Der Mensch wird auf den Mars fliegen, aber nicht morgen
Elena Kondakova hat fünf Monate im All verbracht, Charlie Duke spazierte auf dem Mond und Claude Nicollier ist der einzige Schweizer Astronaut. In Bern haben diese drei Abenteurer Bilanz gezogen über die Perspektive, eines Tages auf den Mars zu gelangen. Aufregende, aber schwierige und gefährliche Aussichten, die noch in weiter Ferne liegen.
Auf den Mars fliegen – wozu soll das gut sein? Abgesehen von einer Befriedigung der menschlichen Neugierde sieht Claude Nicollier dafür mindestens drei gute Gründe: «eine faszinierende Welt zu verstehen, zu lernen, anderswo zu leben mit lokalen Ressourcen, sowie die Möglichkeit, eine weit entfernte Zukunft zu erforschen».
Die Menschheit «wird nicht ewig in ihrer Wiege leben können», hatte Mario el-Khoury, Direktor des Schweizer Zentrums für Elektronik und Mikrotechnik (CSEM) zum Auftakt von «Mars Event» gesagt. Die Veranstaltung fand am 9. April anlässlich des 30-jährigen Bestehens dieser Institution statt. Vor 250 geladenen Gästen aus Industrie, Akademie und Politik hatte das CSEM, das regelmässig auch für die Raumfahrt tätig ist, sich dazu entschieden, den Roten Planeten zu ehren.
Allerdings steht der Mars bei den Weltraumagenturen nicht zuoberst auf der Agenda. 2004 hatte US-Präsident George W. Bush versprochen, auf den Mond zurückzukehren, bevor man den Mars in Angriff nehme. Sein Nachfolger Barack Obama aber hatte 2010 das Projekt für den Moment als zu teuer für die NASA aufgegeben. Heute hat die amerikanische Weltraumagentur den Mars auf die hinteren Ränge verbannt, auch wenn sie weiterhin nach Lösungen für zahlreiche technische und menschliche Herausforderungen sucht, die eine solche Reise mit sich bringt.
Auch die Russen bleiben nicht untätig. Elena Kondakova gab in Bern ihrer Hoffnung Ausdruck, dass ihr Land sich eines Tages zusammen mit den Europäern diesem Projekt widmen würde. Zur Unterstützung dieser Hoffnung sagte Franco Ongaro, technischer Leiter der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), dass man aus technischer Sicht «weit näher an einer Mars-Mission ist, als die Leute das denken». Was noch fehle, seien vor allem «der Wille und das Geld».
Die Schweiz ist Gründungsmitglied der ESA (Europäische Weltraumagentur)und hat bis 2015 zusammen mit Luxemburg die Präsidentschaft inne. Sie nahm seit 1975 an fast allen Missionen teil. Ihr jährlicher Beitrag beträgt 150 Mio. Franken
Dadurch fliessen einerseits Gelder in die Forschung und ermöglichen Schweizer Wissenschaftlern die Teilnahme an bedeutenden ESA-Missionen, andererseits profitiert die Industrie als Zulieferer der Forschung oder direkt durch Aufträge, welche von der ESA vergeben werden. Insgesamt beträgt der Jahresumsatz des Schweizer Raumfahrtsektors, der 800 Personen beschäftigt und auch für die Amerikaner und die Russen tätig ist, 200 Millionen.
Die Schweizer Raumfahrtindustrie gehört zu den führenden weltweit bei der Herstellung von Hauben, welche beim Start der Raketen die Satelliten schützen. Sie stellt auch Fahrgestelle für unbemannte Versorgungsfahrzeuge ATV her, welche die internationale Raumfahrtstation versorgen, aber auch Geräte zur Beförderung am Boden, Motoren für die amerikanischen Rover, die auf der Mars-Oberfläche unterwegs sind, und vieles mehr.
