Die Ethik der neuen Methoden des Organspendens
Ist es ethisch vertretbar, Organe von Menschen, die durch Beihilfe zum Suizid gestorben sind, weiter zu verwenden? Für den Bioethiker David ShawExterner Link von der Universität Basel ist es eine Möglichkeit, dem Mangel an Organspenden entgegenzuwirken.
swissinfo.ch: Ist die Organspende von einem ethischen Standpunkt her mit vielen Problemen verbunden?
David Shaw: In den meisten Fällen kommt die Organspende dann zum Zug, wenn jemand tot ist und die Organe keine Funktion mehr haben. Es ist etwas, das sehr viel Gutes tun kann und dennoch gibt es eine ganze Reihe von Widerständen dagegen. Die grössten Bedenken haben meistens die Familienmitglieder, die gerade jemanden verloren haben. Darum ist es für sie schwierig, die potenziellen Vorteile der Spende klar zu sehen.
swissinfo.ch: Als Forscher versuchen Sie, die Familienmitglieder von den Vorteilen einer Spende zu überzeugen. Haben Sie ethische Argumente, um zu sagen, es sei wichtiger, was der Patient wollte, als das, was seine Familie will?
D.S.: Ich denke Ja. Selbst wenn die Person keinen Spenderausweis hatte, fragen wir die Familienangehörigen nicht, was sie tun würden. Wir fragen vielmehr, was der Verstorbene getan hätte.
Nehmen wir an, die verstorbene Person habe sich im Spenderregister eingetragen. Da gibt es gute Gründe, der Familie zu sagen, es sei besser, diesen Wunsch zu respektieren. Wenn jemand die Organspende in seinem Testament verfügt hat, kann die Familie das nicht ändern. Deshalb denke ich, dass eine Spenderkarte oder ein Eintrag im Register gleich behandelt werden sollen.
Zweitens ist es vielfach so, dass Familien, die ihr Veto einlegen, diesen Entscheid innerhalb weniger Wochen bereuen. Drittens kann es sein, dass wegen einer verhinderten Spende jemand stirbt, für weitere Monate oder sogar Jahre in die Dialyse gehen muss oder dass jemand sein Augenlicht nicht wieder zurückgewinnt.
Die Gesundheitskommission des Ständerates (SGK) ist gegen einen Systemwechsel bei der Organspende. Sie will daran festhalten, dass Organe nur dann entnommen werden dürfen, wenn die Angehörigen es erlauben oder wenn die betroffene Person zu Lebzeiten zugestimmt hat.
Der Nationalrat (grosse Kammer) hatte in der Herbstsession einen Vorstoss angenommen, der einen Wechsel von der heutigen Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung verlangt: Organspenden sollen automatisch erfolgen, sofern die betroffene Person dies nicht ausdrücklich abgelehnt hat.
Der Ständerat wird sich dazu noch äussern. Der Bundesrat glaubt nicht, dass die Zahl der Organspenden mit der Widerspruchslösung merklich zunehmen würde. Er setzt stattdessen auf einen Aktionsplan, der verbindliche Spendenprozesse in allen Spitälern vorsieht. Zum Plan gehören ferner der Aufbau einer nationalen Stelle sowie die Information der Bevölkerung.
swissinfo.ch: Sie haben weitergehende Lösungen vorgeschlagen, wie Organspenden nach einem assistierten Suizid. Wie würde das funktionieren und welche ethischen Fragen wirft das auf?
D.S.: Ich sage ja nicht, wir sollten Leute töten, um an ihre Organe zu kommen. Aber die Schweiz ist weltweit eines der wenigen Länder, in denen jährlich mehrere Hundert Menschen den begleiteten Suizid wählen. Sie haben also Menschen, die sterben wollen, Sie wissen, wann sie sterben werden und viele von ihnen sind als Organspender registriert. Es ist also auch eine Art von Respekt, wenn man diesen Menschen erlaubt, der Menschheit ihr letztes Abschiedsgeschenk zu überlassen.
Das Problem einer solchen Idee ist, dass es Leute gibt, die sagen, die Ethiker seien verrückt geworden, sie wollten jeden töten und ihm die Organe entnehmen. Doch das ist überhaupt nicht der Fall, ich weise nur darauf hin, dass Menschen sterben, weil wir nicht genügend Organe haben.
Es gibt auch ethische begründete Einwände, die dahingehen, dass mehr Menschen den begleiteten Suizid wählten, weil sie denken, so könnten sie das Leben anderer Menschen retten und weil sie sich als Last fühlten.
Die Argument mit der Last wird in vielen Debatten über den begleiteten Suizid verwendet. Es ist jedoch nicht wirklich überzeugend. Die Literatur zur Bioethik hat in dieser Frage eine klare Haltung.
swissinfo.ch: Eine weitergehende Lösung wäre, menschliche Zellen mit dem Ziel in ein Schwein zu verpflanzen, um menschliche Organe entstehen zu lassen. Wie weit ist die Forschung zu diesem Thema?
D.S.: Wir sind noch nicht an diesem Punkt angelangt, aber wenn die Forschung sich in eine bestimmte Richtung bewegt, dann ist es ratsam, über die ethischen Folgen nachzudenken. Und das unter der Annahme, dass die Forschung erfolgreich sein und dass es zu klinischen Anwendungen kommen wird.
Auch zu diesem Thema gibt es ethische Einwände. Manche Menschen lehnen die Vermischung von menschlichen mit tierischen Zellen ab. Entweder, weil sie denken, der Mensch sei etwas Besonderes oder weil das ihn ihren Augen gegen die Interessen der Tiere gerichtet ist. Doch seit Jahrzehnten haben Leute Herzklappen von Schweinen implantiert und keiner sagt, das sei unnatürlich und diese Leute sollten besser sterben, als mit einem Teil eines Schweins weiter zu leben.
swissinfo.ch: Es gab auch Skandale, weil Organe den «falschen» Personen eingepflanzt wurden. Hatte das einen Einfluss auf die Zahl der Organspenden?
D.S.: In Deutschland gab es in gewissen Transplantationszentren finanzielle Anreize für Ärzte, die je nach Anzahl Transplantationen variierten. Es scheint, dass einige Ärzte Testergebnisse manipuliert haben, um den Gesundheitszustand von Patienten schlechter darzustellen, damit diese eine höhere Priorität für den Erhalt eines Organes erhielten.
Wenn so etwas passiert, ist das nicht nur deshalb schlecht, weil sie etwas unethisches getan haben und dadurch Menschen, die ein Organ hätten bekommen sollen, keins bekommen haben, sondern auch darum, weil den Menschen der Glauben und das Vertrauen in die Organspende abhandenkommt.
swissinfo.ch: Was ist aus Ihrer Sicht der vielversprechendste Weg, um die Zahl der Organspenden in der Schweiz zu erhöhen?
D.S.: Ein zentrales Spenderregister würde die Menschen ermutigen, beizutreten und würde die Zahl der Menschenleben, die gerettet werden können, erhöhen.
Aufgrund der geltenden Gesetzgebung hat die Regierung eine neutrale Position einzunehmen. Ich denke, das ist auch deshalb so, weil Organspenden eine sehr persönliche Angelegenheit ist, die auch die Familienbeziehungen betrifft und mit dem Tod verbunden ist.
Doch wenn man die Spendenrate erhöhen und die Möglichkeit, Menschenleben zu retten, verbessern will, dann muss man sagen, dass das eine gute Sache ist, auch wenn es keine Verpflichtung gibt, seine Organe nach dem Tot zu spenden.
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)
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