Die Schweiz setzt weiterhin auf Geothermie
Kann Energie aus dem Untergrund der Schweiz helfen, die ehrgeizigen Energie- und Klimaziele zu erreichen? Trotz der Bedenken, dass Tiefenbohrungen Erdbeben auslösen könnten, treiben Schweizer Kantone und Städte eine Reihe neuer geothermischer Projekte voran.
Im hochmodernen Bahnhof Lancy-Bachet im Zentrum von Genf warten die Passagiere auf den nächsten grenzüberschreitenden Regionalzug Léman Express. Trübe Lichter werden undeutlich sichtbar, die Waggons halten langsam an. Ohne Wissen der Reisenden wird die vom Zug und seinen quietschenden Bremsen erzeugte Wärme unter den Schienen und in den Tunnelwänden aufgefangen und zum Heizen und Kühlen der umliegenden Wohnungen und Büros verwendet.
Das System – derzeit ein Pilotprojekt – funktioniert dank mit Wärmeübertragungsflüssigkeit gefüllter Polyethylenrohre, die in einem 100 Meter langen Abschnitt des neuen Tunnels eingebettet sind. Diese Energiequelle ist an eine Wärmepumpe angeschlossen, die Wärme und Kälte erzeugen kann, die in das Fernwärmenetz eingespeist wird.
Es ist eines von mehreren innovativen Geothermieprojekten, die in der ganzen Schweiz entstehen und dazu beitragen sollen, ehrgeizige Energie- und Klimaziele zu erreichen. In Genf will die Regierung, dass Neubauten künftig zu 80% mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Und bis 2035 sollen 20% des Wärmebedarfs des Kantons aus geothermischen Quellen gedeckt werden.
Das Projekt Lancy-Bachet ist ein Schweizer Novum. Es reiht sich ein in Pionierprojekte wie Genilac – ein Wärmeaustauschprojekt, bei dem Wasser aus dem Genfer See zum Kühlen und Heizen von Gebäuden verwendet wird – und HeatStore, den Genfer Beitrag zum europäischen Projekt zur unterirdischen Speicherung von Wärmeenergie. Bern und Zürich haben ähnliche Speichersysteme.
Genf sucht weiterhin im Untergrund nach geothermischer Energie. Die Bundesbehörden haben kürzlich 27,5 Millionen Franken zur Finanzierung von Bohrungen gesprochen. Ein Teil des Geldes wird auf dem Testgelände Lully eingesetzt, wo Ingenieure knapp 1500 Meter unter der Erdoberfläche gebohrt haben. Das heisse Wasser, das nach oben sprudelt, hat eine Temperatur von 53 Grad Celsius und einen vielversprechenden Druck. Aber es hat gemäss Experten eine schwache Durchflussrate. Das bedeutet, dass es nicht heiss oder kraftvoll genug ist, um Strom zu erzeugen. Immerhin kann es aber zum Heizen von Gebäuden verwendet werden.
Laut Gunter Siddiqi vom Bundesamt für Energie ist Genf im Bereich der thermischen Energie äusserst zukunftsorientiert.
«Genf ist ein relativ kleiner, gut integrierter Stadtkanton mit guten Beziehungen zu den Energie- und Versorgungsunternehmen, die den Kanton versorgen. Es ist eine Kombination aus politischem Willen, Geschäftssinn sowie Forschungs- und Innovationskompetenz», sagt er gegenüber swissinfo.ch. Die Bedingungen seien in jedem Kanton anders und es sei unklar, ob das Genfer Modell anderswo in der Schweiz repliziert werden könne.
Erdwärme – eine fossile Brennstoffalternative
Gegenwärtig beschränken sich die geothermischen Aktivitäten auf die Gewinnung und Speicherung von Wärmeenergie hauptsächlich mit vertikalen Erdwärmetauschern, Grundwasserbrunnen, geothermischen Strukturen und heissen Tunneln. Diese werden normalerweise in Kombination mit einer Wärmepumpe zum Heizen – und in einigen Fällen auch zum Kühlen – eingesetzt.
In der ganzen Schweiz nutzen fast 15% der schweizerischen Heizanlagen in Wohnungen, Büros und anderen Gebäuden solche Erdwärmepumpen. Im Jahr 2019 registrierte das Bundesamt für Energie 102’000 Erdsonden, was der «weltweit höchsten Konzentration pro Quadratkilometer» entspricht.
Acht Standorte nutzen zudem direkt das heisse Grundwasser, wie die Thermalbäder in Kreuzlingen, Lavey-les-Bains, Schinznach-Bad und Bassersdorf, Gebäude und Hotels in Weissbad, Weggis und Zürich sowie ein Quartier in Riehen.
Zusammen macht diese geothermische Wärmeerzeugung in geringer Tiefe aber nur 1,3% des Wärmebedarfs des Landes aus. Doch die Technologien sind gut etabliert, und die Bundesbehörden sind im Rahmen der Energiestrategie 2050 von ihren Vorteilen und ihrem Potenzial überzeugt.
