«Der schwierigste Entscheid, den ich je getroffen habe»
Für den Schweizer Piloten André Borschberg war der Rekordflug der Solar Impulse 2 von Japan nach Hawaii die Möglichkeit, seinen Kindheitstraum einer Pioniertat in der Luftfahrt umzusetzen – und der Flug war fantastischer, als er je erwartet hatte.
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Da sie sich nicht damit zufrieden geben wollte, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, studierte Susan in Boston Journalismus, um die perfekte Entschuldigung zu haben, sich in andere Leute und deren Welt hinein zu versetzen. Wenn sie nicht schreibt, präsentiert und produziert sie Podcasts und Videos.
Borschberg hatte darauf gedrängt, gleich nach dem Testflug über Japan in Nagoya zum fünftägigen Langstreckenflug nach Hawaii aufzubrechen. Ein Entscheid, der unter den Mitgliedern des Teams der Solar Impulse heiss debattiert wurde.
swissinfo.ch: Warum beharrten Sie darauf, statt eine Pause zwischen den Flügen einzulegen, direkt nach Hawaii zu fliegen?
André Borschberg: Es gab so viele Einschränkungen, als wir in Japan herumgeflogen sind, dass dies der einzige Weg war, den Hauptflug direkt anschliessend an den Testflug zu hängen. Einige der Systeme funktionierten nicht, und die Ingenieure sagten, wir könnten unmöglich losfliegen. Und natürlich war da Bertrand (Piccard) auf der einen Seite, ich auf der anderen im Cockpit, während wir die Situation einschätzten – den Zustand des Flugzeugs, das Wetterfenster und meine Fähigkeit, mit der Situation umgehen zu können.
Ich entschied, dass ich losfliegen konnte. Ich dachte, das Risiko sei in Ordnung und ich könne mit diesen Unzulänglichkeiten umgehen. Doch es war ein sehr schwieriger Entscheid, denn die Stimmung war äusserst emotional. Du stellst Dich gegen das Team, bist aber ein Teil des Teams – das ist nicht einfach.
Ich sagte schlicht, der Entscheid sei in meiner Verantwortung, nicht in jener der Ingenieure. Doch ich wollte auch wissen, ob ich auf ihr Engagement und ihre Hilfe zählen kann, mich zu unterstützen –sie gaben mir ihr Wort, einer nach dem anderen. Doch in ihren Stimmen konnte ich hören, dass eine grosse Anspannung im Team herrschte; es war recht schwierig. Ich vermute, dies war der schwierigste Entscheid, den ich je habe treffen müssen.
swissinfo.ch: Während Teilen der Live-Übertragung tönten die Ingenieure angespannt. Fühlten Sie sich unterwegs irgendeinmal in Gefahr, oder hatten sie Angst?
A.B.: Wir belasteten die Batterien viel stärker als bei einem normalen Flug, wo wir bis auf 8500 Meter aufsteigen. Wir führten die beiden Flüge einen nach dem anderen durch. Für den Testflug musste ich wirklich schnell auf eine hohe Flughöhe aufsteigen, und sofort wieder hinunter. Dann startete ich gleich zum normalen Flug.
Am zweiten und dritten Tag dieses Fluges waren die Batterien viel wärmer als erwartet, das hörte man (in der Live-Übertragung). Natürlich hatten wir Bedenken, aber nein, ich war nicht tief besorgt darüber. Es veränderte die Art, wie ich mich ausruhen konnte und wie ich fliegen musste. Das war etwas, was ich zusätzlich leisten musste. Doch, ich war zuversichtlich, dass wir es schaffen würden.
swissinfo.ch: Sie hatten dort oben absolut keine Privatsphäre. Alle wussten immer, wann sie essen, schlafen, Yogaübungen machten und die Toilette benutzten. Wie war es für Sie, rund um die Uhr so genau beobachtet zu werden?