Abgeschottet – unter tödlichen Strahlen
Gemäss Flugplan würde eine Mission zum Mars zwischen 640 und 910 Tage dauern, Aufenthalt auf dem Planeten inbegriffen. Abgekapselt auf engstem Raum und dem Stress und den Gefahren dieser Reise ausgesetzt, ist es wichtig, dass sich die Astronauten gut verstehen und unter allen Umständen gelassen bleiben können. Elene Kondakova, die als erste Frau längere Zeit (168 Tage auf der Station Mir von 1994-1995) im All verbracht hatte, sieht darin das Hauptproblem einer solchen Mission.
«Wenn ein Konflikt ausbricht, kann man nicht einfach die Türe zuknallen und draussen einen Spaziergang machen. Auch wenn die Frauen und Männer nicht vor 2030 Richtung Mars aufbrechen, tun sie gut daran, bereits jetzt mit der Zusammenarbeit zu beginnen», betonte die russische Astronautin.
Charlie Duke gehört zu den 12 einzigen Menschen, die bisher unseren Satelliten betreten haben. Mit seinen Kollegen des Apollo-Programms gehört er auch zu den wenigen Leuten, die über den Van-Allen-Strahlengürtel hinaus geflogen sind. Dieser Gürtel schützt die Erde und ihre Umgebung vor schädlichen Strahlen von Sonne und Sternen.
Während seiner zehntägigen Reise zum Mond hat er wohl kaum mehr Strahlen hinnehmen müssen als ein Patient, der sich röntgen lässt. Er wusste aber wie alle Astronauten, dass eine unvorhergesehene starke Sonnenaktivität eine wohl tödliche Krebserkrankung bedeutet hätte.
Bei einer Reise zum Mars könnten diese kosmischen Strahlen ein echtes Problem werden, ebenso bei einem Aufenthalt auf dem Roten Planeten selber, da dieser keinen Van-Allen-Gürtel hat. Daher rührt die Idee, eine mit Blei gepanzerte Kabine zu bauen, in welche sich die Astronauten im Fall eines Strahlenhochs zurückziehen könnten. Das ganze Raumschiff kann man aber unmöglich schützen, da es zu schwer würde. Und das Gewicht ist eine der wichtigsten Beschränkungen, wenn nicht gar die wichtigste, bei Weltraumexpeditionen.
Die niederländische Gesellschaft Mars One, zu deren Förderern Paul Römer, der Miterfinder der Big-Brother-Show gehört, will im Jahr 2023 Menschen zum Mars schicken und das Ganze als Reality-Show im TV ausstrahlen. Mehr als 200’000 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich in einer ersten Runde zwischen April und August 2013 bereits eingeschrieben. Mars One hat in einer ersten Auswahl 1058 auserwählt, darunter fünf Schweizer. Im Finale einer Fernsehserie, die über mehrere Jahre laufen soll, wird das Publikum die Siedler des Roten Planeten bestimmen.
Der Plan: Ab 2016 sollen sechs unbemannte Raumschiffe Richtung Mars aufbrechen und alles Nötige für die künftige Basis transportieren. 2023 sollen dann die ersten vier Personen folgen, 2029 eine weitere Gruppe, dann alle zwei Jahre eine weitere. Diese Marsmission soll insgesamt sechs Milliarden Dollar kosten und vollumfänglich durch die TV-Rechte finanziert werden. Die Reise ist ohne Rückkehr geplant. Ziel ist es nicht, den Mars zu besuchen, sondern sich dort niederzulassen und zu leben.
Ja aber… Auch wenn das Projekt beim Publikum eine riesige Begeisterung ausgelöst hat, bleiben die Fachleute eher skeptisch. Die Lösungen, welche Mars One als bereits vorhanden ankündigt, wurden für diese Distanz weder konzipiert noch getestet. Hinzu kommt, dass ein Überleben in einem solch feindlichen Umfeld voraussetzt, dass Wasser und Sauerstoff dem Boden entnommen werden kann, mit Hilfe einer Technik, die sich lediglich im Experimentier-Stadium befindet. Hinzukommen noch die psychischen Belastungen und der Schutz vor kosmischer Strahlung, für welchen Mars One den Staub der Erde benutzen will.
