Paul Schneller, Reptilienflüsterer
Paul Schneller hat sich als erster Tierarzt der Schweiz in einer privaten Exotenpraxis auf exotische Tiere spezialisiert. swissinfo.ch hat ihm bei seiner Arbeit über die Schulter geschaut.
Die Patientin liegt rücklings ausgestreckt auf dem Operationstisch. Die Wirkung der Anästhesie hat eingesetzt und Paul Schneller ist bereit für den Schnitt. Doch bevor er die Klinge an der geschuppten Haut ansetzt, hält er einen Moment inne. «Ich möchte nichts riskieren. Vielleicht wäre es besser, sie einfach so weiterleben zu lassen», murmelt er.
Die streifenköpfige Bartagame, ein aus Australien stammendes Reptil, hat einen Tumor in Herznähe. Nach erneutem Abtasten der betroffenen Zone beschliesst der Tierarzt, den Eingriff vorzunehmen. «Viele Tierbesitzer kommen zu mir und bitten mich inständig, ihr Tier nicht sterben zu lassen. Ich tue dann jeweils mein Bestes», sagt Schneller.
Schlangen, Echsen, Schildkröten, Chamäleons, exotische Vögel und Nagetiere: Seit fast zwanzig Jahren kommen bei Paul Schneller Heimtiere unters Messer, mit denen ein normaler Tierarzt möglicherweise seine liebe Mühe hätte.
«Mir bringt die Arbeit mit diesen Tieren nur Vorteile. Im Unterschied zu Hunden und Katzen bellen und kratzen sie nicht», meint er amüsiert.
Eine Echse mag ja noch als harmlos durchgehen. Aber wie ist es mit den Schlangen? «Ich bin schon von Boas und Pythons gebissen worden. Bei den ungiftigen Schlangen passe ich nicht immer so auf», verrät Paul Schneller.
Im Umgang mit einer Kobra oder einer Viper ist er dann aber hochkonzentriert. «Da konzentriere ich mich wie ein Läufer vor dem Rennen.»
Wo liegt das Problem?
Die Schwierigkeit bei der Behandlung exotischer Tierarten liegt vor allem darin, zu erkennen, wo das Problem liegt. «Reptilien und Vögel zeigen nicht, dass ihnen etwas fehlt. Das ist der Überlebensinstinkt, denn, wenn sie Schwäche zeigten, würde sie dies für Raubtiere noch verletzlicher machen.
Der Besitzer merkt aber, wenn mit dem Tier etwas nicht stimmt. Wenn es zum Beispiel nicht aus seinem Unterschlupf kommt oder nicht frisst», erklärt Paul Schneller.
Zu den am weitesten verbreiteten Problemen gehören Parasiten und Lungenentzündungen. Laut Schneller, der auch Sterilisationen und Kaiserschnitte durchführt, tritt eine andere Krankheit allerdings noch häufiger auf.
Krankmacher Mensch
«Es ist der Mensch! Oft wird das Tier krank, weil es unter ungeeigneten Bedingungen gehalten wird.» Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass ein exotisches Tier nicht mehr Aufmerksamkeit als ein Hund braucht, dem Halter aber mehr Wissen abverlangt.
«Das Terrarium sollte in Bezug auf seine Grösse, Beleuchtung und Luftfeuchtigkeit die Lebensbedingungen im natürlichen Habitat widerspiegeln. Der Tierhalter muss wissen, ob eine Echse aus einem Wüstengebiet oder einem Tropenwald stammt.»
«Nach dem Studium habe ich in einer Pferdeklinik gearbeitet. Die Atmosphäre war sehr schlecht, geradezu elitär. Mir ist förmlich die Decke auf den Kopf gefallen. Ich beschloss, einen anderen Weg einzuschlagen», erzählt Schneller.
Nach einem 13 Jahre dauernden Intermezzo in der Pharmaindustrie, in dessen Verlauf er ein eigenes Unternehmen für Medikamentenforschung gründete, besann er sich aber wieder auf seine alte Leidenschaft für Tiere.
«Ich wollte mich nicht mit Hunden und Katzen abgeben. Damals waren exotische Tiere in und als ich dann zufällig auf ein Fachgeschäft stiess, wurde mir klar, dass ich nicht das Geringste über ihre Gesundheit wusste. Für mich war das vor allem eine intellektuelle Faszination», erinnert sich Schneller.
