Die stille Revolution am Schweizer Himmel
Die Zukunft der Luftfahrt ist elektrisch. Davon sind Pioniere, welche die Fliegerei als Klima-Sünderin revolutionieren wollen, überzeugt. Zu ihnen zählt auch der Schweizer Marc Corpataux. Kürzlich wurde das weltweit erste Elektromotor-Flugzeug, das in Slowenien produziert wird, auch bei uns zertifiziert. Heben Sie mit Capitaine Corpataux und uns ab und erfahren Sie, wie sich das Fliegen in der Zukunft anfühlt.
Das erste, was auffällt ist der Lärm – oder eher das Fehlen eines Lärms. Während wir zur Startbahn fahren, hört sich das Surren des Elektromotors im Innern des winzigen Cockpits eher an wie ein lauter Geschirrspüler.
Marc Corpataux, der Pilot, geht seine Sicherheits-Checkliste durch: «Batterien voll? Check!» Er erhöht die Drehzahl. Das zweisitzige Trainingsflugzeug Pipistrel Velis Electro beschleunigt auf dem schmalen Flugplatz im Westschweizer Ecuvillens. Ein kurzes Ziehen am Steuerknüppel, und wir sind in der Luft.
Mühelos steigen wir auf über eine herbstliche Hügellandschaft. Ein perfektes Trainingsflugzeug, sagt Corpataux. «Sehr einfach zu fliegen, sehr stabil in der Luft.» Während wir etwas später schon über Bergtäler kreuzen, nimmt er kurz die Hände vom Steuerknüppel, um die Flugstabilität der Maschine zu demonstrieren. Dann kippt er den Flieger scharf nach rechts. Unten taucht der dunkelgrüne Schwarzsee auf. Als Corpataux wieder hochzieht, verschwindet für uns der See in den Himmel.
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Erobern elektrische Flieger bald den Himmel?
«Seine maximale Flugzeit liegt bei 45 Minuten, was einer typischen Flugstunde entspricht. Damit können wir hier in Ecuvillens sieben Flugrunden absolvieren. Der Flieger ist perfekt für den Flugunterricht, seine Mission sind nicht wirklich längere Flüge übers Land», sagt er.
Das elektrische Flugzeug ist keine Schnecke: Sein 78 PS starker Elektromotor erlaubt eine Höchstgeschwindigkeit von 181 km/h (98 Knoten). Am erstaunlichsten aber ist sein leiser Motor. Offiziell hat das Flugzeug einen maximalen Lärmpegel von 60 Dezibel (dBExterner Link). Das soll der Lautstärke eines normalen Gesprächs entsprechen.
«Es ist etwa halb so laut wie ein gleich grosses Leichtflugzeug», sagt Corpataux. «Wenn man am Boden ist, kann man den Propeller beim Start hören. Aber ist es erst einmal an Ihnen vorbeigezogen, werden Sie es nicht mehr hören.»
Flugschulen
Corpataux ist Chef von «AlpinAirPlanes», das er in Ecuvillens, südlich der Stadt Freiburg, zusammen mit zwei Kollegen leitet. Als offizieller Pipistrel-Vertriebspartner nahm er im Juli das erste von 14 Velis-Electro-Flugzeugen in Empfang. Seine Firma will 12 davon an Flugschulen in der ganzen Schweiz vermieten; sieben Verträge sind bereits unterzeichnet.
Bei den Flugschulen ist die Nachfrage nach Elektroflugzeugen hoch – weil sie so leise sind. «Jeder Flugplatz kennt das Problem: Nachbarn beschweren sich über Fluglärm», sagt er. «Fluganfänger müssen so viele Starts und Landungen wie möglich absolvieren. Sie kurven deshalb immer in der Nähe des Flugplatzes herum. Das sorgt den ganzen Tag für Lärm. Da ist ein Flugzeug, das man kaum hört, ein riesiger Vorteil, der jede Flugschule interessiert.»