A.B.: Man vergisst es, und ich habe es vergessen. Manchmal sagte ich mir: «Oh, diese Leute schauen mir zu!» (lacht). Das Cockpit ist sehr klein. Man muss sehr vorsichtig sein, sehr aufmerksam, und man muss alle Bewegungen sehr langsam und ruhig machen. Du musst vorher wissen, was Du tun willst, und Dich organisieren.
Das trifft zu, wenn man seine Mahlzeiten zubereitet und Kleider wechselt, und noch viel mehr, wenn man auf die Toilette muss. Ich bin 1,90 Meter gross, Sie können sich eine Person in einem Raum von 3,8 Kubikmetern vorstellen, mit dicken Kleidern, Kabeln, Röhren und so weiter. Also muss alles sehr ruhig erledigt werden.
Man kommt langsam in eine Zen-Haltung hinein, weil man etwas nur gut machen kann, wenn man sich voll darauf konzentriert. Du erhöhst Dein Bewusstseinsgefühl ungemein, es wird zu einem sehr bewussten Leben und Handeln und Sein. Das war fantastisch! Es war das erste Mal, dass ich dies so tief erleben konnte. Ich lebte die ganze Zeit in der Gegenwart. Also vergisst Du die Kamera und all das, und bist ganz einfach nur in Deiner Umgebung.
swissinfo.ch: Hatten Sie trotz all der Yogaübungen keine Rückenschmerzen? Oder wurden Ihre Beine steif? Hatten Sie irgendwelche Schmerzen?
A.B.: Ich bin sicher, Sie werden mir das nicht glauben, aber nein, ich fühlte mich gut. Auch mein Arzt glaubt mir nicht. Ich machte Yoga so oft ich konnte; jeden Morgen machte ich eine lange Übungsabfolge, dann versuchte ich über den Tag hindurch, verschiedene Übungen und Bewegungen zu machen.
Natürlich konnte ich nicht alle Yogapositionen oder einen «Sonnengruss» (Positionsabfolge) machen, denn ich konnte ja nicht aufstehen. Doch ich konnte sitzend und liegend Yoga machen, das hat mir sehr geholfen. Wenn man Yoga macht, lernt man, sich ganzheitlich wahrzunehmen: den Körper, den Geist, die Haltung. Und wenn man gestresst ist, ist es eine gute Art, sich vom Stress zu lösen, die Art und Weise zu analysieren, wie man reagiert, und sich zu beruhigen. Dies hat mir geholfen, die richtige Einstellung zu bewahren und mich von Situationen wie jener der Batterien (Überhitzung) nicht emotional treffen zu lassen, sondern damit bestmöglich umzugehen.
swissinfo.ch: Wie war der fünftägige Nonstop-Flug im Vergleich zu Ihren Erwartungen?
A.B.: Es war sogar besser, als ich erwartet hatte, aber «besser» ist eigentlich nicht das richtige Wort. Es war reicher, fantastischer, extrem speziell.
Als ich die letzte Nacht geflogen bin, zählte ich die Stunden und Minuten, nicht etwa, weil ich müde war oder unbedingt landen wollte. Nein, ich versuchte, jeden Moment zu geniessen, denn ich wusste, dies würde das letzte Mal sein, dass ich für einen dieser speziellen (Übersee-) Flüge im Cockpit sein würde.
Und dieser spezielle Flug bedeutete mir so viel. Es war etwas, woran ich während der letzten zwölf Jahre gedacht hatte, und vermutlich träumte ich auch als Kind von diesen Pionieren, die Luftfahrtgeschichte geschrieben hatten. Selber in einer solchen Situation zu sein, etwas von dem zu erleben, was einige von diesen Pionieren erlebt haben, war wunderbar.
swissinfo.ch: Was machten Sie nach der Landung als Erstes?
