Desertec – ein grünes Europa dank Sonnenkraft
Der schweizerisch-schwedische Industriekonzern ABB ist eines von 12 Unternehmen, welche das Wüstenstrom-Projekt Desertec gegründet haben. Das 400-Milliarden-Euro-Projekt soll den Anteil erneuerbarer Energien in Europa ausbauen.
«Die Wüstenregionen der Erde empfangen in sechs Stunden mehr Energie als die Menschheit in einem Jahr verbraucht», sagte Gerhard Knies, Vorsitzende der Stiftung Desertec.
Das Konzept Desertec wurde vom deutschen Zweig des Clubs von Rom entwickelt zusammen mit einer Arbeitsgruppe, die aus Wissenschaftlern, Industriellen sowie Beamten aus 53 Ländern besteht.
Das ehrgeizige Projekt, das den gesamten Mittelmeerraum betrifft, soll bis im Jahr 2050 15% des europäischen Energiebedarfs decken. Die ersten Stromlieferungen sind in 10 Jahren vorgesehen.
Solide Unternehmer
Um dieses Projekt zu realisieren, haben 12 Unternehmen, mehrheitlich deutsche, am Montag in München eine Grundsatzvereinbarung zur Schaffung eines Planungsbüros unterzeichnet. Das Büro mit einem Budget von 1,8 Mio. Euro soll bis Ende Oktober gegründet werden und in den nächsten drei Jahren Investitions-Pläne ausarbeiten.
Das Konsortium wird von der Münchener Rück und der Stiftung Desertec geleitet. Dazu gehören zudem die deutschen Energieriesen E.ON und RWE, die Deutsche Bank, der Siemens-Konzern, Solarhersteller wie die spanische Abengoa Solar, die algerische Lebensmittelgrupppe Cevitel und der Schweizer Industriekonzern ABB.
Das Projekt im Umfang von 400 Mrd. Euro (gut 600 Mrd. Schweizer Franken) soll es Europa ermöglichen, sich einen bedeutenden Anteil an sauberer Energie zu beschaffen und so seinen Ausstoss an Treibhausgasen zu reduzieren.
Gutachten eines Schweizer Riesen
«Es ist das grösste Sonnenenergie-Projekt der Welt. Es basiert auf bereits bestehenden Technologien», betont ABB-Sprecher Wolfram Eberhardt.
«Das Konsortium besteht nicht nur aus Technologie-Konzernen. Vertreten sind auch die Finanzwelt sowie Versicherungen. Es sind präzis jene «Zutaten», die nötig sind, um eine Vision langfristig in die Realität umzusetzen», sagt Eberhardt.
Laut dem ABB-Sprecher ist der zuverlässige Strom-Transport eine Herausforderung. «Ein Gebiet, auf dem unsere Gruppe bereits viel Erfahrung hat. ABB könne Hochspannungsleitungen bauen, welche auf einer Strecke von 2000 Kilometern lediglich einen Energie-Verlust von 10% zur Folge hat.
Wolfram Eberhardt nennt dennoch ein erstes Problem, nämlich die pharaonischen Kosten des Projekts. «Solarenergie ist heute teurer als Windenergie.»
Auch die Schweiz ist tangiert
Eine Realität, die auch Aeneas Wanner nicht entgangen ist. Er ist Mitglied von Desertec und Geschäftsleiter von Energie-Zukunft Schweiz in Basel, die sich für nachhaltige Energien einsetzt, zusammen mit Partnern wie Aare Energie, IWB, GVM, EBL und AEK.
Wie Wanner gegenüber der Westschweizer Wirtschaftszeitung L’Agefi sagte, plant er eine Solarstromanlage in Spanien. Ein Pilotprojekt, das kostengünstiger sein soll als die Sonnenkraftwerke, die von Desertec vorgesehen sind.
«Auch wenn die Schweiz in Sachen Sonnenenergie im Rückstand ist, hat sie doch ausgezeichnete Forscher auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Und die Schweizer Energiekonzerne haben die finanziellen Mittel, um zu investieren», sagt der Chef von Energie-Zukunft Schweiz.
Die Chance packen
Der Präsident von Swisssolar, dem Fachband für Sonnenenergie, versteckt seinen Enthusiasmus für das Desertec-Projekt nicht. «Endlich beginnt man zu realisieren, dass die Sonnenenergie alles andere als marginal ist», sagt Yves Christen.
«Zudem handelt es sich nicht um ein reines Solarprojekt, sondern beinhaltet auch andere erneuerbare Energietypen, wie Windenergie, Biomasse oder Wasserkraft. Auch die geschätzten Kosten sind nicht übertrieben, wenn man den Gewinn für die Umwelt bedenkt.»
Früher habe die Schweiz angesehene Experten für Photovoltaik (direkte Umwandlung von Sonnenkraft in Energie) gehabt. «Sie hat diesen Energietyp aber zu wenig gefördert. Nun aber nährt der Markt die Forschung. Heute haben uns die Nachbarländer überholt.»
Die Initiative Desertec könnte aber die Schweiz dennoch stimulieren, sagt Christen. «Dieses Projekt sollte sie dazu bewegen, in der Photovoltaik weiterzumachen.»
Viele Fragezeichen
Noch bleiben aber viele Fragezeichen im Zusammenhang mit diesem zukunfsträchtigen Projekt offen: So etwa die Standorte für die Anlagen, die Kosten für das laufende Produkt, der Gewinn des Projekts für die afrikanischen und arabischen Länder, die politische Instabilität gewisser involvierter Regionen und nicht zuletzt die Finanzierung des Projekts.
Zu bedenken sind auch noch die Auswirkungen auf die Staaten, auch wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Initiative begrüsst haben. Denn Merkel hat auch ihre Zweifel geäussert in Bezug auf die Teilnahme anderer europäischer Länder – abgesehen von Deutschland.
Das Desertec-Projekt plant Errichtung eines riesigen Netzes von Solarthermik-Anlagen in den Wüsten Nordafrika und des Nahen Ostens.
Diese Anlagen sollen aus grossen Spiegelflächen bestehen, die über mehrere Kilometer hinweg aneinander gereiht werden.
Zylindrisch und parabolisch in ihrer Form, folgen diese Spiegel dem Verlauf der Sonne. Sie reflektieren deren Lichtstrahlen in Röhren, die mit synthetischem Öl gefüllt sind.
Das Öl wird bis auf 400 Grad Celsius erhitzt. Es heizt Kanäle auf, in denen Wasser fliesst. Dieses verdampft und bringt damit Turbinen in Bewegung, die schliesslich den Strom erzeugen.
Im Gegensatz zum Strom, der mit photovoltaischen Zellen erzeugt wird, können diese thermischen Solaranlagen teilweise auch nachts Strom produzieren.
Der Strom soll via Hochspannungs-Leitungen nach Europa transportiert werden, die am Meeresboden entlang laufen.
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
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