Elmar Grosse Ruse, Klimaexperte beim WWF Schweiz, ist optimistisch, was das weitere Wachstum betrifft. «Wir wollen in den nächsten zwei Jahrzehnten beim Heizen von fossilen Brennstoffen, Öl und Gas loskommen, und dies wird nur möglich sein, wenn wir in dicht besiedelten Gebieten viele Wärmepumpen einsetzen», sagt er.
Auch Siddiqi erwartet in den kommenden Jahren einen breiteren Einsatz solcher Technologien. Er sagt, die unterirdischen Sonden könnten über grössere Tiefen gestaffelt werden. Es müssten aber Sicherheitsabstände (10-12 Meter) dazwischen eingehalten werden, um einen «Spüleffekt» zwischen Systemen zu vermeiden, die auf der Suche nach unterirdischer Wärme sind.
Die Geothermie gehört neben Sonne, Holz, Biomasse und Wind zur Gruppe der «neuen» erneuerbaren Energiequellen, die bei der Energieerzeugung eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Wasserkraft ist nach wie vor die wichtigste erneuerbare Energiequelle der Schweiz (57% des Haushaltsstroms). In der Schweiz sind mehrere Projekte im Bereich der mittleren und tiefen Geothermie im Gang:
- Hydrothermale Anlage: AGEPP in Lavey-les Bains (Kanton Waadt), Plaines-du-Loup (Waadt), EnergeÔ La Côte (Waadt), GEothermies (Genf), Riehen (Basel)
- Petrothermal / Erweitertes geothermisches System: Haute-Sorne (Jura), Avenches (Waadt), Etzwilen (Thurgau), Pfaffnau und Triengen (Luzern).
Geothermische Elektrizität – Rückschläge
Hingegen wird in der Schweiz derzeit noch keine Elektrizität aus geothermischen Quellen erzeugt. Die Vereinigten Staaten sind weltweit führend in der geothermischen Stromerzeugung. Der Bundesstaat Kalifornien deckt rund 5% seines Strombedarfs auf diese Weise, und alle Nachbarländer der Schweiz produzieren geothermische Energie.
Das Bundesamt für Energie bleibt optimistisch, dass die Schweiz bald nachziehen wird. Es schätzt, dass bis 2050 7% des nationalen Stromverbrauchs durch Erdwärme gedeckt sein werden.
Um das zu erreichen, müsste ein geothermisches Kraftwerk mit fortschrittlichen Techniken Wasser mit einer Temperatur von über 100 Grad Celsius aus 3000 bis 4000 Metern unter der Oberfläche gewinnen. Doch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wissen nur wenig über die lokalen geologischen Bedingungen tief unter Schweizer Territorium, und die Erkundungsphase geothermischer Projekte ist teuer.
Mehrere Tiefbohrprojekte haben Rückschläge erlitten. In den Jahren 2006 und 2013 injizierten Teams in Basel und St. Gallen eine unter Druck stehende Flüssigkeit in heisses, trockenes, undurchlässiges Gestein tief unter der Erde, um in einem als Enhanced Geothermal Systems (EGS) bekannten Prozess ein künstliches geothermisches Reservoir zu schaffen. Als die Stimulationen jedoch kleinere Erdbeben auslösten, mussten die Pläne aufgegeben werden.
Neue Initiativen
Heute sind in verschiedenen Regionen der Schweiz neue Tests im Gang.
Ein solches Projekt in Haute-Sorne im Kanton Jura sorgte im April für Schlagzeilen, als die Kantonsregierung bekannt gab, dass sie die Genehmigung widerrufen wolle. Dieser Schritt, der aufgrund lokaler Bedenken über die Risiken erfolgte, hat bei den Befürwortern der Geothermie und bei der Schweizer Regierung grosse Besorgnis ausgelöst.
«Die Einstellung dieses Projekts wäre ein schwerer Schlag für andere Geothermie-Kraftwerksprojekte in der Schweiz und würde ein schlechtes Signal aussenden, insbesondere für Investoren, die sich für andere Standorte interessieren», erklärte der Bundesrat diesen Monat.
Gunter Siddiqi vom Bundesamt für Energie räumt ein, dass die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern im Rückstand ist, wenn es um die geothermische Stromproduktion und das Wissen um die besten Quellen geht. Er ist der Meinung, dass das Land keine andere Wahl hat, als weiterhin nach solchen Quellen zu suchen und in sie zu investieren, um die Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien zu erreichen.
«In etwa 20 bis 30 Jahren wird sich das auszahlen», schätzt er.
An der KonferenzExterner Link vom 1. bis 2. September in Winterthur (Schweiz) diskutieren rund 1000 Teilnehmende aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über Themen wie Smart Cities, Energie, Klima und Nachhaltigkeit. swissinfo.ch ist als Medienpartner der Veranstaltung anwesend.
Sibilla Bondolfi
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