Heute ist Paul Schneller Ansprechpartner für Halter von exotischen Tieren in der Region Basel, der ganzen Schweiz und auch im benachbarten Ausland. 2008 war er zudem an der Ausarbeitung der neuen Tierschutzverordnung beteiligt.
«Die Juristen hatten keine Ahnung von exotischen Tieren und viele Reptilienhalter waren empört, weil sie den Entwurf für unbrauchbar hielten. Für einen Grünen Leguan war beispielsweise ein Terrarium von 3,2 Metern Höhe vorgeschrieben. Welche Wohnung in der Schweiz hat denn schon diese Höhe!»
Flughunde auf dem Dachboden
«Endlich!», ruft er nun erleichtert. Er legt die zirka zwei Zentimeter lange Geschwulst, die er aus dem Brustkorb der Bartagame entfernt hat, auf ein Stück Gaze. Der Eingriff scheint geglückt.
Und doch hört die Wunde trotz Tamponade nicht auf zu bluten. «Wenn ich die Blutung nicht stoppe, stirbt sie uns unter den Händen weg. Bei einem Menschen würde ich eine Transfusion machen.»
Ein Tier seinem Schicksal zu überlassen, kommt für Paul Schneller überhaupt nicht in Frage. Auch wenn das Kleinkämpfe mit Kollegen mit sich bringt. «Einmal hat mich der Kantonstierarzt angerufen und mir eröffnet, ich müsse Flughunde einschläfern, die jemand illegal aus Australien in die Schweiz einführen wollte. Selbstverständlich konnte ich die Tiere nicht töten, nur weil sie das Pech hatten, von einem Idioten eingefangen zu werden. Nach einer hitzigen Diskussion am Telefon sagte mir der Kantonstierarzt dann, wenn es mir gelänge, sie zu sterilisieren und artgerecht unterzubringen, wolle er eine Ausnahme machen.»
Glücklicherweise fand sich unter Schnellers Kunden eine Australierin mit einem geräumigen Dachboden, die bereit war, die kleinen Beuteltiere bei sich aufzunehmen. «Jetzt leben sie ausserhalb von Basel und gedeihen prächtig», sagt er stolz.
Menschlicher Egoismus
Nach der gut einstündigen Operation wird die Bartagame wieder in eine Polystyrol-Box gelegt. Die Blutung ist gestillt und die Wunde mit vier Stichen genäht worden. «Das war aber knapp», flüstert ihr Paul Schneller zu.
Bei allem Erfolg und aller Leidenschaft für seine Arbeit: Ein schmerzliches Gefühl, das ihn seit den Anfängen seiner beruflichen Laufbahn begleitet, ist er nie losgeworden.
Ein Tier im Terrarium oder Käfig zu halten, ist für ihn ein Ausdruck von Egoismus. «Das ist nur für die Menschen gut, nicht für die Tiere. Ich fordere daher alle Exotenfans auf, sie wenigstens unter bestmöglichen Bedingungen zu halten.»
Dieses Ziel verfolgt er auch mit einem Buch für TierhalterExterner Link, das er geschrieben hat. Er erklärt darin die Biologie und pathogene Wirkung aller bisher bekannten Reptilien-Parasiten. «Es war einer meiner grössten Efforts, um Tierhalter kompetenter zu machen», sagt er. Es ist heute ein Standardwerk für die Haltung exotischer Tiere.
Exotische Tiere in der Schweiz
In der Schweiz ist die private Haltung sämtlicher Wildtiere erlaubt, die nicht im Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES) aufgeführt sind. Bestimmte Arten wie Chamäleons, Giftschlangen oder Riesenschlangen (mit Ausnahme von Boas und Pythons), sind bewilligungspflichtig und benötigen einen Sachkundenachweis (Art. 89 der Tierschutzverordnung). Je nach Kanton sind auch spezifische Kurse und Hausbesuche durch den Kantonstierarzt vorgesehen. Wer ein exotisches Tier nicht länger halten will oder kann, darf es aus naheliegenden Gründen nicht einfach in die freie Natur aussetzen, sondern muss sich an die jeweiligen Fachzentren wenden, die in der Regel durch Vereine von Exotenliebhabern betrieben werden.
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen lässt verlauten, es verfüge über keine nationalen Statistiken zur Zahl der hierzulande privat gehaltenen exotischen Tiere bzw. Reptilien, da die Bewilligungserteilung Sache der Kantone sei.
(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)
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