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Präimplantations-Diagnostik: warum, für wen, wie?

Präimplantationsdiagnostik und Chromosomen-Screening werden häufig verwechselt. Keystone

Wenn Fortpflanzungsentscheide und Politik aufeinander treffen, können ethische Argumente schnell einmal komplex und leidenschaftlich werden. So soll es in einer direkten Demokratie auch sein. Aber wie verläuft überhaupt die medizinische Behandlung, die im Zentrum der Fragen steht?

Am 5. Juni stimmt die Schweiz – zum zweiten Mal innerhalb von 12 Monaten – darüber ab, ob künstlich befruchtete Embryonen (In-vitro-Fertilisation, IVF) unter bestimmten Voraussetzungen auf genetische oder Chromosomenstörungen untersucht werden dürfen, bevor sie einer Frau in die Gebärmutter eingesetzt werden. Das heute geltende Fortpflanzungsmedizin-Gesetz (FMedG) verbietet Präimplantationsdiagnostik (PID). Mit der Änderung des Gesetzes würde das Verbot aufgehoben und die konkrete Durchführung der PID geregelt.

Die Vorlage hat soziale, ethische und emotionale Argumente auf allen politischen Seiten aufgeworfen.

Die Befürworter der Präimplantationsdiagnostik argumentieren, dass die Methode Paaren, die in ihrer Krankengeschichte genetische Störungen hätten, helfen könne zu verhindern, dass diese den Kindern übertragen würden.

Einige Gegner sind der Meinung, dass damit Menschen mit genetischen Erkrankungen das Recht auf Leben verweigert werde. Andere befürchten eine ethisch nicht verantwortbare Ausweitung von genetischen Untersuchungen an menschlichen Embryonen.

Politischer Hintergrund

Im Juni 2015 hat die Schweizer Stimmbevölkerung eine Verfassungsänderung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) mit klarer Mehrheit angenommen. Damit ist die Voraussetzung geschaffen worden, dass PID in der Schweiz durchgeführt werden kann. Der Verfassungsartikel sagt aber nichts über die Richtlinien, wie der Embryo eingesetzt werden muss. Diese sind im revidierten Fortpflanzungsmedizin-Gesetz geregelt, welches das Parlament ausgearbeitet hat.

Die Gegner des geänderten Fortpflanzungsmedizin-Gesetzes haben das Referendum ergriffen. Am 5. Juni 2016 kommt es deshalb zu einer weiteren Eidgenössischen Volksabstimmung. Wenn die Vorlage angenommen wird, wird das PID-Verbot aufgehoben und die konkrete Durchführung geregelt. Demnach ist PID nur für Paare zugelassen, die Träger von schweren Erbkrankheiten sind und riskieren, diese an ihren Nachwuchs weiter zu geben, oder die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können.

Was ist derzeit erlaubt?

Heute muss ein Paar, das auf PID zurückgreifen will, ins Ausland gehen (die meisten anderen europäischen Länder erlauben diese in irgendeiner Form). Eine Alternative besteht darin, den Embryo einzusetzen, eine Schwangerschaft auszulösen und auf eine pränatale Diagnostik zurückzugreifen, die bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt ist.

Heute dürfen lediglich drei IVF-Embryonen pro Behandlung entwickelt werden, und sie müssen alle sofort in die Gebärmutter eingepflanzt werden. Diese Praktik erhöht die Wahrscheinlichkeit einer hochriskanten Mehrfach-Schwangerschaft. Wenn das revidierte Gesetz angenommen wird, dürfen künftig pro Behandlung höchstens zwölf Embryonen entwickelt werden. Nicht sofort eingesetzte Embryonen können für eine spätere Behandlung eingefroren werden. Verboten bleiben weiterhin die Herstellung von Embryonen für Stammzellen oder weitergehende Anwendungen wie die Bestimmungen des Geschlechts oder bestimmter Körpermerkmale, wie zum Beispiel der Augenfarbe.

Diagnostik versus Screening

In der Fortpflanzungsmedizin gibt es zwei ähnliche Verfahren, die oft verwechselt werden: Präimplantationsdiagnostik (PID) und Aneuploidie-Screening (Chromosomen-Screening). Die Technologie ist weitgehend die gleiche. Der Unterschied liegt in den Patientengruppen, die eine Behandlung wünschen.

