«Die Behörden sind der Sache nicht gewachsen»
Exotische Tiere und Pflanzen breiten sich in Europa immer mehr aus und richten in Natur und Landwirtschaft teils grössere Schäden an. Für Daniel Cherix, emeritierter Professor für Biologie, unternimmt die Schweiz nicht genug, um dem Problem Herr zu werden.
Seit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus 1492 sind schätzungsweise 10’000 Arten nach Europa eingeführt oder -geschleppt worden.
Die Beschleunigung der weltweiten Warenflüsse hat das Phänomen in den letzten Jahren noch verstärkt.
Der Biologe Daniel Cherix von der Universität Lausanne setzt sich für eine striktere Regelung betreffend den Import von potenziell schädlichen Tieren und Pflanzen ein.
swissinfo.ch: Was genau sind so genannt invasive Arten?
Daniel Cherix: Tiere und Pflanzen breiten sich seit Anbeginn der Welt aus. Der Mensch hat nur zur Beschleunigung dieses Prozesses beigetragen, besonders was die so genannt antropophilen Tierarten betrifft, also jene, die sich in der Nähe der Menschen aufhalten.
Doch nun geht alles viel schneller: Seit etwa 50 Jahren hat die Globalisierung zu einer Explosion des Warenverkehrs geführt und damit grosse Wanderbewegungen von potenziell schädlichen Organismen provoziert.
Weil sie aus ihren angestammten Gebieten herausgehen, gelten diese Arten als exotisch. Invasiv werden sie, weil ihre Reproduktion explosionsartig zunimmt, sobald sie sich in ihrem neuen Gebiet niedergelassen haben. Sie versuchen dann, dieses Gebiet zu dominieren und die Ressourcen zu monopolisieren und entziehen damit heimischen Organismen die Lebensgrundlage.
swissinfo.ch: Ist die Ankunft von exotischen Arten in der Schweiz unabwendbar?
D.C.: Was die Insekten betrifft, so sind die Landesgrenzen absolut offen. Für gewisse Waren gibt es Regeln und Quarantäne, doch reicht es oft, dass ein Insekt in einer Holz- oder Kartonverpackung übersehen wird, und schon kommt es zur ökologischen oder gesundheitlichen Katastrophe.
Während einige Arten keine unmittelbare Bedrohung darstellen, treten andere in Interaktion mit dem Menschen, sei es durch seine Kulturen und Tierzuchten – wie der Maiswurzelbohrer oder bei den Bienen die Varroa-Milbe – oder sie greifen direkt seine Gesundheit an– wie die Tigermücke.
swissinfo.ch: Spielt die Klimaerwärmung der Erde neben den Warentransporten ebenfalls eine Rolle?
D.C.: Der Grossteil jener Arten, die in der Schweiz in den letzten 20 Jahren für Probleme gesorgt haben, stammt aus ähnlichen Klimazonen wie der unseren. Tatsächlich wandern hauptsächlich Organismen aus gemässigten Zonen Asiens bei uns ein. Das heisst, diese Arten müssen sich nicht speziell an die harten Winter anpassen.
Transfers von Süden nach Norden sind viel seltener als solche von Osten nach Westen. Doch es ist offensichtlich, dass die Erderwärmung das Verbreitungsgebiet von einigen Arten beeinflusst. Das ist beispielsweise der Fall beim Pelargonien-Bläuling, der aus Südafrika stammt und nun vor den Toren der Schweiz steht.
swissinfo.ch: Der Mensch hat selber zahlreiche exotische Arten willentlich eingeführt…
D.C.: Ja. Der Asiatische Marienkäfer zum Beispiel wurde in Belgien zur Bekämpfung von Blattläusen in Treibhäusern eingeführt. Als sich die Marienkäfer in Freiheit zu vermehren begannen, verdrängten sie die einheimischen Marienkäfer.
In Australien bedauert man die Einführung der Aga-Kröte in den 1930er-Jahren sehr. Von diesen hatte man sich damals die Eindämmung einer Insekten-Invasion auf den Zuckerrohrfeldern erhofft.
All diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass man heute vorsichtiger geworden ist in der so genannten ‹biologischen› Bekämpfung von Problemen, das heisst, der Einführung von Raubtieren oder Parasiten, die einem Schädling auf den Pelz rücken sollten.
swissinfo.ch: Welche neuen invasiven Arten werden in den nächsten Jahren in der Schweiz für Schlagzeilen sorgen?
D.C.: Allen voran die Asiatische Hornisse Vespa velutina, eine Hornissenart aus Südostasien. Dieser Schädling, der sich von einheimischen Bienen ernährt, hat innert weniger als zehn Jahren einen grossen Teil Frankreichs kolonialisiert. Er wurde bereits in der Region von Dijon beobachtet, hat aber die Grenze zur Schweiz noch nicht überflogen. Imker und Naturschutz-Organisationen sind beunruhigt.
Auch einige Pflanzenarten stellen eine Bedrohung dar. Die Gartenzentren verkaufen weiterhin invasive Pflanzen wie etwa den Schmetterlingsflieder oder die Robinie, die man kaum wieder loswird.
Die Eidgenossenschaft hat angefangen, schwarze Listen für gewisse Arten herauszugeben, doch sie ist der Sache noch nicht gewachsen. Wenn man ein Minimum an Erfolg erreichen möchte, müsste man viel strikter vorgehen und den Verkauf gewisser Pflanzen oder den Import von neuen Haustierarten verbieten. Denn solche werden von ihren Besitzern oft in die Natur ausgesetzt.
swissinfo.ch: Unterschätzen die Behörden das Phänomen?
D.C.: Eindeutig. Denn es ist nicht nur ein anekdotisches Problem, das einige wenige Naturfreunde betrifft. Laut Schätzungen von China und den USA werden die von invasiven Arten verursachten Kosten eines Tages den Umfang des Warenaustausches zwischen diesen beiden Ländern übersteigen.
Die Eidgenossenschaft und einige Kantone beginnen, globale Strategien zu entwickeln. Doch es ist wichtig, die Bürger besser zu informieren. Heute spricht man nur darüber, wenn die Gesundheit der Menschen direkt in Gefahr ist, wie beim Ausbruch von Denguefieber durch die Tigermücke in der französischen Region Marseille. Man müsste sich schon vorher Sorgen machen.
In der Schweiz sind 51 gebietsfremde Tierarten bestimmt worden, von den Biologen auch «Neozoen» genannt. Diese wurden alle durch den Menschen eingeschleppt, meistens ungewollt, in einigen Fällen aber auch absichtlich.
Zum Beispiel der Signalkrebs oder der Asiatische Marienkäfer, der 1982 in Europa zur biologischen Bekämpfung der Blattläuse in Treibhäusern eingeführt wurde. Andere exotische Arten wurden von ihren skrupellosen Besitzern in der Natur ausgesetzt, darunter etwa die Rotwangen-Schmuckschildkröte.
Die 45 invasiven Pflanzen (Neophyten) in der Schweiz stellen alle eine Bedrohung für die biologische Vielfalt dar, schätzt die Naturschutz-Organisation Pro Natura. Wie etwa der Japanische Staudenknöterich, der Böschungen und Konstruktionen beschädigt, führen sie oft zu gewichtigen finanziellen Einbussen.
Einige sind sogar schädlich für den Menschen. Der Riesen-Bärenklau kann zu Verbrennungen 3. Grades führen, wenn die Haut nach einer Berührung mit seinen Blättern der Sonne ausgesetzt ist. Und das Beifussblättrige Traubenkraut (Ambrosia), sehr invasiv und besonders allergen, kommt heute in allen städtischen Gebieten des Schweizer Mittellandes vor.
In der Schweiz wird der Umgang mit invasiven Arten seit 2008 in der Verordnung über den Umgang mit Organismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung, FrSV) geregelt. Es gibt keine offiziellen Angaben über die durch gebietsfremde Arten verursachten Kosten oder über die Mittel zu deren Bekämpfung.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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