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Frischer Wind für Schweizer Energielandschaft

Ab 2013 könnte das Panorama für Skifahrer in Obersaxen im Kanton Graubünden so aussehen. altaventa.ch

Nach dem historischen Entscheid des Schweizer Parlaments für einen Ausstieg aus der Atomenergie wird hart an der Energiezukunft des Landes gearbeitet. Zum Beispiel in Graubünden. Im dortigen Val Lumnezia soll ab 2012 der grösste Windpark der Schweiz entstehen.

Die romanisch-sprachige Schweiz wird zum Vorreiter fürs ganze Land. In der Gemeinde Lumbrein (Surselva), Kanton Graubünden, soll der grösste Windpark der Schweiz entstehen. 40 bis 60 Generatoren sollen dort schon bald elektrische Energie generieren.

Die Investitionen für das Projekt, an dem das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) interessiert ist, belaufen sich auf rund 200 Millionen Franken. Der Windpark ist in einer Höhe von 2400 Metern vorgesehen, in der es besonders windig ist. Der produzierte Energie würde reichen, um alle 80‘000 Haushaltungen des dreisprachigen Kantons mit Strom zu versorgen.

Viele Vorteile

Um das Potential der Bündner Winde im Val Lumnezia zu erforschen, wurden zwischen Oktober 2010 und August 2011 diverse  Masten zur Windmessung aufgestellt; sie erreichen eine Höhe von bis zu 60 Metern.

«Die erfassten Daten machen uns Mut», sagt Andy Imfeld, Geschäftsführer der Altaventa SA, die das Projekt umsetzen will.  «Ein unabhängiges Büro in Hannover wertet nun die Daten aus. Zusammen mit den Angaben von Meteo Schweiz kann dieses Büro auch Computersimulationen durchführern. So lassen sich die idealen Standorte für  Windgeneratoren eruieren.»

Aber nicht nur die günstigen Windbedingungen spielen eine Rolle. «Der Ort ist auch aus anderen Gründen ideal», meint Imfeld. So können beispielsweise schwere Fahrzeuge bis in das Gebiet vordringen, wo die Windgeneratoren aufgestellt werden sollen, ausserdem ist der Windpark von der Strasse aus kaum zu sehen. Zudem ist ganz in der Nähe des geplanten Windparks ein Anschluss an das öffentlichen Stromnetz vorhanden, um die Energie einspeisen zu können.

Pro Natura sagt nicht grundsätzlich Nein

Aus logistischer Sicht erscheint der gewählte Standort  oberhalb von Lumbrein im Bereich StavialaVedra/Um Su/Alp Nova optimal, um einen der fortschrittlichsten Windparks in Europa zu verwirklichen. Doch eine Reihe von Umweltaspekten müssten vertieft analysiert werden, hält Hans F. Schneider, Sekretär der Organisation Pro Natura Graubünden, fest.

«Das Projekt ist in einem kantonalen Landschaftsschutzgebiet vorgesehen, in dem sich auch Hochmoore befinden. Die Auswirkungen eines allfälligen Windparks auf Flora und Fauna müssen genau untersucht werden, immerhin nisten dort auch Vögel», hält Schneider fest.

Um die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten, schlägt Pro Natura vor, die Windräder möglichst nah an den Pfeilern der Seilbahnen und Skilifte von Obersaxen zu platzieren.  

Rund-Tisch-Gespräche

Der Direktor der Bergbahnen Obersaxen, Josef Brunner, ist da gar nicht einverstanden: «Wir befürworten erneuerbare Energiequellen, aber wir wollen die Schönheit und Ruhe unserer Landschaft nicht für die Windräder opfern.»

Laut Brunner müssen die Windräder mindestens einen Kilometer vom höchsten Punkt der Skipisten entfernt sein. «Wenn dies nicht der Fall sein wird, werden wir gegen den Bau Widerstand leisten», hält er fest.

