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Elon Musks fragwürdige Rolle bei der Entwicklung von Gehirnimplantaten

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Elon Musk war 2016 Mitgründer von Neuralink. Ziel des Unternehmen ist die Verbindung des menschlichen Gehirns mit künstlicher Intelligenz. Keystone / Patrick Pleul

Elon Musk ist nicht nur der neue Eigentümer von Twitter, sondern auch Chef eines Unternehmens, das Neurotechnologien zum Implantieren ins Gehirn entwickelt. Gemäss einem Schweizer Ethiker stellt diese Konstellation einen offensichtlichen Interessenkonflikt dar, und er warnt vor grossen Risiken.

Elon Musk ist der reichste Mensch der Erde. Der US-amerikanische Tycoon steht an der Spitze zahlreicher innovativer Hightech-Unternehmen, darunter Tesla und SpaceX.

Und er sorgt ständig für Aufsehen. Ende Oktober übernahm er Twitter und erweiterte so sein digitales Imperium. Er selbst zählt auf Twitter mehr als 110 Millionen Follower.

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Seine visionäre und umstrittene Persönlichkeit bringt manche Leute zum Schmunzeln, andere sind eher beunruhigt. Musk hegt nicht nur Ambitionen, die Welt zu digitalisieren und den Mars zu besiedeln.

Er glaubt auch, dass er eines Tages das menschliche Gehirn mit künstlicher Intelligenz verknüpfen könne. Zu diesem Zweck gründete er 2016 das Unternehmen NeuralinkExterner Link, das neuronale Schnittstellen herstellen soll, die in das Gehirn implantiert werden und eine Kommunikation mit Computern ermöglichen sollen.

Diese Geräte, so genannte Brain-Computer-InterfacesExterner Link, sind noch weit von den gesetzten Zielen entfernt und wurden bisher hauptsächlich an Affen und Schweinen erprobt.

Doch dank der Daten der rund 330 Millionen aktiven Twitter-Nutzer:innen könnte Neuralink an den Punkt gelangen, invasive Neurotechnologien zu entwickeln. Gemeint sind Gehirnimplantate, die das Gehirn von Menschen lesen und sogar manipulieren können, um ihr Verhalten, ihre Erinnerungen, Gedanken und Emotionen zu beeinflussen. Das zumindest befürchtet Marcello IencaExterner Link, Experte für die Ethik der Neurotechnologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).

Die Schweiz ist sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Regulierung von Technologien, die eine Schnittstelle zum menschlichen Nervensystem bilden, sehr aktiv. Nach Ansicht von Ienca wird die kleine Schweiz aber dem Vormarsch von Systemen und Plattformen, die in der Lage sind, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wenig entgegensetzen können.

swissinfo.ch: In einem TweetExterner Link haben Sie erklärt, dass Elon Musk «moralisch untauglich» sei, um gleichzeitig Twitter zu präsidieren und Chef des Unternehmens Neuralink zu sein. Warum?

Marcello Ienca: Ich finde es äusserst beunruhigend, wenn ein- und dieselbe Person, die eines der weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Neurotechnologie besitzt, auch Eigentümer einer sozialen Plattform ist, welche sensible Daten von Millionen von Nutzer:innen sammelt. Bei der erwähnten Technologie geht es um eine Technologie, die in das menschliche Hirn implantiert werden soll.

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Meiner Meinung nach sollten sich alle Personen, die sich mit Neurotechnologien beschäftigten, die das menschliche Gehirn auswerten und beeinflussen, an sehr hohe moralische Standards halten. Das ist bei Elon Musk nicht der Fall. Wir sprechen hier von einer exzentrischen Person, die den eigenen Twitter-Account bereits nutzt, um als oberster Web-Troll aufzutreten.

Er versucht über diese Plattform die Marktperformance seiner Unternehmen zu beeinflussen und Millionen von Wählerinnen und Wählern politisch zu beeinflussen, wie wir soeben während des Wahlkampfs für die US-Zwischenwahlen gesehen haben (Musk forderte die Wählerschaft auf, für die Republikaner zu stimmen, Anm. d. Red.)

Nichts in seinem Verhalten deutet darauf hin, dass er bereit ist, aus ethischen Gründen auf die Manipulation der öffentlichen Meinung zu verzichten. Aus diesem Grund ist er ungeeignet, Technologien mit Schnittstellen zum menschlichen Gehirn zu entwickeln. Beim Gehirn sprechen wir von einem Bereich von höchster moralischer Bedeutung. 

Marcello Ienca Pic
Marcello Ienca ist Forscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne und Experte für Ethik im Bereich Neurotechnologie. Er ist zudem Mitglied des Lenkungsausschusses für Neurotechnologie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). marcello ienca

Zwischen Neuralink und der Social-Media-Plattform Twitter gibt es zumindest auf dem Papier keinerlei Verbindung. Wie könnten Tweets bei der Entwicklung von neurotechnologischen Geräten nützlich sein, die den menschlichen Verstand zu beeinflussen?

