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«Der schwierigste Entscheid, den ich je getroffen habe»

André Borschberg: "Das Cockpit ist sehr klein. Du musst vorher wissen, was Du tun willst, und Dich organisieren." Keystone

Für den Schweizer Piloten André Borschberg war der Rekordflug der Solar Impulse 2 von Japan nach Hawaii die Möglichkeit, seinen Kindheitstraum einer Pioniertat in der Luftfahrt umzusetzen – und der Flug war fantastischer, als er je erwartet hatte.

Borschberg hatte darauf gedrängt, gleich nach dem Testflug über Japan in Nagoya zum fünftägigen Langstreckenflug nach Hawaii aufzubrechen. Ein Entscheid, der unter den Mitgliedern des Teams der Solar Impulse heiss debattiert wurde.

swissinfo.ch: Warum beharrten Sie darauf, statt eine Pause zwischen den Flügen einzulegen, direkt nach Hawaii zu fliegen?

André Borschberg: Es gab so viele Einschränkungen, als wir in Japan herumgeflogen sind, dass dies der einzige Weg war, den Hauptflug direkt anschliessend an den Testflug zu hängen. Einige der Systeme funktionierten nicht, und die Ingenieure sagten, wir könnten unmöglich losfliegen. Und natürlich war da Bertrand (Piccard) auf der einen Seite, ich auf der anderen im Cockpit, während wir die Situation einschätzten – den Zustand des Flugzeugs, das Wetterfenster und meine Fähigkeit, mit der Situation umgehen zu können.

Ich entschied, dass ich losfliegen konnte. Ich dachte, das Risiko sei in Ordnung und ich könne mit diesen Unzulänglichkeiten umgehen. Doch es war ein sehr schwieriger Entscheid, denn die Stimmung war äusserst emotional. Du stellst Dich gegen das Team, bist aber ein Teil des Teams – das ist nicht einfach.

Ich sagte schlicht, der Entscheid sei in meiner Verantwortung, nicht in jener der Ingenieure. Doch ich wollte auch wissen, ob ich auf ihr Engagement und ihre Hilfe zählen kann, mich zu unterstützen –sie gaben mir ihr Wort, einer nach dem anderen. Doch in ihren Stimmen konnte ich hören, dass eine grosse Anspannung im Team herrschte; es war recht schwierig. Ich vermute, dies war der schwierigste Entscheid, den ich je habe treffen müssen.

swissinfo.ch: Während Teilen der Live-Übertragung tönten die Ingenieure angespannt. Fühlten Sie sich unterwegs irgendeinmal in Gefahr, oder hatten sie Angst?

A.B.: Wir belasteten die Batterien viel stärker als bei einem normalen Flug, wo wir bis auf 8500 Meter aufsteigen. Wir führten die beiden Flüge einen nach dem anderen durch. Für den Testflug musste ich wirklich schnell auf eine hohe Flughöhe aufsteigen, und sofort wieder hinunter. Dann startete ich gleich zum normalen Flug.

Am zweiten und dritten Tag dieses Fluges waren die Batterien viel wärmer als erwartet, das hörte man (in der Live-Übertragung). Natürlich hatten wir Bedenken, aber nein, ich war nicht tief besorgt darüber. Es veränderte die Art, wie ich mich ausruhen konnte und wie ich fliegen musste. Das war etwas, was ich zusätzlich leisten musste. Doch, ich war zuversichtlich, dass wir es schaffen würden.

swissinfo.ch: Sie hatten dort oben absolut keine Privatsphäre. Alle wussten immer, wann sie essen, schlafen, Yogaübungen machten und die Toilette benutzten. Wie war es für Sie, rund um die Uhr so genau beobachtet zu werden?

A.B.: Man vergisst es, und ich habe es vergessen. Manchmal sagte ich mir: «Oh, diese Leute schauen mir zu!» (lacht). Das Cockpit ist sehr klein. Man muss sehr vorsichtig sein, sehr aufmerksam, und man muss alle Bewegungen sehr langsam und ruhig machen. Du musst vorher wissen, was Du tun willst, und Dich organisieren.

