Die Maske, die das Lächeln zurückbringt
Masken sind überall. Sie sind eine der besten Waffen, die wir bisher gegen das Coronavirus gefunden haben. Aber sie haben ihren Preis: Gesichtsausdrücke verschwinden. Ab 2021 verspricht ein in Genf ansässiges Start-up-Unternehmen die Lösung: transparente (und atmungsaktive) Operationsmasken.
Die Geschichte beginnt lange vor der Pandemie: Die Schweizerin Diane Baatard besucht viermal pro Woche die Kinder auf der onkologischen Abteilung des Universitätsspitals Genf. Eines Tages sitzt sie auf dem Bett eines kleinen Jungen in einem sterilen Raum und lächelt ihn an. Aber das schwer kranke Kind reagiert nicht. Er kann das Lächeln hinter Diane Baatards Maske nicht sehen.
Schutzmasken werden heute überall getragen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Büros, Supermärkten oder auf der Strasse. Da fast 24 Millionen Menschen mit dem neuen Coronavirus infiziert sind und seit Beginn der Pandemie mehr als 800’000 Menschen gestorben sind, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Tragen von Masken. Sie schreibt auch vor, welche Materialien zur Herstellung von Masken zu verwendenden sind.
Aber was ist mit sozialen Beziehungen? «Denken Sie an die Kinder im Spital, die bereits wegen ihrer eigenen Situation verängstigt sind und dann viele Erwachsene sehen, die sich hinter Masken verstecken. Wenn sie ihre Gesichter sehen könnten, wäre die Situation ein wenig besser», sagt Thierry Pelet, Direktor des HMCARE-Start-ups. «Wir haben die erste transparente, atmungsaktive Maske der Welt geschaffen», sagt der Virologe. Und dann erzählt er den Rest der Geschichte von Diane Baatard:
Diane war betrübt über die Erfahrung im Spital. Sie fragte einige befreundete Forscher, ob es transparente Masken gebe, die in einem Krankenhaus verwendet werden können. Sacha Sidjanski, Projektleiter an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL), fand die Idee ausgezeichnet. Im Jahr 2016 reichte er den Vorschlag in einem Wettbewerb ein, den das Pharmaunternehmen Debiopharm und die Inartis Foundation gemeinsam organisierten, um die Lebensqualität von Patienten und Patientinnen zu verbessern. Das Team gewann den Wettbewerb und erhielt 7500 Franken für einen ersten Test der Idee und des Konzepts.
Erste Schritte
Sasha und Diane suchten als Nächstes einen Virologen. «Ich bin Forscher an der EPFL und arbeitete zu dieser Zeit auch an einem anderen Start-up-Unternehmen im biomedizinischen Bereich. Als sie zu mir kamen, erklärte ich ihnen, dass es eine solche Maske nicht gäbe und dass es dafür einen guten Grund gibt: ein neuartiges Material müsse entwickelt werden», erinnert sich Thierry Pelet. «Es ist die Perfektion, die einem Material – wie Glas – Transparenz verleiht. Aber sobald es Unvollkommenheiten gibt, wie die luftdurchlässigen Poren im Gewebe, beginnt diese Maske undurchsichtig zu werden.»
Sacha, Diane und Thierry richteten eine Arbeitsgruppe ein. Die Forschung an dem neuen Material wird parallel an der EPFL und an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in St. Gallen durchgeführt. Gleichzeitig erklären sich 13 philanthropische Stiftungen bereit, die Realisierung des Projekts zu unterstützen. In der Folge erhält das Trio auch ein Forschungsstipendium von der Schweizerischen Agentur für technologische Innovation (Innosuisse).
Transparent und biologisch abbaubar
Nach mehr als zweijährigen Tests und Versuchen erreichten die Forscher und Forscherinnen schliesslich eine perfekte Kombination aus Transparenz, Festigkeit und Porosität des Materials, um die durchsichtigen Masken herzustellen. «Es handelt sich um eine Membran aus verschiedenen Polymeren [Materialien aus Makromolekülen, die unter anderem zur Herstellung von PET- oder sogar Plexiglasflaschen verwendet werden, Anm. d. Red.]. Die Fasern des neuen Gewebes sind so angeordnet, dass die Löcher nur 100 Nanometer gross sind, die gleiche Grösse wie bei herkömmlichen Masken, was zwar Luft durchlässt, aber Viren und Bakterien herausfiltert», erklärt Thierry Pelet und weist darauf hin, dass 99% der Zusammensetzung natürlich und biologisch abbaubar sind.
Zur Herstellung des Gewebes hat das Team ein neues Verfahren entwickelt, bei dem die Mikro- und Nanofilamente von Polymeren mit elektrischer Kraft gedehnt werden. Für die Massenproduktion sind nur wenige Anpassungen erforderlich. Die Maschinen produzieren Rollen aus diesem neuen Material, mit denen die «HelloMask» genannten Masken geschnitten und zusammengesetzt werden. Im März 2020 wird der neue Stoff patentiert und anschliessend gründet das Trio das Genfer Start-up-Unternehmen HMCARE, um die neuen transparenten Masken herzustellen und zu vermarkten.
Dann kommt die Pandemie
Die Covid-19-Krise brachte die Pläne des jungen Unternehmens durcheinander. «Wir erhielten sofort Anfragen aus der ganzen Welt, sogar von Taubstummenverbänden, die in herkömmlichen Masken ein unüberwindliches Hindernis für die Kommunikation sehen», erklärt der Virologe. Ursprünglich war geplant, das neue Produkt in China herzustellen, aber die Coronavirus-Krise schloss die Grenzen vieler Länder und führte zu einer Debatte über die Autonomie der einzelnen Länder beim Zugang zu medizinischem Material.
In den ersten Monaten des Jahres gab es in vielen Ländern keine Masken. «Wir haben deshalb beschlossen, die HelloMask für den Schweizer Markt in der Schweiz selbst zu produzieren. Und aus Kostengründen sollte die Produktion für den Weltmarkt vor allem in Europa erfolgen, aber wir sind noch in Verhandlungen mit möglichen Partnern», fügt Thierry Pelet hinzu. Es wird erwartet, dass die transparente Maske etwa 20% mehr kostet als die klassische Maske.
Aber die Produktion hat noch nicht begonnen. Die neuen Masken werden voraussichtlich nicht vor 2021 auf den Markt kommen. Bis dahin wird sich HMCARE den traditionellen Herausforderungen eines Start-ups stellen müssen. «Wir haben jetzt die industrielle Phase begonnen. Wir stehen unter grossem Druck», sagt Pelet und erinnert daran, dass dies für ihn der Beginn eines neuen Lebens ist: Er wird vom Virologen und Forscher zum Unternehmer.
Sibilla Bondolfi
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