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Fluch und Segen von Pestiziden

Keystone

Neue Einschränkungen von Pestiziden zum Schutz der Bienen werden nicht nur Auswirkungen auf Pflanzenschutz- und Saatgut-Unternehmen wie das Basler Schwergewicht Syngenta haben, sondern auch darauf, wie europäische Bauern in Zukunft Nahrungsmittel produzieren.

Während drei Wochen im Mai verwandeln sich die riesigen Rapsfelder in ländlichen Gebieten Frankreichs, Grossbritanniens und Deutschlands in ein gelbes Meer.

Deutsche Bauern allein pflanzen auf 1,5 Millionen Hektaren fünf Millionen Tonnen Raps an, um daraus Rapsöl, Biotreibstoff und Futter zu gewinnen. Rapsöl ist nicht nur das populärste Speiseöl in Deutschland, sondern in Städten wie Sternberg in Mecklenburg-Vorpommern ziehen Rapsblumen-Feste jährlich auch tausende Touristen an.

Dieses Bundesland hat den höchsten Anteil an der deutschen Rapsproduktion. Rapspflanzer Wolf-Dietmar Vetter ist stolz auf die gelben Felder, die Besuchende der Region bestaunen können. Doch er ist auch besorgt über das angekündigte Moratorium nikotinbasierter Pestizide, die er auf seinen 600 Hektaren rund um Sternberg gegen verschiedene Schädlinge wie Rapsglanzkäfer, Rüsselkäfer und Kohlschotenmücke einsetzt.

«Natürlich sind wir besorgt, und wir wissen nicht, was nächstes Jahr geschehen wird», sagt Vetter. «Die Behandlung des Saatguts mit Pestiziden ist sehr wertvoll für uns, weil es die ökologischste Lösung ist. Wegen des Moratoriums werden wir unsere Pflanzen wieder häufiger und über grosse Flächen besprühen müssen.»

Neonikotinoide gehören zu den ersten Insektiziden, die auf breiter Basis eingesetzt werden konnten, um Samen zu behandeln und so den Bauern erlaubten, die ganze Pflanze systematisch vor Schädlingen zu schützen.

Schweizer und EU-Behörden haben kürzlich den Einsatz von Neonikotinoid-Substanzen bei einigen Pflanzen für zwei Jahre ausgesetzt. Grund dafür sind Bedenken, dass sie mit dem Tod von Bienenpopulationen in Verbindung stehen könnten. Sie zitierten Studien, wonach das Nervengift die Navigation und Orientierung von Bienen beeinflussen kann.

Laut dem Agrochemie-Hersteller Syngenta hat die aktive Substanz Thiamethoxam als Samenbehandlung oder Blattspray keine «inakzeptablen» langfristigen Auswirkungen auf nützliche Gliederfüssler.

Jacques Bourgeois, Direktor des Schweizerischen Bauernverbands, befürchtet, dass die Behörden «das Pferd vom Schwanz her aufzäumen», indem sie Pestizide verböten, bevor sie Beweise hätten, dass diese etwas mit dem Sterben von Bienenpopulationen zu tun hätten.

Schweizer Bienenzüchter und -Forscher wie Peter Gallmann vom Schweizer Zentrum für Bienenforschung hingegen begrüssen den Entscheid. Sie drängen die Regierung, mehr Gelder für die Untersuchung des massiven Bienensterbens zu sprechen. Laut ihnen sind Pestizide einer von vielen Faktoren, die einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Bienen haben.

Besorgte Produzenten

Ende April hatte die Europäische Union (EU) angekündigt, ab Dezember den Einsatz von Neonikotinoiden für zwei Jahre auszusetzen. Sie befürchtet, dass diese zum Rückgang der Bienenvölker beitragen. Bienenzüchter und Umwelt-Organisationen wie Greenpeace begrüssten den Entscheid.

Das Moratorium betreffe fast allen Raps in Deutschland, sagt Wolfgang Vogel, Präsident der deutschen Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP). Wegen des Bannes könnte die deutsche und europäische Landwirtschaft eine wichtige Pflanze für die Fruchtfolge verlieren, warnt er.

Auch für Schweizer Bauern ist die Frage existenziell. «Die Pestizide garantieren unsere Erträge», sagt Markus Ritter, Präsident des Schweizerischen Bauernverbands (SBV).

«Es gibt praktisch kein organisch gewachsenes Rapssaatgut in der Schweiz, was darauf hinweist, dass der Schutz dieses Saatgutes ein ungelöstes Problem ist. Extensives Besprühen – gegenwärtig die einzige Alternative – ist schädlicher für Nichtziel-Organismen als eine gezielte Behandlung des Saatguts.»

Für die Bauern im St. Galler Rheintal werde das Moratorium für Neonikotinoide zu einem «grossen» Problem, sagt Ursina Galbusera, die beim SBV den Geschäftsbereich Pflanzenbau leitet. «Wir befürchten, dass einige Bauern dadurch ganz aus der Maisproduktion werden aussteigen müssen.»

Gleichzeitig fürchteten sich die Bauern vor Substanzen, die den Bienen Schaden zufügen könnten, denn diese bestäubten ihre Pflanzen, erklärt Ritter, der seit 30 Jahren passionierter Landwirt und Bienenzüchter ist.

Es geht um mehr

Die in Basel beheimatete Syngenta, das weltweit grösste Agrochemie-Unternehmen mit jährlichem Umsatz von 13,3 Mrd. Franken, erwartet, dass der Bann nikotinbasierter Pestizide den Umsatz mit weniger als 100 Mio. Franken beeinflussen werde und die Verluste zum Teil kompensiert werden könnten.

