Die Geheimnisse des Weltalls schlummern im Unsichtbaren
Es soll das grösste je von Menschenhand geschaffene wissenschaftliche Instrument werden: Zehntausende Antennen, über Südafrika und Australien verteilt, sollen die unsichtbaren Signale auffangen, die das Universum aussendet. Ein guter Teil der Technologie stammt aus der Schweiz.
SKA, das steht heute nicht mehr für Schweizerische Kreditanstalt, sondern für Square Kilometre ArrayExterner Link. Alle Antennen des Projekts zusammengenommen sollen eine Fläche von einem Quadratkilometer einnehmen. Das Projekt ist fast 30 Jahre alt.
Die Antennen werden aber nicht nebeneinander aufgestellt, sondern weit auseinander auf der Erdoberfläche platziert. So sollen sie hochauflösende Bilder des Himmels ermöglichen. In Südafrika werden 200 Antennen mit einem Durchmesser von je 15 Metern aufgestellt. Auf der anderen Seite der Welt, in Australien, werden 130’000 Antennen vom Typ «Rake» aufgestellt. Sie wurden einst für den TV-Empfang verwendet. Verbunden werden die beiden Empfangsstationen durch Fiberglas-Kabel, deren Länge die Erde zweimal umrunden könnte.
Für was das alles, mag man sich fragen. Um Radiowellen einzufangen. SRF, BBC oder NHK in Hi-Fi-Qualität? Nein, darum geht es nicht. Radiowellen werden nicht nur von Radiosendern ausgestrahlt, sondern sind auch Teil des breiten Spektrums elektromagnetischer Strahlung, die viele Objekte im Universum abgeben. So etwa die Galaxienhaufen, das aktive Zentrum von Galaxien, und einige Sterne.
Das sichtbare Licht ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums. Die Menschheit nannte die Radiowellen so, weil sie zuallererst dazu benutzt wurden, um unsere Radio- und Fernsehprogramme zu übertragen.
Teleskop-Antennen und Satelliten beobachten den Himmel bereits seit langer Zeit auf verschiedenen Wellenlängen. Die Radioastronomie, oder Astronomie der Radiowellen, begann bereits in den 1950er-Jahren.
Seither wurden immer grössere Radioteleskope gebaut. Und wie bei den Spiegeln für die grössten optischen Teleskope werden an einem Standort oft mehrere Antennen verwendet. Damit erreicht man die gleiche Wirkung wie mit einer riesigen Antenne am gleichen Standort.
Die Organisation SKA ist ein internationales Konsortium. Dessen Mitgliedstaaten vertreten zusammen 40% der Weltbevölkerung. Mit dabei sind unter anderem Südafrika, das Vereinigte Königreich, China, Indien, Portugal und Australien. Und die Schweiz?
Im April 2020 wurde die Eidgenössische Technische Hochschule LausanneExterner Link (EPFL) Mitglied. Ihre Aufgabe ist es, den Beitrag der schweizerischen wissenschaftlichen Gemeinschaft zu koordinieren. Die Schweiz hat seit 2016 bereits Beobachterstatus. Es wird erwartet, dass sie in naher Zukunft Vollmitglied der Organisation wird.
Von dem aussergewöhnlichen Instrument dieses Projekts versprechen sich Forschende zahlreicher Bereiche viel. Von den Anfängen des Universums (380’000 Jahre nach dem Urknall), über die Zeit der Entstehung der ersten Sterne und der ersten Galaxien, während ihrer Entwicklung in den etwa 13 Milliarden Jahren des Lebens im Universum, bis hin zum Leben auf den uns relativ nahen Exoplaneten.
«Den Sternen ist es egal, was unsere Augen sehen können. Radiowellen können weit mehr Dinge erkennen, als das Sichtbare oder Infrarot.»
Catherine Cesarsky, Leiterin Exekutivausschuss SKA
Und wenn man drei Bereiche auswählen müsste, in denen das SKA der Menschheit helfen kann, den Heiligen Gral zu finden? Nicht einfach… Eine französische Astrophysikerin erklärte sich bereit, zu spekulieren.