A.B.: Ich nahm meine Familie in die Arme, denn als ich Japan verlassen hatte, waren meine Gedanken bei ihnen, weil ich wusste, dass sie gehört hatten, dass der Flieger nicht richtig funktionierte. Ich war sicher, dass sie sich grosse Sorgen machten. Deshalb war ich sehr glücklich, meine Frau und Kinder wieder zu sehen.
swissinfo.ch: Und Hawaii hat sie anscheinend auch mit offenen Armen empfangen…
A.B.: Absolut! Der Zwischenstopp in Hawaii ist eine gute Chance, denn wir haben den Vorteil eines guten Hangars. Das bedeutet, das Flugzeug ist gut geschützt, und wir können es für nächstes Jahr vorbereiten. Es ist ein sehr ungezwungener Flughafen, weshalb er ideal für den Testflug ist. Und wenn das Flugzeug bereit ist, werden wir in Richtung Kontinent aufbrechen. Die Ausgangslage ist also optimal.
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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Solar Impulse ist nicht das Flugzeug der Zukunft und will es auch nicht sein. Getreu seinem Namen soll das Abenteuer von Bertrand Piccard und André Borschberg wissenschaftliche und technologische Impulse setzen. Die Resultate aber sind nicht zwingend jene, die man erwartet.
Es hat die Spannweite einer Boeing 747, das Gewicht eines Autos und die Leistung eines Motorrollers: Solar Impulse kann nur abheben, wenn es das Wetter erlaubt und seine Höchstgeschwindigkeit beträgt lediglich 90 Kilometer in der Stunde. Die Fluggesellschaften, die jährlich mehr als 5 Milliarden Menschen mit der zehnfachen Geschwindigkeit transportieren, sind nicht bereit, ihre Flotten auf Solarenergie umzustellen, auch wenn heutige Flugzeuge jede Sekunde mehr als 11'500 Liter Kerosin verbrennen.
Der Initiant Bertrand Piccard hat bei der Vorstellung des Projekts im Jahr 2003 gesagt und sagt es immer noch: "Das Ziel ist es, ein starkes Symbol zu entwickeln, das in der Lage ist, den Pioniergeist und die erneuerbaren Energien zu fördern."
An die Grenzen gehen
Innovation und Technologie sind Begriffe, die eng mit den Hochschulen verbunden sind. Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) ist mit dem Projekt von Beginn weg eine enge Partnerschaft eingegangen. "Ein solches Projekt stimuliert die Forschung und bringt die Menschen dazu, an die Grenzen zu gehen, um Dinge zu entwickeln, die bisher nicht existierten", sag Pascal Vuilliomenet von der EPFL. "Es ermöglich den Lehrern, Assistenten und Studenten aus verschiedenen Labors zusammenzuarbeiten. Und es zieht neue Studenten an, zum Beispiel auch solche, die noch nicht wissen, ob sie beispielsweise Materialingenieur studieren wollen. Hier können wir die Arbeit eines Materialingenieurs an konkreten Beispielen erklären."
Die Anforderungen an die Materialien zum Bau von Solar Impulse waren hoch. Das Flugzeug muss gleichzeitig leicht, verwindungsarm und stabil sein. In der Nähe des EPFL-Campus befinden sich zwei führende Unternehmen für Verbundwerkstoffe. Nord TPT fertigte das Grundmaterial aus Kohlefaser und einem Harzgemisch und die Decision SA fertigte die Strukturen. "Zwei unserer Labors haben an der Optimierung der Materialien gearbeitet", sagt Vuilliomenet. "Es ist ein wenig wie in der Küche. Je nachdem muss für eine gewisse Zeit mit einer gewissen Temperatur und mit einem bestimmten Druck gekocht werden. Am Schluss war die Struktur von Solar Impulse leichter und stärker, als das üblicherweise Produzierte. Die beiden Unternehmen können nun die erworbenen Kenntnisse beim Bau von Schiffen oder Satelliten verwenden."