Ein Tweet kann eine Menge über eine Person aussagen. Er kann nicht nur Aufschluss über politische und religiöse Überzeugungen geben, sondern auch über Gedanken, Gefühle und Seelenzustände. Dank der künstlichen Intelligenz ist es möglich, die Gefühle einer Person auf der Grundlage der verbalen Sprache zu analysieren.

Dieses Verfahren nennt sich Natural language processing for sentiment analysis (Natürliche Sprachverarbeitung für Stimmungsanalyse). Es ermöglicht, aus einem Tweet psychografische Informationen über eine Person mit einem hohen Grad an statistischer Zuverlässigkeit abzuleiten (das heisst: eine Klassifizierung von Nutzer:innen auf der Grundlage persönlicher und psychologischer Merkmale zu erstellen; Anm. d. Red.)

Auf diese Weise lässt sich beispielsweise feststellen, ob eine Person eher positiv oder negativ, risikofreudig oder ängstlich ist, um sie dann mit Werbekampagnen oder gezielten Informationen einzudecken, egal ob diese wahr oder falsch sind. Ein Beispiel für ein solches Vorgehen war der Skandal um die Firma Cambridge AnalyticaExterner Link, die psychografische Profile erstellte, indem sie missbräuchlich auf die Daten von Facebook-Nutzern zugriff, um diese politisch zu beeinflussen.

Im Moment ist es schwierig, solche hochsensiblen Informationen aus den Gehirndaten von Neurotechnologie-Nutzer:innen zu extrahieren, nicht zuletzt, weil die Zahl der Nutzer:innen begrenzt ist.

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Kombiniert man diese Hirndaten jedoch mit den psychografischen Daten von Millionen von Twitter-Nutzer:innen, kann man die Möglichkeiten der Neurotechnologie erheblich erweitern. Auf der Grundlage psychologischer Merkmale lassen sich Menschen verstehen und klassifizieren, um sie stärker beeinflussen und manipulieren zu können.

Auch Facebook hatte diesen Weg 2018 eingeschlagen und mit der Entwicklung einer Gehirn-Computer-Schnittstelle begonnen. Doch Facebook-Chef Mark Zuckerberg stellte dieses Projekt später wohl aus Kostengründen ein.

Müssen wir folglich damit rechnen, dass die unter Elon Musk entwickelte Neurotechnologie bald in der Lage sein wird, den menschlichen Geist zu lesen und zu beeinflussen?

Das ist wahrscheinlich. Die Neurotechnologien ermöglichen heute kein umfassendes Lesen von Gedanken, aber sie sind bereits in der Lage, statistische Wechselbeziehungen zwischen Gehirndaten und psychologischen Informationen herzustellen.

Dies wirf Fragen in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre auf. Wenn die Zahl der Nutzer:innen (und damit der Daten) steigt, wird auch das Risiko grösser, dass die Geräte stärker in die Privatsphäre eingreifen.

Dabei geht es nicht mehr nur um die Behandlung von Patienten mit psychischen und neurologischen Problemen, die von diesen Technologien in der Tat enorm profitieren könnten, sondern es geht um die Kommerzialisierung von Geräten, die von immer mehr Menschen genutzt werden können, um die Gehirnaktivitäten aufzuzeichnen.

Dahinter verbirgt sich das Ziel, mentale Prozesse, die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis zu optimieren. Auf dem Markt gibt es bereits Geräte, die Fitness-Trackern wie Fitbit ähneln, um den Schlaf sowie Aufmerksamkeits- und Angstzustände zu überwachen. Mit einigen Apps lassen sich sogar physische Objekte mit den Gedanken steuern.

Ist die Schweiz in der Lage, den Risiken der Neurotechnologie etwas entgegen zu setzen und die Privatsphäre ihrer Nutzer:innen zu schützen?

Die Schweiz ist vielleicht eines der am besten positionierten Länder der Welt in Bezug auf die Untersuchung der ethischen und sozialen Auswirkungen der Neurotechnologien. Dies gilt auch für die Entwicklung innovativer Regulierungsinstrumente zur Bewältigung dieser Herausforderungen.

Der Bund hat sich aktiv an der Erarbeitung der OECD-Empfehlungen zur verantwortungsvollen Innovation in der NeurotechnologieExterner Link beteiligt, die nun den ersten internationalen Standard zu diesem Thema darstellen. Und Organisationen wie GESDAExterner Link (Geneva Science and Technology Diplomacy Anticipation Summit) haben die Neurotechnologie ins Zentrum ihrer Aktivitäten gestellt.

Allerdings wäre die Schweiz allein gegen Musk oder ein anderes globales Unternehmen machtlos. Die Möglichkeiten der Schweiz zum Schutz der Privatsphäre und der geistigen Integrität einer relativ kleinen Nutzer:innengemeinschaft sind begrenzt.

Im Gegensatz dazu hätte die EU mit ihren mehr als 400 Millionen Einwohner:innen ein weit grösseres Verhandlungspotenzial, denn für Musk wäre es unangenehm, auf diese grosse Einzugsgebiet an Nutzer:innen zu verzichten.

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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