwendbare Ausrüstung ist eine echte Revolution in der Raumfahrt-Industrie.

Dank der technischen Entwicklung braucht es daher nicht mehr grosse Infrastrukturen wie Startrampen am Boden. Es reichen ein Flugplatz und ein Pilot, der das Shuttle vom Boden aus fernsteuert. Die Flugzeuge werden auf allen konventionellen Flughäfen landen können und nur für den technischen Service an ihren «Zulassungs-Flughafen» zurückkehren müssen.

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swissinfo.ch: Das S3-Projekt könnte die Schweiz zu einem der am weitesten entwickelten Länder im Raumfahrt-Geschäft machen. Könnten da andere nicht neidisch werden?

P.J.: Sie betrachten die Schweiz in der Rolle eines Schiedsrichters und geben ihr gerne den Ball. Spezialisten aus Frankreich, Belgien, Spanien, Malaysia, Russland, Marokko und Mexiko sind bereits am S3-Projekt beteiligt. Es nutzt einige sehr geheime Entwicklungen, und die Neutralität der Schweiz ist sehr wichtig. Wie auch die schweizerische Tugend, Geheimnisse für sich zu behalten…

Das Gelände in Payerne wurde unter grösster Geheimhaltung ausgebaut. Zimmerleute, Elektriker und Installateure mussten alle eine Vertraulichkeits-Vereinbarung unterschreiben.

Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier witzelte, es erinnere ihn an die geheimen Bauten aus dem Kalten Krieg. Ich testete diesen Witz einmal an einem unserer russischen Ingenieure. Der antwortete, er habe 21 Jahre in einer Stadt gelebt, die nicht einmal auf den Landkarten eingezeichnet gewesen sei.

In unserer Personalabteilung wartet ein ganzer Haufen von Bewerbungen. Das ist gut, denn wir expandieren aktiv: Wir haben mit einem Team von 20 Personen angefangen und werden bald schon hundert Leute sein.

2009-2012: Geburt des Projekts Swiss Space Systems; Partnerschaften werden abgeschlossen, Gebäude in Payerne ausgerüstet

2013: Start des Unternehmens Swiss Space Systems

2014: Entwicklung SOAR-Shuttle abgeschlossen

2015: Eröffnung Raumfahrtzentrum

2016: Zusammenbau des Shuttles abgeschlossen

2017: Erster Testflug des SOAR-Shuttles

2018: Erster Satelliten-Transport

Kosten: 250 Mio. Fr.

Hauptsponsor: Breitling

Ein einzelner Satelliten-Transport wird etwa 10 Mio. Fr. kosten. Heute müssen dafür 40 Mio. Fr. bezahlt werden. Der tiefere Preis könnte besonders für Kunden wie Entwicklungsländer oder Forschungsinstitute interessant sein.

swissinfo.ch: Teilen sie alle Ihren Enthusiasmus?

P.J.: Wir führen das US-System ein, bei dem es keine fixen Arbeitszeiten gibt, so können die Ingenieure ihrer Inspiration folgen. S3 teilt sein Betriebsgebäude mit einem Fitness-Center.

Die Leute merken es nicht, aber ich tue mein Menschenmöglichstes, um sie hierzubehalten und sie so effizient wie möglich einzusetzen: Fixfertige Mittagessen, gratis Getränke an der Bar, Sport… Man kann von acht Uhr morgens bis zehn Uhr nachts am Arbeitsplatz sein.

Für die ausländischen Angestellten haben wir in Payerne einen Wohnblock gemietet. Wir helfen ihnen, sich mit ihren Familien einzuleben. So können beispielsweise Spezialisten aus Russland, Malaysia und anderen Ländern zu uns kommen, um zu lernen, wie mit unseren Flugzeugen umzugehen ist, wenn sie auf anderen Flughäfen landen.

swissinfo.ch: Das tönt und sieht beeindruckend aus. Aber sie haben sicher auch die Möglichkeit eines totalen Misserfolgs bedacht?

P.J.: Als wir unsere Partner aus der Raumfahrt-Industrie von der Mitarbeit überzeugt hatten, haben wir alles im Detail diskutiert. Die Europäische Weltraumorganisation ESA, Dassault Aviation, die Meggitt Engineering Group und ähnliche Organisationen können es sich nicht leisten, bei etwas mitzumachen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

Wenn etwas das Projekt zu Fall gebracht haben könnte, hätte das bis Anfang 2013 geschehen sollen. Heute sind wir en einem Punkt angelangt, an dem es keine Rückkehr mehr gibt.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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