Catherine Cesarsky leitet seit 2017 den Exekutivausschuss der SKA-Organisation. Dies, nachdem sie zuvor die ESO (Europäische Südsternwarte, zu der die grössten optischen Teleskope der Welt in Chile gehören) geleitet und den Vorsitz der Internationalen Astronomischen Union innegehabt hatte.
Drei grosse Hoffnungen – unter vielen anderen
Da sind zuerst einmal die Gravitationswellen. Das sind Schwingungen in der Krümmung der Raumzeit, die sich über Hunderte von Millionen Lichtjahren ausbreiten. Sie entstehen durch die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher.
Einstein hatte diese Wellen 1916 in der Theorie vorausgesagt. Erst 99 Jahre später wurden sie tatsächlich entdeckt. Dank des Experiments LIGO mit seinen vier Kilometer langen Laserdetektoren an zwei Standorten in den Vereinigten Staaten. Diese Entdeckung brachte den Vätern des Experiments einen dreifachen Nobelpreis ein.
Doch die für das Phänomen verantwortlichen schwarzen Löcher weisen «nur» ein paar Dutzend Mal die Masse der Sonne auf. «Wir wissen, dass es im Zentrum von Galaxien supermassive schwarze Löcher gibt. Mit den drei europäischen Sonden ‹LISA› [deren Start für 2030 geplant ist] werden wir in der Lage sein, Kollisionen von millionenfachen Sonnenmassen zu erkennen. Und das SKA wird noch weiter gehen, bis zu milliardenfachen Sonnenmassen», sagt Cesarsky.
Ein zweiter Bereich, in dem die Astrophysikerin spektakuläre Ergebnisse erwartet: das Studium der kosmischen Magnetfelder. Die aussergewöhnliche Empfindlichkeit des SKA sollte hier «aussergewöhnliche Fortschritte» ermöglichen.
Der Magnetismus bestimmt das Universum und steuert die Entstehung und Entwicklung von Objekten aller Grössenordnungen: von winzigen Planeten bis hin zu den Materieansammlungen der Galaxie, darunter natürlich auch die Sterne. Besonders sollte man den Ablauf jener Ereignisse besser verstehen, die zur Geburt von verschiedenen Strukturen im Universum führen.
Der dritte Bereich: Wasserstoff. Er ist das ursprüngliche, einfachste Atom – bestehend nur aus einem Proton und einem Elektron. Und das erste, das nach dem Urknall aus Elementarteilchen gebildet wurde. Auch heute noch ist Wasserstoff das häufigste chemische Element im Universum.
«Wir werden die Verteilung von Wasserstoff in den ersten Zeiten des Universums kartografieren können», sagt Cesarsky. «Mit seiner Wellenlänge von 21 cm lässt er sich mit der Radioastronomie gut beobachten. Und das SKA ist das einzige Instrument, das Wasserstoff in der gesamten Geschichte des Universums kartieren kann.»
Der dunklen Materie auf der Spur
Aber das ist noch lange nicht alles: Der Wasserstoff sollte uns auch Aufschluss geben über die Eigenschaften der berühmten dunklen Materie. «Wenn wir die Ausdehnung des Universums betrachten, sehen wir, dass sie sich stärker beschleunigt, als die Gesetze der Schwerkraft vorhersagen», sagt Jean-Paul Kneib. Er ist Direktor des Labors für Astrophysik an der EPFL. «Diese Beschleunigung erklärt sich durch die Existenz zweier Komponenten: dunkle Materie und dunkle Energie.»
Die dunkle Materie wird dazu herangezogen, um die Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien oder die Masse von Galaxienhaufen zu erklären. Sie soll mehr als 25% des Massen-Energiehaushalts des Kosmos ausmachen. «Diese Materie besteht vermutlich aus Partikeln. Alle suchen nach diesen, weil sie im Standardmodell der Physik nicht vorkommen», so Kneib.
Weil die dunkle Materie keine Strahlung abgibt, ist sie sehr schwierig nachzuweisen. Während Physiker am Genfer Forschungsinstitut CERN versuchen, sie in ihrem Teilchenbeschleuniger «Large Hadron Collider» (LHC) herzustellen, verfolgen die Astrophysiker ihre Spuren im ganzen Universum.
