Der Schweizer, der auf der digitalen Welle reitet
Der Tessiner Bruno Giussani erkannte als Journalist früh die Potenziale des Webs. Er lancierte die erste Schweizer News-Website und wurde später Internet-Unternehmer. Seit 14 Jahren baut Giussani am TED-Imperium mit, einer starken Plattform für Ideen und Innovation im digitalen Zeitalter. Er ist der dritte Digitalpionier, den wir in unserer Serie porträtieren.
Sie haben es alle getan: Papst Franziskus, Microsoft-Gründer Bill Gates, Techniksoziologin Zeynep Tufekci, EU-Kommissionmitglied Margrethe Vestager, Datenschützer Malte Spitz. Sie haben einen TED-Talk gehalten, den der Tessiner Bruno Giussani kuratiert hatte. Und der millionenfach angeklickt wurde.
Die Einladung, einen TED-Talk zu halten, ist im digitalen Zeitalter eine Art Ritterschlag. Inzwischen hat Giussani hunderte von TED-Talks kuratiert, Themen gesetzt und aus interessanten Persönlichkeiten rhetorisch das Beste herausgeholt.
2005 stösst Giussani zur Non-Profit-Organisation TED, die in Nordamerika Konferenzen veranstaltet. Als TED Global Director entwickelt er die Konferenzen weltweit mit und ist massgeblich an ihrer Digitalisierung beteiligt.
In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch «ON | OFF».
Heute ist TED vor allem für die kostenlos digital verbreiteten Talks bekannt. Früher wurden dort Innovationen wie der erste Macintosh vorgestellt. Längst befasst sich TED mit mehr als Technology, Entertainment und Design.
Für sein Engagement bei TED wird Giussani 2015 mit dem Swiss Award ausgezeichnetExterner Link und das Technologie-Magazin WiredExterner Link wählt ihn unter die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten in Europa.
Journalist, Unternehmer, Tausendsassa
Vom Web ist Bruno Giussani von Beginn weg fasziniert und erkennt bald, dass diese Technologie zu gesellschaftlichem Wandel führen wird. Als er 1994 aus New York zurückkehrt, schreibt er den ersten grossen Magazin-Artikel in der Schweiz über die digitale Zukunft.
Bald darauf beginnt der Tessiner mit italienischen Wurzeln, zusammen mit Kollege José Rossi, für die Wochenzeitschrift L’Hebdo die erste journalistische News-Website der Schweiz zu bauen. «Damals hatten nur die Europäische Organisation für Kernforschung CernExterner Link und einige Universitäten eine Website», erzählt Giussani via Skype. «Die erste L’Hebdo-Website war eine Guerilla-Aktion», schmunzelt er. «Der Ringier-Verlag wusste nichts davon.»
1995 erhält er einen Preis für Technik-Journalismus und wird Internet-Unternehmer. Zu dieser Zeit muss man auf eine Zürcher Telefonnummer anrufen, um sich aus dem Tessin per Modem ins Internet einzuwählen. Ein Inland-Ferngespräch war entsprechend mit hohen Gebühren verbunden.
Mit fünf Freunden gründet er die Firma Tinet, den ersten Internet-Provider der italienischen Schweiz. Ein Jahr später wird er europäischer Technologie-Korrespondent der New York Times und schreibt dort über drei Jahre zahlreiche Online-KolumnenExterner Link unter dem Titel Eurobytes.
Danach zeigt sich in seiner Biografie, was ihn heute noch antreibt: die Schnittstelle von Konferenzen und Technologie. Das World Economic Forum holt ihn 1998 als Online-Strategen, und später hilft er bei der Gründung verschiedener Technologie-Konferenzen wie der Lift in GenfExterner Link oder der DLD in MünchenExterner Link.
Kurz vor dem Jahrtausendwechsel lanciert er die Europa-Ausgabe des Magazins The Industry Standard von Zürich aus mit. «Heute kennt das niemand mehr», erzählt er. «Aber damals war das ‹die Bibel der Internet-Wirtschaft›.» Lange dauerte es nicht bis die Dotcom-Blase platzt. Damit ist auch Schluss mit dem Magazin. Giussani schreibt ein Buch über die Zukunft des mobilen InternetsExterner Link.
Als Giussani 2005 zu TED stösst, sind nur etwa zehn Personen dabei, und es gibt weder Web-Videos noch «TEDx». Heute arbeiten 240 Personen bei TED, und man setzt vollständig auf die digitale Verbreitung der Inhalte. Nur dadurch können die Talks in 100 Sprachen angeboten werden, ein Millionenpublikum erreichen und dem übergeordneten Ziel der globalen Wissensverbreitung gerecht werden. Die kostenlosen Talks im Web werden durch teure Tickets an den Konferenzen querfinanziert.
Tessin global
Unsere Wege kreuzen sich 2007 am ersten Blog Camp SwitzerlandExterner Link an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Es ist eine Konferenz im «Barcamp-Format», organisiert vom Digitalpionier Peter HogenkampExterner Link.