PID wird angewandt, wenn ein bestimmtes Risiko besteht, dass schwere Erbkrankheiten von den Eltern auf die Nachkommen übertragen werden könnten. Einige Länder haben 30 Jahre Erfahrung mit dieser medizinischen Behandlung. In Ländern, wo sie erlaubt ist, greifen Paare, die auf natürlichem Weg Kinder bekommen können, auf IVF zurück, um Embryonen ausserhalb der Gebärmutter auf genetische Störungen zu untersuchen.

Externer Inhalt

Unter dem Begriff «Chromosomen-Screening» (Aneuploidie-Screening) versteht man im Allgemeinen die Untersuchung des Embryos in vitro auf numerische Chromosomenstörungen. Ein gesunder Embryo sollte genau 46 Chromosomen haben; wenn es mehr oder weniger sind, kommt es häufig zu Fehlgeburten. Trisomie 21 – oft als Down-Syndrom bezeichnet – kann zum Beispiel mit diesem Verfahren festgestellt werden.

Chromosomen-Screening wird seit den 1990er-Jahren im Rahmen von künstlichen Befruchtungen von immer mehr Frauen angewendet, die im fortgeschrittenen Alter sind, oder bereits mehrere Fehl- oder Totgeburten erlitten oder mehrere erfolglose IVF-Behandlungszyklen hinter sich haben. Ziel des Aneuploidie-Screenings ist es, die Erfolgsrate der IVF-Behandlung zu verbessern.

«Meines Erachtens warten wir immer noch auf randomisierte kontrollierte Studien, die bestätigen, dass das Verfahren zu einer Zunahme der Zeugungen führt. Aber es gibt heute Kliniken, die das Verfahren für jeden einzelnen Embryo und für jede Patientin anbieten», sagt Joyce Harper, Professorin für Human-Genetik und Embryologie am University College London und stellvertretende Direktorin des UCL Centre für PID.

Wenn die Vorlage am 5. Juni vom Souverän grünes Licht bekommt, wird das revidierte Fortpflanzungsgesetz sowohl Präimplantationsdiagnostik als auch das Chromosomen-Screening in der Schweiz erlauben.

Die Tests und die Kosten

Im Fall von Präimplantationsdiagnostik gibt es zwei Verfahrensstufen: die Embryobiopsie und genetische Untersuchungen.

Eine Biopsie wird meistens am fünften Tag der embryonalen Entwicklung durchgeführt. Bei diesem Verfahren entnehmen die Ärzte einige Zellen, die möglicherweise Teil der Plazenta werden könnten, für Untersuchungen. Die innere Zellenmasse, die sich zum Fötus entwickelt, wird nicht tangiert. Nach der Entnahme werden die Zellen im Labor untersucht. Man kann sie auf Hunderte von genetischen Krankheiten testen, aber die häufigsten sind Cystische Fibrose, Tay-Sachs-Syndrom, Spinale Muskelathropie, Hämophilie, Sichelzellen-Krankheit, Duchenne-Muskeldystrophie, Thalassämie.

Schätzungen über die Kosten der Behandlungen gehen weit auseinander. Die Human-Genetikerin Joice Harper schätzt, dass sich die durchschnittlichen Kosten allein für die Präimplantationsdiagnostik – IVF nicht inbegriffen – auf umgerechnet rund 2700 Franken belaufen. In der Schweiz decken die Krankenkassen IVF nicht in jedem Fall.

Eine Biopsie kann technisch innerhalb von 24 Stunden gemacht werden, obwohl es in der Regel effizienter und kostengünstiger ist, die Tests in Chargen durchzuführen, wodurch die Gesamtwartezeit bis zu einem Monat verlängert wird. In der Zwischenzeit müssen die Embryonen aufbewahrt werden. Die Änderung des FMedG würde das Einfrieren der Embryonen erlauben, was ein entscheidender Schritt für die Anwendung der PID in der Praxis wäre.

PID sei für die Paare ein kompliziertes Verfahren, weil sie an das langwierige und riskante Verfahren der In-vitro-Fertilisation gebunden sei, sagt Joice Harper. «Niemand geht da so einfach hindurch. Wenn sich ein Paar für pränatale Diagnostik entscheidet, wird die Frau auf natürliche Weise schwanger, danach genügen zehn Minuten für eine Fruchtwasseruntersuchung, und man kann die Daumen drücken, dass alles in Ordnung ist. Aber das Problem bei dieser Diagnostik besteht darin, dass wenn der Fötus eine genetische Anomalie hat, dies für die Eltern viel traumatisierender ist, weil sie sich dann entscheiden müssen, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen wollen.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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