In einem so dicht bewohnten Land wie der Schweiz sind lokale Proteste gegen Fluglärm nicht aussergewöhnlich. Ende September organisierten über 100 Anwohner, die in der Nähe des Lausanner Flughafens Blécherette wohnen, einen Protest. Sie beschwerten sich über die jährlich 36’000 Flüge, den Lärm und die Umweltverschmutzung. Und sie verlangten die Schliessung des Regionalflugplatzes.
Elektrischer Markt
Aber wann werden am Schweizer Himmel tatsächlich mehr elektrische Flieger zu sehen sein? Die Luftfahrtindustrie steht unter Druck, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Allerdings werden grössere vollelektrische Flugzeuge der Kurzstreckenklasse mit 150 bis 200 Passagieren voraussichtlich nicht vor den 2030er- bis 40er-Jahren abheben.
Derweil sollen bis 2029 hybride Flugzeuge mit bis zu 100 Passagieren im kommerziellen Betrieb zum Einsatz kommen. Dies gemäss dem britischen Triebwerk-Hersteller Rolls-Royce.
Die Schweizer Grossbank UBSExterner Link prognostiziert bis 2040 einen Luftfahrtmarkt für hybrid und elektrisch betriebene Maschinen von 178 Milliarden Dollar. Der deutsche Mischkonzern Siemens sagt voraus, dass der elektrische Antrieb für alle Flugzeugtypen bis 2050 die «Standardlösung» sein werde.
Das Interesse nimmt gegenwärtig stark zu. Gemäss einem Bericht des Beratungsunternehmens Roland BergerExterner Link nahm die Entwicklung von elektrisch angetriebenen Flugzeugen 2019 um 30 Prozent auf mehr als 200 Projekte zu.
Fans von elektrisch angetriebenen Flugzeugen betonen das Versprechen von leiseren, preiswerteren Flügen, tieferen Wartungskosten und einer Technologie, welche die Emissionen der Luftfahrt eindämmen könnte. Denn diese nehmen weiterhin stetig zu, weil sich der Luftverkehr alle 15 Jahre verdoppelt. Theoretisch könnten die Flughäfen dank der leiseren Flieger auch längere Betriebszeiten einführen.
Das kleine Trainingsflugzeug Velis Electro kostet 188’620 Franken. Laut Corpataux sind die Betriebskosten viel tiefer als bei gewöhnlichen Flugzeugen mit Verbrennungsmotor, und der Unterhalt soll nur einen Drittel kosten.
Die Herstellerin Pipistrel ist stolz auf das grüne Image des Flugzeugs. Die Firma rühmt sich, dass das Elektroflugzeug «keine Verbrennungsgase» produziere. Der Mietvertrag mit «AlpinAirPlanes» umfasst für jede Flugschule zusätzlich 150’000 Quadratmeter Solarpaneele. Diese können 30’000 Kilowattstunden (kWh) Strom produzieren, was 1200 Flugstunden entspricht.
Ein elektrisches Ladegerät kann die beiden Batterien am Boden innerhalb einer Stunde wieder aufladen. «Langfristig planen wir bei diesem Projekt, ein Netzwerk von Ladegeräten zu schaffen, damit man mit einem Elektroflugzeug über die Schweiz fliegen kann», sagt der Pilot.
Schwere Batterien
Aber genau bei den Batterien harzt es in der Elektrofliegerei noch. Während die Nachfrage nach elektrisch betriebenen Autos enorme Entwicklungen bei Batterien und Systemen vorantreibt, steht die Luftfahrt noch vor immensen technischen Herausforderungen. Die Batterien und Brennstoffzellen sind einfach noch viel zu schwer.
Der Velis Electro wird von zwei wassergekühlten, parallel geschalteten Lithium-Batterien mit je 11 kWh Leistung angetrieben. Damit das Flugzeug im Gleichgewicht bleibt, ist die eine in der Nase und die andere hinter der Kabine platziert. Sollte eine der Batterien ausfallen, würde die andere immer noch genügend Energie liefern, um das Flugzeug in der Luft zu halten.