Bruno Giussani spricht über das Bondy BlogExterner Link, ich über digitale Demokratie, Evgeny MorozovExterner Link darüber, wie desillusioniert er bezüglich des Internets sei. Zu diesem Zeitpunkt ist der Multitasker Giussani bereits bei TED eingestiegen. TED-Talks sind mir jedoch damals noch kein Begriff.
Beim Mittagessen erzählt er mir mehr über sein Engagement mit der L’Hebdo-Redaktion für das innovative Projekt Bondy Blog, das Menschen aus der Banlieue über das Web eine globale Stimme gibt. Ausserdem erzählt er mir am Rand der Konferenz, er blogge für die aufstrebende Huffington Post, was mir imponiert.
Zwölf Jahre sind seither vergangen. Heute erwische ich ihn in Lausanne zwischen der grossen TED-2019-Konferenz in Vancouver und einem TED-Summit in Edinburgh. Wieder sprechen wir Englisch, obwohl er neben Italienisch auch fliessend Französisch schreibt und Deutsch und Spanisch spricht. Giussani ist mindestens die Hälfte des Jahres global unterwegs. Sein Dreh- und Angelpunkt bleibt aber das Tessin.
Inzwischen ist er ein prägendes Gesicht von TED und wird hauptsächlich als globaler Kurator von TED wahrgenommen. Wie ein guter Mannschafts-Captain präsentiert er sich aber als Leader, der das Team und die Teamleistung in den Vordergrund stellt. Bei TED geht es um die Rednerinnen und Redner mit ihren Ideen und Innovationen. Manchmal begrüsst er das Publikum einer TED-Konferenz. Zwischendurch führt er auch Interviews, zum Beispiel neulich mit WWW-Erfinder Tim Berners-Lee zum 30-jährigen Jubiläum des Webs.
Wie 3G, so 5G
Den 3G-Boom hat Giussani hautnah miterlebt und daher eine klare Meinung zu den aktuellen Debatten um 5G: «Das Land braucht 5G, aber nicht so.» Für 5G brauche es mehr als fünfmal mehr Antennen wie bisher, und die Strahlung sei stärker.
Die Schweiz sei zu klein, um drei verschiedene Netze dieser Kapazität zu bauen. Wie er schon bei 3G sagte: «Man sollte die Autobahn und die Autos trennen, d.h. das Mobilfunknetz und die Telefone.»
Seine Vision war damals wie heute ein einziges optimales Netzwerk – statt mehrere suboptimale. Der Wettbewerb zwischen den Mobilfunkfirmen wäre dann beim Kundenservice und den Geräten und nicht bei der Frage, wo ein Mobilfunkprovider seine Antennen hinstellen kann. «So baut jede Autofirma ihre eigene Autobahn, und keine ist technisch optimal.»
Auch die Schweiz hat ein Silicon Valley
Wie steht es um digitale Innovationen in der Schweiz? «Viele Leute denken, Innovation im Technologiebereich komme nur aus dem Silicon Valley. Das stimmt gar nicht. Nur schon zwischen Genf und Lausanne sind mehr als 30 Robotik-Startups angesiedelt.» Das gute Forschungsumfeld helfe der Innovation sehr: Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL), ETH, das Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Lugano.
Eher kritisch sieht Giussani, dass es als Erfolg gefeiert werde, wenn Schweizer Tech-Startups von grossen Silicon-Valley-Firmen gekauft werden. «Das ist für die Schweizer Volkswirtschaft ein klares Minus.» Und viele vergessen, was in China im Bereich Künstliche Intelligenz, Gesichtserkennung, mobile Zahlungen und Social Media passiert. «China ist in diesen Bereichen weiter als das Silicon Valley.»
Und die Demokratie?
Wie sieht er die Schweiz im Bereich E-Voting? «Ich habe nichts gegen offene Märkte. Aber ich finde es absurd, dass ein Land wie die Schweiz ihr E-Voting-System in Spanien entwickeln lässt.» E-Voting brauche wohl noch mehrere Überarbeitungsrunden aus sicherheitstechnischen und rechtlichen Gründen.
Aber im Zusammenhang mit digitaler Demokratie sieht er das E-Voting ohnehin nicht als zentral. «Demokratie ist Debatte und Überlegung bis zur Konsensfindung.» Die Rolle von Facebook und Twitter sieht er in vielen Ländern als demokratiepolitisch gefährlich. Die Schweiz sei bisher zwar eher verschont geblieben, müsse aber diese Plattformen stark im Auge behalten.
Giussanis Web-Erfahrungshorizont erstreckt sich von Journalismus über das Web, und im Web hin zu Online-Strategie, Internet-Firmen, Digital-Konferenzen und nun Konferenzen im digitalen Zeitalter. Wenige sind aus solch vielfältigem digitalem Holz geschnitzt. Die Faszination für Technologie liegt für Bruno Giussani nicht so sehr in der Technik selbst, sondern im möglichen Einfluss auf Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Das treibt ihn bis heute an.
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