Für Chemiefirmen geht es aber um mehr. Die Forschung während des zweijährigen Moratoriums wird ihre nikotinbasierten Pestizide entweder von den Vorwürfen reinwaschen oder belastende Beweise erbringen, die diese mit den schwindenden Bienenpopulationen in Zusammenhang bringen, woraus ein dauerhaftes Verbot entstehen könnte.

Die Pflanzenschutz-Lobby warnt, dass ein solches Verbot den Wohlstand der EU über fünf Jahre um bis zu 17 Mrd. Euro schmälern und Auswirkungen auf das Einkommen von bis zu einer Million Menschen in der Landwirtschaft haben könnte. Das sind die düsteren Ergebnisse einer Studie, die Bayer und Syngenta in Auftrag gegeben und finanziert haben, um den Wert der Behandlung mit nikotinbasierten Pestiziden abzuschätzen.

Die Auswirkungen auf Umsätze der Konzerne sind auch nur so lange vernachlässigbar, als das Moratorium auf die Länder der EU begrenzt bleibt. Die Produkte sind Wachstumstreiber mit prognostizierten Umsätzen von bis zu 2 Mrd. Dollar weltweit, wie Analysten schätzen.

«Der unmittelbare Einfluss auf die Verkäufe von Syngenta ist nicht sehr gross, doch es gibt Bedenken gegenüber einer weltweiten Ausweitung des Neonikotinoid-Moratoriums – auch wenn wir das gegenwärtig als unwahrscheinlich einschätzen», sagt Martin Schreiber, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank.

Schreiber schätzt, dass das Insektizid «Actara» und die Saatgut-Behandlung «CruiserMaxx» – beide enthalten Neonikotinoid Thiamethoxam – Syngenta rund 1 Mrd. Dollar Umsatz pro Jahr bescheren. Und etablierte, optimierte Produkte zu ersetzen, brauche Zeit und Geld, so Schreiber.

Pflanzenschutzmittel sind biologisch aktiv gegen Schädlinge. Daher können sie auch aktiv gegen «Nichtziel-Organismen» werden, also Nützlinge, die eigentlich nicht bekämpft werden sollten, sagt Olivier Félix, Leiter Fachbereich Pflanzenschutzmittel beim Bundesamt für Landwirtschaft (BWL).

Die Industrie müsse nachweisen, dass ihre Produkte kein Risiko bergen würden, das BWL prüfe lediglich diese Nachweise, so Félix. Die Bedingungen seien heute strikter und das BWL stelle oft zusätzliche Forderungen, die erneute Forschung nötig machten und den Prozess verlängerten, so Félix.

«Wenn wir abschätzen, ob ein Produkt zugelassen werden soll, schauen wir uns nicht nur die Toxizität an, wir müssen auch garantieren, dass die Substanz kein inakzeptables Risiko darstellt», erklärt Félix. «Wir fügen einem realistischen Worst-Case-Szenario einen Sicherheitsspielraum bei und erreichen so ein hohes Sicherheitsniveau.»

Während der letzten 20 Jahre hat die EU etwa 1000 Pflanzenschutz-Substanzen nachgeprüft. Zwei Drittel davon wurden zurückgezogen, weil ihr beschränkter Marktwert die beträchtlichen Investitionen in eine Nachprüfung nicht rechtfertigte.

Alternativen

Syngenta selber sagt, es sei «extrem herausfordernd», ähnlich sichere und effiziente Alternativen zu finden, wie Sprecher Daniel Braxton betont.

Die Entwicklung eines neuen aktiven Bestandteils kostet über 200 Mio. Dollar, ein Prozess, der laut Syngenta 2500 Forscher und 25’000 Feldversuche an verschiedenen Standorten umfasst. Von der Entdeckung eines Wirkstoffes bis zur Markteinführung könnten acht bis zehn Jahre vergehen.

Zwar seien Pestizide einfacher zu entwickeln als Medikamente, und ihr Markt sei weniger reguliert, sagt Schreiber. Doch zahlreihe Aspekte seien gleich, weil effiziente Chemikalien – die oft giftig sind – das angeborene Risiko eines Kollateralschadens in sich tragen würden. Daher sei die Sicherheit eminent wichtig.

Die Schweiz hat die Lizenzen für 124 von 450 Substanzen entzogen, die 2005 auf dem Markt waren, sagt Olivier Félix, Leiter Fachbereich Pflanzenschutzmittel beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Die meisten davon seien während langer Zeit eingesetzt worden und vermutlich sicher, doch heute brauche man Beweise dafür.

Die Behörden verlangen ein umfangreiches Dossier, in dem die Auswirkungen der Substanz auf alle potenziell betroffenen Organismen für jede möglicherweise eingesetzte Nutzung oder Dosierung dokumentiert sind. Syngenta liefert normalerweise 80 bis 100 Ordner mit, wenn ein neues Produkt zur Vermarktung eingereicht wird.

Das Resultat dieser Prozedur: Die Pestizide seien heute viel sicherer als noch vor zwanzig Jahren, sagt Félix. Doch in der Öffentlichkeit hätten sie ihr negatives Image behalten und würden oft als schädlicher wahrgenommen als andere Giftstoffe, wie sie beispielsweise Bakterien oder Pilze in Lebensmitteln abgeben würden, so der BLW-Experte.

Laut Félix vergessen die Konsumenten oft, dass Saatschutz-Produkte eingesetzt würden, um landwirtschaftliche Erzeugnisse zu verbessern. Die perfekten Produkte in den Verkaufsgestellen könnten nicht ohne die unsichtbaren Massnahmen der Produzenten zum Schutz ihrer Kulturen und der Verbesserung ihrer Ernte hergestellt werden, sagt er.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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