Maximale Leistung
Die auf den Flügeln installierten17'248 Solarzellen sind an sich nichts Revolutionäres, doch auch sie müssen so leicht wie möglich sein. Statt unter Glasplatten wurden sie unter einem neu entwickelten, leichten Kunststoff verbaut, der von der belgischen Firma Solvay entwickelt wurde. Auch hier kann das gewonnene Wissen in andern Bereichen weiter verwendet werden. Solvay hat auch neue Batteriekomponenten entwickelt, welche die Speicherkapazität bei gleichzeitiger Gewichtseinsparung von 2% um 10% erhöht.
Die andere Solar-Umrundung
Eine Weltreise mit Solarenergie? Vor Piccard und Borschberg haben das bereits andere Schweizer geschafft: das Planet Solar-Team. Statt in der Luft umrundeten sie die Erde auf dem Wasser. Zwischen dem 27. September 2010 und dem 4. Mai 2012 absolvierte das Schiff seine Reise von mehr als 60'000 Kilometern. Seither dient das Schiff als wissenschaftliche Plattform und als Instrument für die Promotion erneuerbarer Energien.
"Ein wesentlicher Unterschied zu Solar Impulse ist, dass das Flugzeug vollständig aus dem Labor stammt und all seine Bestandteile aufwendig entwickelt worden sind. Für das Boot hingegen haben wir lediglich die vorhandenen Komponenten sorgfältig ausgewählt, um zu zeigen, dass der Markt in der Lage ist , ausgereifte und finanziell erschwingliche Produkte anzubieten", sagt Pascal Goulpié, Direktor und Mitbegründer von Planet Solar.
Beide Ansätze ergänzen sich. "Wir arbeiten beide an der Förderung der erneuerbaren Energien und auch unsere Boot stellt nicht die Zukunft der Schifffahrt dar", sagt Goulpié. "Es gibt viele Orte auf der Welt, die sich für Sonnenergie eignen. Die Zukunft besteht für mich aus einer Kombination verschiedener Energiequellen: Sonne und Wind, aber vielleicht auch aus einem fossilen Brennstoff."
Eine Herausforderung war es auch, die begrenzte Leistung möglichst effizient umzusetzen. Die Firma Etel aus Neuenburg hat zusammen mit der EPFL den Energiefluss zwischen den Batterien und den Motoren soweit optimiert, dass 96% der Energie zu den Motoren fliesst. Laut Pascal Vuilliomenet ist das ein Rekord.
Natürlich beträgt der Leistungsgewinn gegenüber herkömmlichen Elektromotoren lediglich ein paar Prozentpunkte, aber "ohne das Projekt hätten wir nicht die Zeit und die Ressourcen gehabt, um diesen Gewinn zu erzielen, "sagt Vuilliomenet. "Auch wenn er klein ist, haben wir neue Erkenntnisse gewonnen, die auch über die Luftfahrt hinaus angewendet werden und damit eine Breitenwirkung haben können." So hat der Aufzugshersteller Schindler einen Solar-Aufzug entwickelt, dessen Energiemanagement sich direkt von Solar Impulse ableitet.
Überwachung des Piloten
Im Cockpit gilt die besondere Aufmerksamkeit dem Piloten, der auf den längsten Etappen während Tagen und Nächten wach blieben muss und lediglich während festgelegten Zeiten höchsten 20 Minuten am Stück schlafen darf. "Sensoren messen Atmung, Herzfrequenzen, Hirnaktivitäten und Kameras überwachen Augen- und Kinnmuskelbewegungen", sagt Emmanuel Barraud, Sprecher der EPFL. "Wir haben dafür einen Computer entwickelt, der sehr leicht ist und mit einem sehr geringen Stromverbrauch auskommt."
"Wenn der Pilot mit den Augen zwinkert, kann er das wegen der Sonne oder der Trockenheit tun, wenn er jedoch das Kinn entspannt und sein Herz langsamer schlägt, dann ist sicher, dass er eingeschlafen ist. Dann löst die Maschine den Alarm aus. Diese Technologie könnte auch für Autos verwendet werden", so Emmanuel Barraud.
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