Der Motor selber ist mit 11 Kilogramm klein und leicht. Jede der Batterien aber wiegt 70 Kilo. Zusammen machen sie etwa ein Drittel des Gesamtgewichts des Flugzeugs aus. Damit begrenzen sie natürlich seine Reichweite.
Herstellerin des zweisitzigen Leichtflugzeugs ist die slowenische Firma Pipistrel. Der Elektroflieger kostet 188’620 Franken. Er gehört zur Kategorie der leichten Sportflugzeuge und wird hauptsächlich für die Piloten-Grundausbildung eingesetzt.
Der Velis Electro besteht aus Verbundwerkstoffen. Leergewicht: 428 kg; Bruttogewicht 600 kg. Länge: 6,4 m; Flügelspannweite: 10,7 m.
Der Elektromotor hat eine Leistung von 57,6 kWh oder 78 PS. Angetrieben wird er durch zwei Lithium-Batterien mit je 11 kWh Leistung. Dies ermöglicht eine maximale Flugzeit von 50 Minuten, zuzüglich einer zehnminütigen Reserve.
Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 181 km/h, die Reisegeschwindigkeit 170 km/h.
Trotzdem ist der Freiburger Unternehmer überzeugt, dass die Entwicklung im Bereich Batterien rasch voranschreiten wird. Er hat vor, die Batterien in zwei Jahren auszuwechseln. Dann erwartet er, dass stärkere zur Verfügung stehen werden. Statt 45 Minuten oder 120 Kilometer lang in der Luft zu bleiben, glaubt er, mit kräftigeren Batterien doppelt so lang fliegen zu können.
Unterstützung vom Bund
Der Markt entwickelt sich schnell. Corpataux sagt voraus, dass in der Schweiz bald grössere elektrische Flugzeuge für regionale Flüge eingesetzt werden könnten. Er glaubt aber eher, dass es hybride Elektroflieger und solche mit Wasserstoff-Brennstoffzellen sein werden. Letztere haben eine höhere Dichte und sind leichter, was mehr Leistung bedeutet.
«In der Zukunft werden wir geräuschlose Flugzeuge haben, auch wenn sie grösser und schwerer sind. Man kann rein elektrisch starten und den Hybrid in der Luft einschalten. Wir glauben, dass diese neue Technologie junge Menschen zum Fliegen animieren kann und die Luftfahrt-Community wachsen wird», sagt er.
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Leise surren die Motoren
Auf jeden Fall kann diese Community auf die Unterstützung des Bundes zählen. Die Behörden waren schnell bereit, das elektrische Projekt Pipistrel und die Präsenz von Elektroflugzeugen auf Schweizer Territorium zu nutzen. So könnten «wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse für die Zulassung emissionsarmer Flugzeuge mit umweltfreundlichem Antrieb gewonnen werden», hiess es in einer Mitteilung der BundesbehördenExterner Link.
Die Auslieferung des ersten Velis Electro im Juli fiel mit der Erteilung der Zulassung für das Elektroflugzeug durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) zusammen. Dies nach einem dreijährigen Zertifizierungsprozess von anderen Luftfahrtbehörden und der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA). Bisher wurden im Bereich Kleinflugzeuge nur Verbrennungsmotoren geregelt.
Laut Corpataux waren BAZL-Vertreter vom Anfang des gesamten Prozesses bis zur Auslieferung beteiligt. «Sie waren glücklich, die letzte Hürde genommen zu haben», sagt er. «Für diesen kleinen Flieger waren bis zu 50 Personen an der Zertifizierung beteiligt. Sie können daran sehen, wie wichtig diese war. Es mag nur ein kleiner Zweisitzer sein, aber ein grosser Schritt für die Luftfahrt.»
Auf der Anzeigetafel im Cockpit blinkt plötzlich ein Licht: Die Batterien haben noch eine Kapazität von weniger als 30 Prozent. Es ist Zeit, zurückzukehren. Corpataux drosselt den Motor, lässt uns über dichte Wälder gleiten und sanft in Ecuvillens landen. Die Kühe auf dem Feld in der Nähe würdigen uns kaum eines Blicks.
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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