 
Um Einsprachen möglichst schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Altaventa bereits im Herbst 2010 einen Runden Tisch ins Leben gerufen, an dem die Probleme mit allen Partnern diskutiert werden: Mit Gemeinden, Bürgergemeinden, Alpgenossenschaften, Umweltverbänden, Skistationen, Politikern aus der Region und dem Kanton.

«Das Klima dieser Diskussionen war sehr positiv. Ich bin überzeugt, dass wir in den zentralen Punkten eine Einigung finden werden», sagtAndy Imfeld. Ihm schweben ökologische Ausgleichsflächen vor, die an anderen Stellen des Kantons als Kompensation für den Windpark geschaffen werden sollen.

Hoffnung auf Arbeitsplätze

Die Bevölkerung setzt grosse Hoffnungen auf den Windpark. Denn das Tal sieht sich mit dem typischen Problem einer Randregion konfrontiert, der Abwanderung. Der Windpark könnte über die finanzielle Wertschöpfung hinaus im Bereich des Unterhalts der Windräder 10 bis 15 qualifizierte Stellen für junge Leute schaffen.

«In einer Konsultativabstimmung hat sich die Bevölkerung einstimmig für eine Machbarkeitsstudie ausgesprochen», erklärt Giusep Casanova, Gemeindepräsident von Lumbrein. Man glaubt es ihm gerne, denn Altaventa wird über die Arbeitsplätze hinaus auch Pacht für die genutzten Ländereien bezahlen müssen. Die Rede ist von bis zu einer Million Franken, je nach Grösse des Windparks.

«Der Windpark könnte auch zu einer Touristenattraktion werden», meint Casanova. Er verweist auf ein entsprechendes Projekt am Mont Crosin im Berner Jura, das jährlich von 10‘000 Personen besucht wird. Er will das Gelände aber nicht einfach so opfern: «Der Windpark muss in akzeptablen Dimensionen bleiben und nicht mehr als 40 Windgeneratoren  umfassen.»

Das erste Windrad soll 2012 gebaut werden. «Es wird zwischen 3 und 5 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren und unsere Professionalität beweisen», betont Andy Imfeld als Geschäftsführer von Altaventa.

Die weiteren Windräder sollen sukzessive ab 2013 entstehen, um dereinst den grössten Windpark der Schweiz zu bilden. Auf Bündner Terrain.

Der erste Windgenerator in der Schweiz (Leistung 28 kW) wurde 1986 in Soolhof (Langenbrück) in Betrieb genommen.

Im Jahr 2007 konnte man in der Schweiz mehr als 30 Windanlagen zählen, die global rund 14 Gigawattstunden (GWh) Strom produzierten.

Der grösste Windpark befindet sich auf dem Mont-Crosin im Berner Jura. Dort sind acht Windräder in Betrieb.

Weitere wichtige Anlagen befinden sich in Collonges (VS), Entlebuch (LU), Gütsch bei Andermatt (UR).

Die Windparks von Mont-Crosin, Gütsch und Le Peuchapatte (JU) produzieren im Mittel 74 Millionen kWH/Jahr. Dies reicht, um zirka 21‘000 Haushalte mit Strom zu versorgen.

Gemäss Angaben des Bundesamts für Energie könnten die Windparks in der Schweiz bis zum Jahr 2030 eine Produktion von 600 GWh erreichen.

Die besten Standorte für die Nutzung der Windkraft befinden sich im Jura, in den Alpen und im westlichen Teil des Mittellandes.

(Quelle: Bundesamt für Energie)

Im Jahr 2010 ist der Verbrauch an Elektrizität im Vergleich zum Vorjahr um 4%  gestiegen. Der Gesamtverbrauch erreichte gemäss Bundesamt für Energie 59,8 Milliarden Kilowattstunden.

56,5% der 2009 produzierten elektrischen Energie wurde durch Wasserkraft erzeugt, 38,1% von Atomkraft und der Rest durch weitere Energieträger.

Im Jahr 2010 wurden 66,8 Milliarden kWh Strom importiert und 66,3 Milliarden kWh Strom exportiert.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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