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Die Schweiz als Ideenlabor für den Roboter von morgen

«Die Welt braucht Technologien für den Einsatz im Katastrophenfall»

Katastrophen-Roboter in Tierform
Marco Hutter / rsl.ethz.ch

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 machten deutlich, dass bessere Technologien für den Katastrophenfall nötig sind. Dazu gehören etwa Roboter für Such- und Rettungsmissionen. 20 Jahre später zeigt sich, dass Fortschritte in diesen Bereichen immer noch eine echte Herausforderung sind, wie ein führender Schweizer Forscher erklärt.


Marco HutterExterner Link ist Professor für Robotersysteme an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Er gehört zu denjenigen, die in der Schweiz versuchen, die Entwicklung von Robotern voranzubringen, die in Notsituationen mit Menschen zusammenarbeiten oder Opfer retten können.

swissinfo.ch: Wie hat sich der Anschlag vom 11. September 2001 auf Ihr Spezialgebiet ausgewirkt – die Such- und Rettungsrobotik?

Marco Hutter: Ich denke, nach dem 11. September wurde klar, wie schwierig es ist, an Such- und Rettungsrobotern zu arbeiten. Das ist wahrscheinlich einer der schwierigsten und am wenigsten strukturierten Bereiche in der Robotik.

Vor 20 Jahren, zur Zeit des Angriffs auf die Twin Towers und das Pentagon, gab es praktisch keine einsatzbereiten Robotiklösungen. Heute hat sich die Technologie weiterentwickelt, aber der Weg ist noch lang.

Wir können Drohnen entsenden, um Einschätzungen der Lage vorzunehmen. Aber wir sind noch nicht so weit, dass wir wirklich einen Roboter einsetzen können, der in beschädigte Gebäude eindringen und schnell sinnvolle Aktionen durchführen kann. Es wird noch viel Zeit vergehen, bis wir über eine Technologie verfügen, die dazu in der Lage ist.

Jüngerer Mann
Marco Hutter ist Professor für Robotersysteme an der ETH Zürich. ETHZ

Warum ist es so kompliziert, Such- und Rettungseinsätze mit Robotern durchzuführen, obwohl solche immer häufiger benötigt werden, um auf Umwelt- und andere Katastrophen zu reagieren?

Mobilität ist ein technologisch sehr anspruchsvolles Thema. Wir wissen heute, wie man Drohnen in offenen Räumen fliegen lässt oder Roboter in gut strukturierten und bekannten Umgebungen einsetzt.

Der Betrieb in eingestürzten Gebäuden stellt hingegen Herausforderungen an die Mobilität, das Verständnis der Umgebung und die Datenkommunikation, um nur einige Bereiche zu nennen.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Roboter ihre Umgebung nicht nur betrachten und beobachten können, sondern auch sinnvoll mit ihr interagieren. Die Fähigkeit, zugreifen zu können, ist daher grundlegend, aber auch extrem schwierig umzusetzen. Darüber hinaus muss jede Aktion schnell ausgeführt werden, da in Notfällen die Zeit ein kritischer Faktor ist.

Das sind die grössten Herausforderungen. Hinzu kommt, dass jede Situation anders ist und unvorhersehbar sein kann. Für uns ist es etwas Intuitives, unter bestimmten Umständen sofortige Entscheide zu treffen. Für einen Roboter ist dies jedoch überhaupt nicht der Fall.

Was können Roboter im Fall eines Terroranschlags wie jenem vom 11. September konkret tun?

Es gibt zwei Arten von Massnahmen: Die eine besteht darin, das Problem zu verhindern. In dieser Hinsicht hat sich die Technologie im Bereich der Computersicherheits-Systeme erheblich weiterentwickelt.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, nach einer Katastrophe die Folgen abzumildern. In dieser Phase können robotische Lösungen helfen, die Lage zu beurteilen. Das kann entweder durch Drohnen geschehen, die Bilder aus der Luft aufnehmen, oder durch ferngesteuerte Bodenroboter, die in gefährliche Bereiche wie zerstörte Gebäude geschickt werden, um Beurteilungen durchzuführen oder nach Überlebenden zu suchen.

Die Forschung hat für solche Einsätze verschiedene Arten von Fahrzeugen entwickelt, von Robotern mit Raupen oder Beinen bis hin zu schlangenförmigen Systemen, die sich in Trümmern bewegen können.

9/11 Anschläge, eingestürztes Gebäude
Ground Zero, 13. September 2001. Bei Terrorangriffen ist die Arbeit der Rettungskräfte unter den Trümmern immer gefährlich. 2001 Ap

Hat der 11. September diese Schwierigkeiten nicht in gewisser Weise sichtbar gemacht und die Forschung an Robotern für den Einsatz in kritischen Situationen beschleunigt?

Katastrophen wie der 11. September oder Fukushima haben immer die Tendenz, die Forschung in Bereichen wie der Robotik zunächst zu beschleunigen. Aber danach lässt das Interesse nach.

Auf globaler Ebene hat Fukushima beispielsweise das US-Programm «DARPA Robotics Challenge» inspiriert [dieses soll die technologische Innovation im Bereich der von Menschen überwachten Robotik bei Katastrophenbewältigungs-Massnahmen fördern].

In der Schweiz versuchen wir, die Effizienz von Robotern im Katastrophenfall durch das «ARCHE»-ProgrammExterner Link zu verbessern, das für «Advanced Robotic Capabilities for Hazardous Environments» steht [fortgeschrittene Roboterfähigkeiten für gefährliche Umgebungen].

Dabei handelt es sich um ein mehrjähriges Programm, an dem rund 100 Forschende und verschiedene Interessengruppen in der Schweiz beteiligt sind. Es zielt darauf ab, die Unterstützung von Robotern bei Eindämmungsmassnahmen nach Katastrophen zu testen und zu verbessern.