Das trifft zu, wenn man seine Mahlzeiten zubereitet und Kleider wechselt, und noch viel mehr, wenn man auf die Toilette muss. Ich bin 1,90 Meter gross, Sie können sich eine Person in einem Raum von 3,8 Kubikmetern vorstellen, mit dicken Kleidern, Kabeln, Röhren und so weiter. Also muss alles sehr ruhig erledigt werden.

Man kommt langsam in eine Zen-Haltung hinein, weil man etwas nur gut machen kann, wenn man sich voll darauf konzentriert. Du erhöhst Dein Bewusstseinsgefühl ungemein, es wird zu einem sehr bewussten Leben und Handeln und Sein. Das war fantastisch! Es war das erste Mal, dass ich dies so tief erleben konnte. Ich lebte die ganze Zeit in der Gegenwart. Also vergisst Du die Kamera und all das, und bist ganz einfach nur in Deiner Umgebung.

swissinfo.ch: Hatten Sie trotz all der Yogaübungen keine Rückenschmerzen? Oder wurden Ihre Beine steif? Hatten Sie irgendwelche Schmerzen?

A.B.: Ich bin sicher, Sie werden mir das nicht glauben, aber nein, ich fühlte mich gut. Auch mein Arzt glaubt mir nicht. Ich machte Yoga so oft ich konnte; jeden Morgen machte ich eine lange Übungsabfolge, dann versuchte ich über den Tag hindurch, verschiedene Übungen und Bewegungen zu machen.

Natürlich konnte ich nicht alle Yogapositionen oder einen «Sonnengruss» (Positionsabfolge) machen, denn ich konnte ja nicht aufstehen. Doch ich konnte sitzend und liegend Yoga machen, das hat mir sehr geholfen. Wenn man Yoga macht, lernt man, sich ganzheitlich wahrzunehmen: den Körper, den Geist, die Haltung. Und wenn man gestresst ist, ist es eine gute Art, sich vom Stress zu lösen, die Art und Weise zu analysieren, wie man reagiert, und sich zu beruhigen. Dies hat mir geholfen, die richtige Einstellung zu bewahren und mich von Situationen wie jener der Batterien (Überhitzung) nicht emotional treffen zu lassen, sondern damit bestmöglich umzugehen.

swissinfo.ch: Wie war der fünftägige Nonstop-Flug im Vergleich zu Ihren Erwartungen?

A.B.: Es war sogar besser, als ich erwartet hatte, aber «besser» ist eigentlich nicht das richtige Wort. Es war reicher, fantastischer, extrem speziell.

Als ich die letzte Nacht geflogen bin, zählte ich die Stunden und Minuten, nicht etwa, weil ich müde war oder unbedingt landen wollte. Nein, ich versuchte, jeden Moment zu geniessen, denn ich wusste, dies würde das letzte Mal sein, dass ich für einen dieser speziellen (Übersee-) Flüge im Cockpit sein würde.

Und dieser spezielle Flug bedeutete mir so viel. Es war etwas, woran ich während der letzten zwölf Jahre gedacht hatte, und vermutlich träumte ich auch als Kind von diesen Pionieren, die Luftfahrtgeschichte geschrieben hatten. Selber in einer solchen Situation zu sein, etwas von dem zu erleben, was einige von diesen Pionieren erlebt haben, war wunderbar.

swissinfo.ch: Was machten Sie nach der Landung als Erstes?

A.B.: Ich nahm meine Familie in die Arme, denn als ich Japan verlassen hatte, waren meine Gedanken bei ihnen, weil ich wusste, dass sie gehört hatten, dass der Flieger nicht richtig funktionierte. Ich war sicher, dass sie sich grosse Sorgen machten. Deshalb war ich sehr glücklich, meine Frau und Kinder wieder zu sehen.

swissinfo.ch: Und Hawaii hat sie anscheinend auch mit offenen Armen empfangen…

A.B.: Absolut! Der Zwischenstopp in Hawaii ist eine gute Chance, denn wir haben den Vorteil eines guten Hangars. Das bedeutet, das Flugzeug ist gut geschützt, und wir können es für nächstes Jahr vorbereiten. Es ist ein sehr ungezwungener Flughafen, weshalb er ideal für den Testflug ist. Und wenn das Flugzeug bereit ist, werden wir in Richtung Kontinent aufbrechen. Die Ausgangslage ist also optimal.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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