Das will man auch mit dem SKA versuchen. «Wir werden ‹kleine Strukturen› suchen, kleiner als die kleinsten bekannten Galaxien. Die suchen wir in den etwas leeren Regionen, die sich zwischen den Galaxien befinden. Und wir werden dazu den Wasserstoff ausnutzen, der dort als Indikator für dunkle Materie vorhanden ist», sagt Kneib.
«Das sollte uns dabei helfen, zu entscheiden, ob wir nach dem LHC einen neuen Teilchenbeschleuniger bauen sollten.» Ein «Detail», das recht wichtig ist, wenn man die Kosten eines solch kolossalen Instruments bedenkt: Zehn Milliarden Franken kostete das LHC, 15 Milliarden kostet das SKA, das 2028 in Betrieb gehen soll.
«E.T. nach Hause telefonieren»
Und wenn es mit dem SKA schliesslich möglich wird, Radiosignale zu hören – aber in einer uns absolut unbekannten Sprache? Unter den wissenschaftlichen Zielen des Instruments ist auch die Suche nach «ausserirdischen Radiosignalen» aufgelistet.
Mit seiner absoluten Spitzenleistung gegenüber allem, was bisher da war, könnte das gigantische Radioteleskop vielleicht dort Erfolg haben, wo das Programm SETI (Suche nach extraterrestrischer Intelligenz) seit 60 Jahren versagt.
«Extraterrestrische Radiosignale? Ich will nicht ausschliessen, dass es sowas geben könnte. […] Wenn man bis heute noch nichts gefunden hat, ist das vielleicht deshalb, weil man am falschen Ort gesucht hat.»
Jean-Paul Kneib, Direktor Astrophysik-Labor EPFL
Für Kneib ist diese Idee nicht komplett abwegig. «Das wird man vielleicht nicht gleich zu Beginn machen, aber wir werden danach suchen. Klar, wenn es ein Signal gibt, wird man es nicht direkt verstehen, aber ich will nicht ausschliessen, dass es sowas geben könnte», sagt er.
«Die Geschichte von SETI fing zu früh an, man kannte damals die Exoplaneten noch nicht. Man muss zuerst wissen, wo man suchen muss. Wenn man bis heute noch nichts gefunden hat, ist das vielleicht deshalb, weil man am falschen Ort gesucht hat.»
Astrophysikerin Cesarsky bleibt zurückhaltender: «Gut an diesem Projekt ist, dass wir mit dem Teleskop nicht extra Zeit für diese Aufgabe reservieren müssen. Wir können Analysen aus Daten erstellen, die für andere Zwecke gesammelt wurden. Also Ja, warum nicht? Aber ich würde das SKA nicht allein für diesen Zweck bauen.»
«Die Schweizer Institutionen spielten eine zentrale Rolle in der Konzeptphase des Teleskops. Sie haben zu Recht den Ruf für ihre hervorragenden Leistungen in Wissenschaft und Astronomie und sind an einigen der ehrgeizigsten Projekte beteiligt», sagte Phil Diamond, Generaldirektor des SKA, als die EPFL in die Organisation aufgenommen wurde.
Momentan am Projekt beteiligt sind auch die Universitäten Genf, Zürich und Bern, die ETH Zürich, das Schweizerische Hochleistungs-Rechenzentrum (CSCS), die Fachhochschulen des Nordwest- und Südwestschweiz sowie das Planetarium des Verkehrshauses Luzern.
Breits klar ist, dass die Atomuhren, die für eine perfekte Synchronisierung dieser Mehrantennen-Teleskope benötigt werden, von einer Neuenburger Firma geliefert werden sollen.
Die Schweiz wird auch an der Verarbeitung der wortwörtlich astronomischen Datenmengen arbeiten, die das SKA liefern wird (Ein Terabyte pro Sekunde, also mehr als in dieser kurzen Zeitspanne im gesamten Internet unterwegs ist). Dies soll vor allem mit Software der künstlichen Intelligenz gemacht werden. Diese kann sehr schnell Daten ausschliessen, die nicht von Interesse sind.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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