312 für 1
Gemäss Berechnungen der NASA wären rund 80 Tonnen Material erforderlich (Raumschiff für Hin- und Rückfahrt, Wohnmodule, Vorräte, Treibstoff), um Aufenthalt und Rückflug der Astronauten abzusichern. Da das Gewicht einer Trägerrakete zu mehr als 90% aus Treibstoff besteht, damit sie sich von der Erdanziehung losreissen kann, braucht es für den Hinweg nicht weniger als 25’000 Tonnen. Mit anderen Worten: nötig sind beim Start auf der Erde 312 Kilo, um mit einem Kilo auf dem Mars anzukommen.
Selbstverständlich hat noch nie jemand eine 25’000-Tonnen-Trägerrakete vorgestellt, geschweige denn konstruiert. Die Saturn V-Rakete des Apollo-Programms wog 3000 Tonnen, etwas weniger als die Ares V, die für neue Mondmissionen vorgesehen waren, von denen Präsident Bush träumte. Es müssten also mehr als sieben dieser Riesenraketen losgeschickt werden, um in der Umlaufbahn ein Raumschiff für den Mars zu montieren…ausser dass die Ares V nur auf dem Papier besteht.
Nehmen wir dennoch an, dass es der NASA, ja sogar den Russen und Europäern, oder gar allen dreien (warum nicht?) gelingt, ihr Budget zusammenzulegen. Mit einer gewissen Kühnheit könnte man sich auch eine Zusammenarbeit mit China ausmalen (das zwar eher zum Alleingang neigt) und stellen wir uns den Start in Richtung Mars vor…
Nebst all den bereits erwähnten Problemen stellt sich jenes der Landung. Die Atmosphäre des Roten Planeten ist 100 Mal dünner als jene der Erde. Fallschirme sind also nicht von grossem Nutzen. Vorstellbar wären Airbags, um den Schock abzufedern, aber um sanft zu landen, bräuchte es auf jeden Fall Bremsraketen. Und mehr Treibstoff, also mehr Gewicht.
Flug zum Mars, als ob man dabei wäre
Let’s go!
Insofern ist der Erfolg nicht garantiert. Seit den 1960er-Jahren liegt die Erfolgsrate bei Marsmissionen (Überflüge, Eintritte in Umlaufbahn, Landungen) bei unter 50%. Von 15 Sonden, die auf dem Mars landeten, bestanden lediglich 10 aus einem Stück. Die schwerste, der amerikanische Mars-Rover Curiosity, wog weniger als eine Tonne. Nun würde aber die kleinste Kapsel für Menschen dutzende Tonnen wiegen.
Wenn die Astronauten landen, werden sie eine Wüste aus Steinen und Felsen vorfinden, bei einer Temperatur, die nachts auf -130° sinkt und tagsüber +10° erreicht, Sandstürme können sich über den ganzen Planeten ausbreiten, die Atmosphäre würde jeden umbringen, der sich ohne Astronautenanzug dorthin verirrt, und die Schwerkraft ist drei Mal geringer als auf der Erde. Auf dem Roten Planeten befinden sich nicht nur die höchsten Vulkane des Sonnensystems, sondern auch sehr alte Flussbette und 7 km tiefe Schluchten – offensichtliche Spuren von Wasser, das hier in Hülle und Fülle durchfloss.
«Eines Tages, ob 2020 oder 2030 oder irgendwann sonst in diesem Jahrhundert, wird der Mensch auf dem Mars landen und sich dort niederlassen.» Mit 69 Jahren weiss Claude Nicollier, dass nicht er dieser Mann sein wird. Und dennoch: wenn er morgen abheben könnte, würde er es tun. Genau wie Elena Kondakova (57) und der Veteran Charlie Duke (79). Trotz aller Risiken. Der Erforschungsdrang kommt vor allem.
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
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