Der Markt für Such- und Rettungsroboter ist jedoch nicht riesig. Es ist nicht sehr attraktiv, in diesem Bereich ein Unternehmen zu gründen. Wir müssen also Wege finden, um den Bereich der Robotik insgesamt voranzubringen und die ausgereifte Technologie beispielsweise in den industriellen Bereich umzuleiten.

Wie werden die Lösungen in der Praxis getestet?

Jeden Sommer verbringen wir im Juli eine Woche auf einem Übungsfeld in Wangen an der Aare, wo auch Rettungsdienste, Feuerwehren und andere Organisationen trainieren und wir Einsätze in eingestürzten, abgebrannten oder überschwemmten Gebäuden simulieren können. Auf diese Weise versuchen wir zu verstehen, was mit Robotern in realen Situationen möglich ist.

Wir simulieren zum Beispiel die Kartierung eines Gebiets zur Suche nach radioaktiven Quellen, indem wir ferngesteuerte Bagger einsetzen, um Trümmer zu beseitigen. Oder wir schicken Roboter mit Beinen in ein Gebäude, um eine erste Lagebeurteilung vorzunehmen.

Das Programm, das gemeinsam von Armasuisse [Bundesamt für Rüstung], der ETH Zürich und der Ausbildungseinheit Genie/Rettung/ABC [der Schweizer Armee] organisiert wird, bezieht Studierende und Forschende aus der ganzen Welt sowie Zivilpersonen und militärische Katastrophenhilfe-Organisationen mit ein. Wir möchten mehr und mehr Interessengruppen und Rettungskräfte in das Projekt einbeziehen, um die Technologie in einem realistischen Szenario zu testen.

Es gibt zwar auch in Österreich und Deutschland ähnliche Initiativen, aber jene der Schweiz ist ein echtes Rahmenprogramm, das die gesamte Forschung in diesem Bereich im ganzen Land zusammenfasst.

Für die an der Forschung beteiligten Personen sind diese Simulationen wichtig, um die tatsächlichen Probleme zu verstehen. Es ist leicht, sich in der Theorie zu verlieren und Lösungen zu entwickeln, die in der Praxis nicht wirklich hilfreich sind. Sich den Problemen anzunähern, hilft uns, die zentralen Fragen zu erkennen, auf die wir Antworten finden müssen.

Marco Hutter mit dem Roboter ANYmal
Marco Hutter mit dem Roboter «ANYmal». Dieser Vierbeiner, der in schwierigen Umgebungen operieren kann, wurde von ihm und seinem Team im Startup-Unternehmen «ANYbotics» entwickelt, das aus dem Labor für Robotersysteme der ETH Zürich hervorgegangen ist. ETHZ

Welche Technologien könnten im Fall eines neuen 11. September für Such- und Rettungszwecke eingesetzt werden?

Drohnen sind zu einem Standardwerkzeug geworden und würden sicherlich für eine schnelle Einschätzung aus der Luft eingesetzt werden. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren enorme Fortschritte bei der Mobilität unbemannter Bodenroboter durch den Einsatz von Roboterbeinen erzielt.

Ich spreche hier von vierbeinigen, tierähnlichen Robotern, die in einigen der schwierigsten Umgebungen eingesetzt werden können. Beispielsweisse in Minen, Abwasserkanälen oder Wäldern.

Zusammen mit meiner Gruppe an der ETH Zürich und dem Startup-Unternehmen «ANYbotics» haben wir den vierbeinigen Roboter «ANYmal»Externer Link entwickelt. Mit seinen vier Beinen kann sich dieser Roboter auf unebenem Gelände bewegen. Das ist sehr nützlich, um Erkundungen in verschiedenen schwer zugänglichen, für Menschen gefährlichen Umgebungen durchzuführen.

Könnte ein Roboter wie «ANYmal» auch die Bergrettung erleichtern, zum Beispiel in den Schweizer Alpen?

Die Überwindung grosser Entfernungen in kurzer Zeit und mit geringem Energieverbrauch ist eine Herausforderung für Systeme mit Beinen. Diese Roboter können mehrere Kilometer zurücklegen, aber für gross angelegte Suchaktionen in den Bergen ist das wahrscheinlich nicht genügend.

In diesem Fall kann es viel nützlicher sein, Drohnen mit festen Flügeln zu verwenden [die mit ihren Flügeln Auftrieb erzeugen und daher ihre Batterien weniger rasch aufbrauchen], welche die Suchaktivitäten unterstützen können.

Doch trotz all dieser Fortschritte sagen Sie, dass es keinen Markt für diese Roboter gibt. Wie ist das möglich?

Die Frage ist: Wer kauft sie? Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste sind notorisch unterfinanziert, mit Ausnahme einiger Militärkorps. Ausserdem können sie es sich nicht leisten, Prototypen für Forschungszwecke zu kaufen. Sie benötigen solide und funktionierende Systeme, wodurch eine enorme Kluft zwischen der Forschung und der Umsetzung der entwickelten Lösungen in der Praxis entsteht.

Deshalb müssen wir Wege finden, Robotersysteme zunächst auf kleineren und weniger anspruchsvollen Märkten zu vermarkten und sie dann für Such- und Rettungszwecke zugänglich zu machen. Leider braucht das viel Zeit.

Deshalb sind die Fortschritte in diesem Bereich der Robotik so langsam. Dennoch ist die Forschung im Bereich der Rettungssysteme sehr wichtig, auch wenn es nicht so scheint. Heute braucht die Welt Technologien, die in der Lage sind, Menschen zu retten.

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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